Geh nie alleine essen! - Neuauflage. Keith Ferrazzi
hörte, ging es mir genauso.
Feigles hatte mit 44 Jahren beschlossen, dass sie nicht mehr Friseurin sein wollte. Sie wollte Ingenieurin werden. Von Anfang an gab es Bremser, die hartnäckig behaupteten, das sei unmöglich. Aber deren Negativität goss nur noch mehr Öl in ihr Feuer.
„Ich habe bei dieser ganzen Sache viele Freunde verloren“, so Feigles. „Die Menschen werden neidisch, wenn man sich zu etwas entschließt, von dem niemand gedacht hatte, dass man es tun würde oder könnte. Da muss man sich einfach durchboxen.“
Ihr Abenteuer liest sich wie ein Karriereberatungsbuch, in dem eine kühne Mission und die Bereitschaft, sich an andere Menschen zu wenden, Chancen schaffen, die einem Highschool-Absolventen vorher nicht offenstanden. Sie vermittelt aber auch eine ernüchternde Dosis Realismus: Veränderung ist hart. Man kann Freunde verlieren, auf scheinbar unüberwindliche Hindernisse stoßen und vor der problematischsten Hürde von allen stehen – dem eigenen Selbstzweifel.
Feigles wollte eigentlich schon immer aufs College gehen. Ihre Mutter hatte sie in der Kleinstadt Milton in Pennsylvania alleine aufgezogen, sodass sie kaum Möglichkeiten hatte.
Sie heiratete mit 17 und war ein Jahr danach schwanger. Sie arbeitete im Friseursalon ihres Mannes in Vollzeit und zog ihren einzigen Sohn auf. Zwanzig Jahre vergingen. Nach der zweiten Scheidung überdachte Feigles ihr Leben. Wachstum, so überlegte sie, kommt nur durch Veränderung. Und Veränderung kommt nur durch neue Ziele.
Sie arbeitete als Teilzeitsekretärin in der Handelskammer, aber sie begriff bald, dass das Leben noch mehr zu bieten hatte. „Ich dachte mir nur: ‚Das ist doch dämlich. Warum sitze ich am falschen Ende? Nicht jeder, der einen Doktor in Physik hat, ist gleich Albert Einstein.‘ “
Es stimmt zwar, dass nicht jeder Ingenieur ein Genie ist, aber alle Ingenieure beherrschen die Algebra – was Feigles nicht von sich behaupten konnte. Deshalb klemmte sie sich dahinter und lernte es innerhalb weniger Monate.
Nach einem Sommerkurs am örtlichen College beschloss sie, sich an einer der besten Ingenieurschulen des Landes, der Bucknell University, zu bewerben. Die stellvertretende Fakultätsleiterin Trudy Cunningham beschönigte die Situation keineswegs.
„Als sie herkam, sagte ich ihr, dass sie es schwer haben würde. Sie war erwachsen, hatte ein Leben, eine Wohnung, ein Auto und sie musste mit jungen Leuten konkurrieren, die im Wohnheim wohnten und denen das Essen gekocht wurde.“ Zum Glück war Feigles ihr Leben lang als „Connector“ aktiv gewesen. Sie war Mitglied in mehreren Organisationen, sie gehörte dem Vorstand des YMCA, der Handelskammer von Milton und des Parks and Recreation Committee an. Zeitweise war sie auch Mitglied im Gartenbauverein und in der Milton Business Association. Sie hatte überall Freunde und Ratgeber, die sie unterstützten.
Die anderen Studenten feierten nach den Lehrveranstaltungen Partys und gingen zu Footballspielen. Feigles arbeite abends im Friseursalon und hatte danach noch ein anstrengendes Lernpensum vor sich. Sie kann sich an keinen Tag erinnern, an dem sie nicht daran dachte, aufzugeben.
Sie erinnert sich an die Rückgabe der ersten Physikklausur. Sie war durchgefallen.
„Eine andere Studentin dachte, das wäre der Weltuntergang. Ich sagte ihr, sie solle sich keine Sorgen machen, ich würde mich schon nicht umbringen“, erinnert sie sich mit der Abgeklärtheit derjenigen, die das alles hinter sich haben. Am Ende bekam sie die Note 3.
Viele schlaflose Nächte und einige 3er-Benotungen später fand sich Feigles im Jahre 1999 unter 137 anderen Ingenieurabsolventen wieder. Niemand staunte darüber mehr als die Absolventin selber: „Ich dachte die ganze Zeit: ‚Was habe ich da bloß gemacht?‘ Und dann sagte ich mir immer wieder: ‚Ich habe es geschafft, ich habe es tatsächlich geschafft!‘ “
Nachdem sie ihre Ziele erreicht hatte, wuchs ihr Netzwerk weiter – und zwar nicht nur was Freundschaften und Geschäftskontakte angeht. Inzwischen ist sie nämlich wiederverheiratet – mit ihrem früheren Chef aus der Handelskammer – und hat eine berufliche Laufbahn im Verkehrsministerium von Pennsylvania begonnen. Seit Kurzem ist sie Vorsitzende des Planungsausschusses, für den sie früher als Sekretärin Notizen machte.
Die eigenen Ziele zu erreichen kann schwierig sein. Aber wenn Sie erst einmal Ziele haben, einen realisierbaren Plan, diese zu erreichen, und eine Reihe vertrauenswürdiger Freunde, die Ihnen dabei helfen können, dann können Sie so ziemlich alles schaffen – sogar mit über vierzig noch Ingenieur werden.
PORTRÄTS GROSSER „CONNECTORS“
Bill Clinton
„Erkenne deine Lebensaufgabe.“
Im Jahre 1968 lernte William Jefferson Clinton, der mit einem Rhodes-Stipendium an der Oxford University studierte, auf einer Party einen Studenten namens Jeffrey Stamps kennen. Clinton zog prompt ein schwarzes Adressbuch aus der Tasche und fragte: „Was machst du hier in Oxford, Jeff?“
„Ich bin mit einem Fulbright-Stipendium in Pembroke“, antwortete Jeff. Clinton notierte „Pembroke“ und fragte Stamps, wo er vorher studiert hatte und was sein jetziges Hauptfach war. „Bill, warum schreibst du dir das auf?“, fragte Stamps.
„Ich gehe in die Politik; ich will Gouverneur von Arkansas werden und notiere mir alle Menschen, die ich kennenlerne“, sagte darauf Clinton.
Diese Geschichte, an die sich Stamps erinnerte, ist ein prägnantes Beispiel dafür, dass Bill Clinton schon damals direkt auf andere Menschen zuging und sie in seine Mission einbezog. Schon damals wusste er, dass er für ein öffentliches Amt kandidieren wollte, und seine Zielstrebigkeit bestärkte ihn in seinen Bemühungen, dies sowohl mit Leidenschaft als auch mit Ernsthaftigkeit zu erreichen. Der 42. Präsident der Vereinigten Staaten hatte sich schon während seines Erststudiums in Georgetown angewöhnt, jeden Abend die Namen aller Menschen, die er an diesem Tag getroffen hatte, auf Karteikarten zu notieren.
Sein politischer Ehrgeiz und seine Fähigkeit, auf andere zuzugehen, gingen während seiner gesamten politischen Laufbahn Hand in Hand. Als er im Jahre 1984 Gouverneur von Arkansas war, besuchte er zum ersten Mal eine Veranstaltung über landesweites Networking und geistige Führung – das Renaissance Weekend in Hilton Head in South Carolina. Clinton hatte die Einladung von seinem Freund Richard Riley bekommen, der damals Gouverneur von South Carolina war. Für einen Menschen wie Clinton, der keine Gelegenheit verstreichen ließ, Freundschaften zu schließen und neue Menschen kennenzulernen, war das Renaissance Weekend wie ein Besuch im Spielzeugladen. Die Washington Post beschrieb Clintons Teilnahme an der Veranstaltung in einem Artikel im Dezember 1992 so:
„Viele Teilnehmer erinnern sich bei dem Gedanken an Clintons Anwesenheit eher an Bilder als an Worte: wie er von einer Diskussion zur nächsten ging, wie er sich einen Platz am Rand des Saals suchte und sich entspannt an die Wand lehnte; dass er jeden zu kennen schien, und zwar nicht nur die Namen der Personen, weil jeder ein Schildchen trug, sondern auch was sie beruflich machten und wofür sie sich interessierten. ‚Er umarmt einen‘, erzählt Max Heller, ehemaliger Bürgermeister von Greenville. ‚Er umarmt einen nicht nur körperlich, sondern mit seinem gesamten Wesen.‘ “
Heller bezieht sich damit auf Clintons einmalige Fähigkeit, mit jedem beliebigen Gesprächspartner fast augenblicklich eine intime Atmosphäre zu erzeugen. Clinton erinnert sich nicht einfach nur an persönliche Details; er benutzt diese Informationen vielmehr, um ein Band mit dem Gesprächspartner zu knüpfen.
Man kann von Clinton zwei Dinge lernen: Erstens, je konkreter man weiß, wohin man im Leben kommen will, desto leichter kann man eine passende Networking-Strategie entwickeln, um dieses Ziel zu erreichen.
Zweitens, seien Sie sensibel und stellen Sie bei Ihren Interaktionen mit anderen Menschen echte Verbindungen her. Normalerweise rechnen wir ja schon damit, dass Menschen, die reich oder mächtig werden, andere von oben herab behandeln. Clinton beweist, wie charmant und beliebt man werden und bleiben kann, wenn man jeden ernst nimmt, den man kennenlernt.