Leo - Wismeldas Rache. Eva Haring-Kappel

Leo - Wismeldas Rache - Eva Haring-Kappel


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schmutziges Wesen, das behauptete, eine Elfe zu sein, begegnete uns auf einer Lichtung im Wald und wir wurden es nicht mehr los. Zuerst hatten wir Angst vor dem Geschöpf, denn es hatte ständig Hunger und aß alle unsere mitgebrachten Vorräte auf, angeblich weil es sich in ein Menschenmädchen verwandeln wollte und darum viel essen musste. Irgendwann wurden wir beste Freunde. Wie das alles genau weiterging, könnt ihr ja in meinem ersten Buch nachlesen. Nun will ich lieber erzählen, was seither alles passiert ist.

      Es war ein trüber, regnerischer Tag Anfang September. Leo stürmte zur Tür herein, wie es so ihre Art ist, und schrie: „Felix, stell dir vor, wir werden zusammen in die Schule gehen!“

      Ich schaute sie ein wenig verwundert an, wie konnte jemand wie sie überhaupt noch etwas dazulernen? Leo, die in ihrem früheren Leben eine Elfe gewesen und mit unserer Hilfe ein Menschenmädchen geworden war, ist nämlich wirklich extrem weise und schlau.

      „Man kann immer etwas dazulernen, niemand weiß alles, nicht einmal ich, obwohl ich sicher viel mehr weiß als ihr und all eure Bücher und diese Computerlexika. Vielleicht weiß ich sogar mehr als eure Lehrer“, antwortete sie auf meine Gedanken hin, die sie meistens errät, wenn sie mir nur lange genug in die Augen guckt.

      „Du bist bescheiden wie immer“, stänkerte ich.

      „Na ja, Ehre, wem Ehre gebührt! Agnes hat mich heute in der Schule angemeldet. Ich wäre ja viel lieber mit Anna in einer Klasse gewesen, aber die Frau Direktor hat gemeint, ich wäre viel zu klug für die erste Klasse, deshalb probieren wir es gleich mal mit der zweiten.“

      Ich setzte eine gleichgültige Miene auf, denn ich wollte auf keinen Fall, dass Leo herausfand, was ich dachte. Mir war die Vorstellung, mit ihr in einer Klasse zu sitzen, nämlich eher unangenehm.

      Ich bin kein besonders guter Schüler. Meine Freunde wissen das und Georg zum Beispiel kämpft auch dauernd mit schlechten Noten, obwohl er immer angibt, was das Zeug hält, und so tut, als hätte er die Weisheit mit Löffeln gefressen. Aber Leo hätte ich gerne im Unklaren gelassen, was meine schulischen Fähigkeiten betrifft.

      „Du freust dich offenbar nicht besonders“, stellte sie denn auch sofort fest.

      „Doch, doch, aber ich muss diese Information erst einmal verarbeiten“, log ich. „Schließlich brauchst du wirklich keinen Schulunterricht.“

      „Ich bin gespannt, was die anderen dazu sagen, wenn sie erfahren, dass ich in eure Klasse gehen werde.“

      Oh ja, darauf war ich auch gespannt.

      Die Nachricht schlug erwartungsgemäß ein wie eine Bombe. Wendel, Benni und Georg machten lange Gesichter, als Leo ihnen die Neuigkeit präsentierte. Sie dachten wohl ähnlich wie ich. Ich weiß nicht, ob unserer Freundin die trübe Stimmung auffiel, die sie mit ihrer Nachricht ausgelöst hatte, jedenfalls ließ sie sich nichts anmerken. Ganz im Gegenteil, sie schmiedete bereits Zukunftspläne und erklärte uns, wie sie sich unseren gemeinsamen Schulalltag vorstellte.

      Bestimmt war die Situation für Leo nicht einfach, denn sie war nun zwar ein Menschenmädchen und hatte sich damit einen lang gehegten Traum erfüllt, gleichzeitig war sie jedoch für immer abgeschnitten von ihrem alten Leben, von ihrer Familie, ihrer Welt, dem Vertrauten, das früher alles für sie bedeutet hatte. Ich merkte oft, dass sie traurig in die Ferne blickte, wenn sie sich unbeobachtet fühlte. Wahrscheinlich dachte sie in solchen Momenten an ihre kleine Schwester Gwendolyn und an ihre Eltern, die sie nie mehr wiedersehen würde.

      In unsere Welt hatte sie nur Prinz Edmund, ihren Beschützer, mitgenommen. Er hatte wie sie selbst seine Unsterblichkeit aufgegeben, um einen kleinen Fuchs zu retten und unsere Welt betreten zu können, und er ist von einem namenlosen Tier zu einer wunderschönen, riesigen schwarzen Dogge geworden. Er wich nicht von Leos Seite und es würde sicher ein Problem werden, ihn davon zu überzeugen, dass er nicht mit ins Klassenzimmer durfte und zumindest während der Schulstunden seine Herrin nicht bewachen konnte. Er habe die Fähigkeit zu sprechen zusammen mit der Unsterblichkeit verloren, das behauptet zumindest Leo, obwohl ich manchmal glaube, dass das nicht ganz stimmen kann. Ich denke, er spricht mit Leo, nur uns schweigt er an. Ich mag ihn trotzdem sehr gerne, auch wenn ich ihn manchmal immer noch ein wenig unheimlich finde.

      Trotzdem war die Vorstellung, so ein naseweises Ding wie Leo in der Schule ständig um uns herum zu haben, für uns Jungen natürlich ziemlich unangenehm. Ich hatte ja selbst keine Ahnung, wie es mir mit den anderen in der Klasse ergehen würde, denn ich war nur aufgrund der verlängerten Forschungsreise meiner Eltern gezwungen, in die Dorfschule zu gehen. Hier war bestimmt alles ganz anders als in der Großstadt, wo ich sonst zur Schule ging. Ich hatte zwar meine Freunde Benni, Wendel und Georg, aber es gab schließlich noch eine Menge anderer Kinder, die ich gar nicht kannte. Zu diesen Sorgen gesellte sich nun auch noch die Sache mit Leo. So blickte ich dem ersten Schultag in der neuen Klasse eher skeptisch entgegen.

      Obwohl es die letzte Ferienwoche über nahezu ständig geregnet hatte, schien an diesem besonderen Tag die Sonne warm und freundlich vom Himmel, der so tiefblau wie frisch gewaschen leuchtete. Ich überlegte kurz, ob meine ausgeleierten Jeans und die alten Turnschuhe zu wenig feierlich für den Anlass sein könnten, ließ dann aber mein Outfit unverändert, was sofort eine tadelnde Bemerkung meiner Großmutter nach sich zog.

      „Ein wenig feiner hättest du dich heute aber schon herausputzen können, Felix“, meinte sie.

      Ich reagierte gar nicht darauf, weil ich viel zu nervös war. Das dürfte sie wohl auch bemerkt haben, denn sie sagte nichts weiter. Sogar als ich das Frühstück unberührt stehen ließ, schwieg sie. Beim Hinauslaufen strich sie mir sanft über den Kopf und wünschte mir viel Glück für den Start ins neue Schuljahr.

      Georg wartete bereits vor dem Haus auf mich, und als wir uns auf den Weg machten, gesellten sich nach und nach die anderen zu uns. Wendel hatte natürlich seine jüngere Schwester Anna dabei, nur Leo fehlte noch.

      „Sicher ist sie jetzt beleidigt, ihr habt schließlich kein Geheimnis daraus gemacht, dass ihr euch nicht gerade freut, sie bei euch in der Klasse zu haben“, versuchte uns Anna ein schlechtes Gewissen einzureden. Sie ist immer sehr drastisch, wenn es darum geht, uns ein wenig fertigzumachen.

      Gemeinsam erreichten wir das Schulgebäude, das etwas außerhalb des Dorfes liegt. Es ist ein großes graues Haus mit einem verwitterten Ziegeldach. Die großen Fenster blickten mich dunkel und bedrohlich an, so schien es mir zumindest, und ich hatte ein unangenehmes Kribbeln in der Magengegend. Viele Mädchen und Jungen tummelten sich im Schulhof und der Lärmpegel war ziemlich hoch. Ich hielt mich dicht bei meinen Freunden und bemerkte die neugierigen Blicke einiger Kinder, die mich von oben bis unten musterten. Ich war unverkennbar der Neue hier.

      Am Schwarzen Brett in der Aula waren die Klasseneinteilungen angeschlagen, und da es aufgrund der geringen Schülerzahl nur eine zweite Klasse gab, war ich erleichtert zu lesen, dass ich wirklich mit meinen Freunden gemeinsam die Schulbank drücken würde. Anna, die ein Jahr jünger ist als wir, verließ uns an dieser Stelle, denn ihre neue Klasse befand sich im Parterre den Gang hinunter.

      Unser Klassenzimmer lag im ersten Stock und wir stiegen gemeinsam die breite Treppe hinauf. Ganz oben auf der letzten Stufe stand Leo und blickte uns finster entgegen. Unwillkürlich musste ich an unsere erste Begegnung mit ihr denken, als sie uns so geheimnisvoll und unheimlich erschienen war.

      „Da seid ihr ja endlich, wo wart ihr denn so lange?“, begrüßte sie uns. Im selben Augenblick bimmelte die Schulglocke und wir rannten die letzten paar Meter.

      Als wir zu fünft durch die Tür stürmten, starrten uns alle neugierig entgegen. Anscheinend waren wir wirklich die Letzten. So blieb uns nur noch die erste Reihe zum Sitzen übrig, was ich eigentlich gar nicht leiden kann. Man befindet sich immer im Blickfeld der Lehrer und kann weder tratschen noch schummeln. Auch wird man ständig mit Bankfragen gemartert. Aber ich hatte keine Zeit zu grübeln, denn unsere Klassenlehrerin, die die ersten Schulstunden am ersten Schultag hält, kam schon zur Tür herein.

      Helga Kleinschuster, so heißt sie, ist eine schon etwas in die Jahre gekommene, rundliche Dame mit einer großen Brille. Sie unterrichtet die Schulfächer


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