Coyote. Jens-Uwe Sommerschuh

Coyote - Jens-Uwe Sommerschuh


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kündigte sie das dankenswerterweise mit einem Stottern an. »… da-dass ich a-aus Ve-venedig we-weggehen werde.«

      Den Rest hatte er sich zusammengereimt, soso.

      »War es seine Handschrift?«, fragte ich.

      »Weiß ich doch nicht«, stieß sie hervor. »Wir haben nie schriftlich miteinander verkehrt.«

      Klar, dieser Morbo wusste, dass sie von hier stammte. Das erklärte aber immer noch nicht, wie er uns aufgestöbert hatte.

      Wir waren allein auf der Galerie. Die Gäste unten waren mit ihrem Pegel beschäftigt. Der Barkeeper polierte die Zapfhähne. Vickie zuckte schniefend die Achseln. Sie riss die Augen weit auf. In Friedenszeiten umschloss ein grauer Ring die Pupille, gesprenkelt mit ein paar gelben Sternen. Jetzt war die Iris nur noch gelb. Vickie tat mir leid. Wir hatten harte Zeiten hinter uns, und die wahren Härten schienen uns erst noch bevorzustehen. »Lass gut sein«, brummte ich, steckte meine Nase ins Bier und blickte dann hinunter auf die Columbus. Jemand fotografierte die Fassade des Vesuvio, das Straßenschild, das Fenster und mich. Es war ein erstklassiger Platz. Wenn ich vorhatte, in die Fotoalben von Millionen Besuchern dieser Stadt zu gelangen, brauchte ich nur hier sitzen zu bleiben.

      »Was wollten die Bullen von dir?«, fragte ich.

      »Och, di-di-die waren ganz freundlich und wollten nur wissen, ob ich di-dich kenne. Ich hab ja-ja gesagt, ja, ich würd dich flüchtig kennen. Das ist gut, nicht? Mein flüchtiger Freund …« Sie kicherte.

      »Und mehr war nicht?«, hörte ich den flüchtigen Freund sagen.

      »Ob ich schon mal in Italien war, haben sie gefragt. Darauf ich: Die Spaghetti in North Beach sind so lecker, dass ich dafür nicht übern Teich muss. Dann sagten sie, ich würde mich strafbar machen, wenn ich jemanden ohne Aufenthaltsgenehmigung beherberge, und deine Erlaubnis laufe bald ab. Zum Schluss wollte der eine wissen, der Weiße, ob ich Französisch kann. Ich: Sehe ich so aus? Er: Ein bisschen. Ich: Wieso? Er: Nur so. Und das war’s. Der Schwarze hat bloß gegrinst und dann ganz nett gesagt, da-da-dass ich gehen kann. Der war wirklich sehr freundlich. Er hat mir sogar seine Nummer gegeben. Falls ma-mal was ist.«

      Soso. Ein Weißer und ein Schwarzer. Ich konnte mir Nagaers Visage gut vorstellen. Ein schwarzer Bulle war mir dort nicht zu Gesicht gekommen, aber das musste nichts bedeuten.

      »Vögeln«, sagte Vickie. »Oah, ich würde jetzt furchtbar gerne vögeln.«

      Draußen wurde gehupt. Ein Rettungswagen schoss mit Sirenengeheul vorbei. Ein Bettler ergatterte einen Vierteldollar. Gestottert hatte sie diesmal nicht. Ich kippte mein Bier. Es war nichts mehr drin. »Wie schön«, sagte ich nach einer Weile, in der ich uns beim Atmen zuhören konnte. »Wieviel Kohle haben wir eigentlich noch?«

      »Was weiß ich«, erwiderte Vickie und spielte mit ihrem Ohr. »Ich würde dann gern vögeln.«

      »Fein«, meinte ich und ertappte mich dabei, dass ich schon wieder versuchte, das leere Glas auszutrinken. »Wieviel Kohle haben wir noch?«

      Vickie seufzte. »Achtzigtausend Dollar, fast. Ich würde dann wirklich gern vögeln.« Ihre Nasenflügel bebten, ihre Lippen schürzten sich, ihre Oberlider wölbten sich wie der Rialto.

      »Hast du schon gesagt«, erinnerte ich sie. »Und wieviel davon in bar?«

      »Fünfhundert oder so, glaube ich«, zischte sie.

      Dann grinste sie breit. »Hast du wieder ein Zimmer? Zeig mir deinen Palazzo, Fremder. Es ist die rechte Zeit für eine kleine Fickstunde.«

      8

      Venedig vor anderthalb Jahren. Im Dezember. Schwer verkatert war ich eines Vormittags in San Samuele auf den Kahn gesprungen, den Vaporetto zwoundachtzig, damals meine Hauslinie, und in San Marco war ich wieder ausgestiegen, direkt vor Harry’s Bar. Erst dort bemerkte ich das Hochwasser.

      Das war keine Seltenheit. Die Venezianer nannten es Acqua alta. Die Lagune schwappte in die Gassen, die Kanäle traten über die Ufermauern, und die Piazza und Piazzetta San Marco verwandelten sich für eine Stunde oder länger in rechteckige Seen, auf denen tote Tauben trieben. Die verreckten Tauben fielen sonst nicht auf.

      Ich hatte am Vorabend mit Minardi gesoffen, dem Grappa-Händler, bei dem ich Stammkunde war. Lange nach Ladenschluss, gegen Mitternacht, hatte ich die Fliege gemacht. Dass ich meine Geldbörse bei ihm liegen lassen hatte, war mir erst am Morgen aufgegangen. Ich war blank, ich saß völlig auf dem Trocknen, meine gesamte Barschaft lag in diesem Schnapsladen. Es war nicht weit dorthin, doch nun hatten wir Hochwasser, und ohne Gummistiefel blieben mir nur die Stege, die wie immer rasch aufgebaut worden waren. Natürlich waren die Stege von Millionen Japanern verstopft.

      Ich hätte in Harry’s Bar anschreiben lassen sollen, um bei zwei, drei, vier Laphroaig abzuwarten, dass sich die Wassermassen und Millionen Japaner wieder verlaufen würden. Aber ich gehörte nicht zu denen, die in Harry’s Bar Kredit hatten. So reihte ich mich ein und trottete über den Steg, links die Alte Bibliothek, rechts der Dogenpalast, unter mir Wasser, über mir der Waschhaushimmel, vor mir der Singsang staunender Menschen aus dem Land der aufgehenden Sonne und hinter mir … keine Ahnung. Es ging mir nicht besonders, nicht nur wegen des Katers. Meine Seele trug schon seit Monaten Grau. Minardi hatte mir geraten, mal wieder gründlich zu bumsen, doch ich hatte nur abgewinkt.

      Die Stege waren zu schmal für Gegenverkehr. Ständig stießen sich die Leute mit der Schulter an oder bekamen einen Ellbogen in den Bauch.

      Weiter vorne platschte es. Die Gänsereihe stockte. Die Japaner vor mir schnatterten aufgeregt. Eine Sehenswürdigkeit. Eine Madonna mit nassen Füßen. Ein badender Engel. Irgendein Grund, die Videokameras schnurren zu lassen. Ich blieb stehen, gezwungenermaßen. Mein Hintermann lief weich auf mich auf.

      »Scusi«, sagte er. Sagte sie. Es war eine Frau.

      »Keine Ursache«, murmelte ich und drehte mich andeutungsweise um. Das hätte ich lassen sollen. Doch das wusste ich da noch nicht.

      »Toll, so ein Menschenauflauf.«

      Waschecht war ihr Italienisch nicht. Genauso unecht wie das Hellblond ihres zerzausten Schopfes. Ihre Schneidezähne blitzten, die zwei mittleren ragten eine Idee weiter vor. Ihre Augen, grau schillernd mit einem Stich ins Gelbe, waren verwegen geschnitten, die äußeren Augenwinkel reichten tief hinab, schräg stehende Augenhalbmonde, aus denen spöttische Lichter funkelten. Sie war nur wenig kleiner als ich, und wir hätten gleichzeitig in dieselbe Banane beißen können, so nah war ihr Gesicht. Über ihre Nase zog eine Milchstraße von Sommersprossen, mitten im Dezember, und einer der Sterne war größer als alle anderen, eine Supernova, die auf dem Nasenrücken explodierte.

      »Ich habe, ehrlich gesagt, die Nase voll.« Sie lachte.

      Ich grinste zurück, obwohl ich da noch nicht verstand, wie sie das meinte.

      »Zigarette?«, fragte ich, nach wie vor ging es weder voran noch zurück.

      Sie nickte, doch als ich meine Gitanes aus der Tasche fummelte, erwies sich die Schachtel als leer. Ich war noch zu blau, um die Situation peinlich zu finden. Genau genommen, war das eine Empfindung, auf die ich auch nüchtern gut verzichten konnte. Was war schon peinlich?

      »Pechsache«, sagte ich.

      »Glückssache.« Sie lachte und zückte ein Päckchen Marlboro Lights, eine Sorte, mit der man mich jagen konnte. Die Lady hatte einen amerikanischen Akzent, sie trug einen weichen Ledermantel, der sündhaft teuer aussah, wahrscheinlich Bison, und sie rauchte solche Zigaretten. Ich nahm eine, und als ich ihr Feuer gab, lehnte sie sich kurz an mich.

      »Sie haben eine Fahne, Fremder«, stellte sie fest. »Grappa, würde ich sagen.«

      »Und Sie riechen nach Moschus«, erwiderte ich. »Außerdem wette ich, dass Sie sich unter den Armen rasieren.«

      Sie prustete und blies sich eine Strähne von der Nase.

      »Nicht nur dort«, sagte sie. »Ich würde Ihnen das ja beweisen, aber …« Sie zog das Wort kokett in die Länge. Ich fragte mich allmählich, in was


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