Der gestohlene Bazillus. Herbert George Wells

Der gestohlene Bazillus - Herbert George Wells


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      »Väterchen!« sagte Gip in schuldbewußtem Flüsterton.

      »Was gibt's, Gip?« sagte ich.

      »Der Laden gefällt mir, Väterchen!«

      »Mir auch,« sagte ich zu mir selbst, »wenn bloß nicht der Ladentisch auf einmal so lang würde, daß er einen von der Tür absperrt.« Aber hierauf machte ich Gip nicht weiter aufmerksam. »Pussy!« sagte er und streckte eine Hand nach dem Kaninchen aus, das an uns vorüberhopste. »Pussy, mach' uns ein Zauberkunststückchen vor!« Und er verfolgte es mit den Blicken, während es sich durch eine Tür zwängte, die ich einen Augenblick zuvor noch gar nicht bemerkt hatte. Die Tür öffnete sich weiter und der Mann mit dem einen Ohr größer als dem andern erschien wieder. Er lächelte noch immer, aber sein Auge begegnete dem meinen mit einem Ausdruck, der zwischen Belustigung und Herausforderung schwankte. »Vielleicht würde es Ihnen Spaß machen, unser Magazin zu sehen, Herr!« sagte er mit einer Art harmloser Beflissenheit. Gip zerrte meinen Finger vorwärts. Ich sah nach dem Ladentisch und begegnete wieder dem Auge des Mannes. Ich fing an, den Zauber ein bißchen zu echt zu finden! »Sehr viel Zeit haben wir nicht,« sagte ich. Aber noch eh' ich das ausgesprochen hatte, waren wir schon irgendwie im Magazin drin.

      »Alle unsere Ware ist von ein und derselben Qualität,« sagte der Mann, seine geschmeidigen Hände aneinander reibend, »nämlich von der besten. Wir haben in diesem ganzen Raum nichts, was nicht echte Zauberei ist und für dessen Originalität wir nicht garantieren. Bitte um Entschuldigung, mein Herr!«

      Ich fühlte, wie er an etwas zog, das an meinem Rockärmel hing; und dann sah ich ihn einen kleinen, sich krümmenden, roten Dämon am Schwanz halten – das kleine Wesen fauchte und schlug um sich und versuchte ihn in die Hand zu beißen – im nächsten Augenblick schleuderte er es gleichmütig hinter einen Tisch. Ohne Zweifel war das Ding ja nichts weiter als eine kleine Gummipuppe; aber so im Augenblick ...! Und das ganze Gebaren des Mannes war genau so, als ob er ein ekles, bissiges, kleines Stück Ungeziefer in der Hand hielte. Ich blickte nach Gip, aber Gip besah sich eben ein Zauberschaukelpferd. Ich war froh, daß er das Ding nicht gesehen hatte. »Hören Sie mal,« sagte ich leise, mit meinen Augen auf Gip und den kleinen roten Teufel weisend, – »Sie haben wohl nicht viel Derartiges hier, was?«

      »Das war keiner von unsern! Wahrscheinlich haben Sie ihn mitgebracht!« sagte der Mann, ebenfalls leise und mit strahlenderem Lächeln als je. »Ganz erstaunlich, was die Leute immer mit sich herumschleppen, ohne daß sie's merken!« Dann zu Gip: »Siehst du hier irgendwas, was dir gefällt?«

      Es waren recht viele Dinge da, die Gip gefielen.

      Er wandte sich mit einem Gemisch von Zutraulichkeit und Respekt zu dem erstaunlichen Ladenmann. »Ist das ein Zauberschwert?« fragte er.

      »Ein hölzernes Zauberschwert. Biegt sich nicht, bricht nicht, schneidet einen nicht in den Finger. Macht seinen Träger unbesiegbar in jedem Kampf gegen alle Menschen unter achtzehn Jahren. Von einer halben Krone bis zu sieben Schilling und Sixpence – je nach Größe. Die Pappdeckelrüstungen hier sind für jugendliche fahrende Ritter – äußerst praktisch – ein Sicherheitsschild – Siebenmeilenstiefel – ein Tarnhelm.«

      »O, Väterchen!« stieß Gip atemlos heraus.

      Ich versuchte, ausfindig zu machen, was diese Gegenstände kosteten; aber der Mann beachtete mich gar nicht. Er hatte jetzt Gip glücklich erwischt; hatte ihn von meinem Finger weggelotst und hatte sich Hals über Kopf in die Vorführung all seiner verwünschten Herrlichkeiten gestürzt; ich vermochte ihn nicht aufzuhalten. Bald bemerkte ich mit einem angstvollen Gefühl des Mißtrauens und mit etwas, was ganz verteufelt wie Eifersucht aussah, daß Gip den Finger dieses Menschen gepackt hatte, so wie er sonst meinen packt. Na, ja, interessant war der Kerl ja, dachte ich, und er hatte auch einen ganz interessant aufgemachten Haufen von Waren, wirklich gut aufgemachte Ware; immerhin – –

      Ich wanderte hinter den Beiden drein, sagte fast gar nichts, behielt aber den gauklerischen Kerl immer im Auge. Schließlich – Gip hatte sein Vergnügen daran. Und wenn es Zeit war zu gehen, so konnten wir zweifellos auch ohne Schwierigkeit fort.

      Es war ein langer, unregelmäßig gebauter Raum, dies Magazin – eine Art von Galerie, die voll von Tischen und Schränken und Buden und Pfeilern war, mit schmalen Gängen, die wieder in andere Abteilungen führten, in denen sehr seltsam aussehende Gehilfen herumlungerten und einen anstarrten, und mit einer verwirrenden Menge von Spiegeln und Vorhängen. So verwirrend, daß ich in der Tat bald nicht mehr imstande war, die Tür zu erkennen, durch die wir hereingekommen waren.

      Der Mann zeigte Gip Zauber-Eisenbahnzüge, die ohne Dampf oder Federmechanismus hierhin und dahin fuhren, je nachdem die Signale aufgezogen wurden, und dann ein paar ganz außerordentlich wertvolle Schachteln mit Bleisoldaten, die, sobald man den Deckel abhob, alle lebendig wurden und sagten: ... Ich selber habe kein so besonders scharfes Gehör, und es klang geradezu zungenbrecherisch, was sie sagten – aber Gip (der das Gehör seiner Mutter hat) verstand es augenblicklich.

      »Bravo!« sagte der Ladenmensch, indem er die Soldaten ohne weiteres in ihre Schachtel zurückpackte und diese Gip überreichte. »Na – also?« Und in einem Nu hatte Gip sie sämtlich wieder lebendig gemacht.

      »Sie nehmen die Schachtel?« fragte der Mann.

      »Wir nehmen sie,« sagte ich, »aber nur, wenn Sie den vollen Preis berechnen. In dem Fall müßten Sie uns freilich unbeschränkten Kredit geben – –«

      »Du liebe Zeit! Bitte!« Und der Mann warf die kleinen Männchen wieder in ihre Schachtel, klappte den Deckel zu, schwenkte das Ganze einmal durch die Luft – und siehe da! Er überreichte es uns, in braunes Papier gewickelt, verschnürt und mit Gips vollem Namen und voller Adresse auf dem Papier!

      Der Mann lachte ob meinem Erstaunen.

      »Das ist echte Zauberei,« sagte er. »Das Wahre!«

      »Ein bißchen zu echt für meinen Geschmack!« sagte ich.

      Darauf begann er Gip allerhand Kunststücke vorzuführen – seltsame Kunststücke, die noch seltsamer wurden durch die Art, wie er sie machte. Er erklärte sie – er zeigte ihren ganzen Mechanismus – und mein lieber, kleiner Kerl stand daneben und nickte wer weiß wie weise und verständnisinnig mit seinem kleinen, eifrigen Köpfchen dazu.

      Ich kann nicht sagen, daß ich so besonders gut aufgepaßt hätte. »Hei! Presto!« sagte der Zaubermann – und gleich darauf kam dann das kleine, helle »Hei! Presto!« des Jungen. Aber meine Aufmerksamkeit ward durch andere Dinge abgelenkt. Immer mehr kam es mir zum Bewußtsein, wie ganz ungewöhnlich seltsam der ganze Raum doch war. Geradezu durchtränkt von einem Gefühl der Seltsamkeit. Sogar über der Architektur – der Decke, dem Fußboden – über den wie zufällig verteilten Stühlen lag etwas Seltsames. Ich hatte eine sonderbare Empfindung – als ob sie, sobald ich sie nicht fest ansah, umtaumelten und sich bewegten und hinter meinem Rücken ein lautloses Blindekuhspiel trieben. Und die Wandbekleidung wies ein Schlangenmuster mit Larven auf, die bei weitem ausdrucksvoller waren, als es für Gip gut war.

      Plötzlich ward meine Aufmerksamkeit von einem der sonderbar aussehenden Gehilfen gefesselt. Er stand ein Stück weit von mir und wußte augenscheinlich nichts von meiner Gegenwart – ich erblickte so ungefähr drei Viertel seiner Länge durch einen Säulenbogen über einem Stapel von Spielsachen – er lehnte augenscheinlich an einem Pfeiler und machte die scheußlichsten Dinge mit seinem Gesicht. Ganz besonders scheußlich war, was er mit seiner Nase trieb. Und er machte es so ganz einfach, als hätte er eben nichts anderes zu tun und amüsiere sich bloß ein bißchen. Zuerst war es eine ganz kurze Kartoffelnase; dann plötzlich schoß sie heraus wie ein Teleskop, schoß und schoß und wurde dünner und dünner, bis sie aussah wie eine lange, rote, biegsame Gerte. Wie ein Alpdrücken war es! Und er fuhr mit ihr herum und schwang sie, wie ein Angler seine Rute.

      Mein erster Gedanke war, daß Gip das nicht sehen dürfte. Ich wandte mich um; Gip war völlig in Anspruch genommen von dem Ladenbesitzer und ahnte nichts Böses. Sie redeten leise miteinander und blickten dabei auf mich. Gip stand auf einem kleinen Sessel, und der Mann hielt eine Art großer Trommel


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