Sophienlust Staffel 14 – Familienroman. Elisabeth Swoboda
Es wird ihm nicht schaden, wenn er noch eine Zeitlang im ungewissen bleibt.«
Lauretta verabschiedete sich von Irene in gehobener Stimmung. Sie war erleichtert, weil sie eine Möglichkeit sah, das, was sie verschuldet hatte, wiedergutzumachen. Es war für sie nicht schwer gewesen zu begreifen, dass Irene gegen eine Versöhnung mit Otmar nichts einzuwenden hatte. Sie brauchte also nichts weiter zu tun, als Otmar mitzuteilen, wo sich Irene aufhielt. Allerdings wollte sie damit bis zu ihrer Abreise warten, um Otmar Zeit zu lassen, gründlich in sich zu gehen. Je mehr er Irene vermissen würde, desto glücklicher würde er sein, wenn er sie fand.
Einstweilen weihte Lauretta Denise von Schoenecker in ihren Plan ein. Sie war nicht sonderlich überrascht, als sie erfuhr, dass Denise über Anselms Vater bereits Bescheid wusste.
Denise freute sich, dass ihr Wunsch, Irene wieder glücklich zu sehen, in greifbare Nähe gerückt war. Auch Anselm würde davon provitieren. Über Irene war Denise mit Lauretta einer Meinung: Sie würde sofort bereit sein, zu ihrem Mann zurückzukehren. Nur was Otmar betraf, peinigten Denise gewisse Zweifel. War er es überhaupt wert, dass Irene ihm verzieh? Und legte er wirklich Wert darauf?
*
So kam der Tag von Laurettas Abreise heran. Lauretta hatte sich von Anselm verabschiedet und ihm versprochen, viele bunte Ansichtskarten zu schicken. Anselm fiel der Abschied von seiner Mutter nicht allzu schwer. Er sah darin nichts Besonderes, denn er war gewohnt, dass sie verreiste.
Ein wenig stolz war er schon auf seine schöne Mami, die von den anderen Kindern in Sophienlust so bewundert worden war. Trotzdem war er lieber mit Tante Irene beisammen, obwohl diese manchmal traurig war. Aber er konnte mir ihr spielen und herumtollen. Es machte ihr nichts aus, wenn dabei ihr Kleid schmutzig wurde.
Irene war noch immer auf Arbeitssuche. Sie hatte zwar schon etwas in Aussicht, aber die Lehrerin, die das Baby erwartete, würde erst in ein paar Wochen daheim bleiben. Irene hätte lieber sofort mit einer ernsthaften Arbeit begonnen. Gewiss, es war angenehm, in Sophienlust zu sein, den Kindern ein wenig Nachhilfeunterricht zu erteilen und mit Ihnen zu spielen. Aber auf die Dauer lenkte sie das nicht von ihren Sorgen ab. Sie wusste auch noch immer nicht, sollte sie nun die Scheidung einreichen oder nicht. Lauretta hatte gemeint, es würde nichts schaden, Otmar noch eine Weile im ungewissen zu lassen, aber Irene fehlte Laurettas kühle Zielstrebigkeit. Sie brachte es nicht fertig, leidenschaftslos darüber zu entscheiden, welcher Weg für sie der günstigste wäre. Sie quälte sich mit Zweifeln ab. Vermisste Otmar sie überhaupt? Sollte sie hierbleiben oder zu ihm zurückkehren? Nein, das ließ ihr Stolz doch nicht zu.
*
Lauretta hatte inzwischen so gehandelt, wie sie es sich vorgenommen hatte. Kurz vor ihrer Abreise hatte sie Otmar mitgeteilt, dass sich Irene in Sopienlust aufhalte.
Otmar war Lauretta für diese Aufklärung dankbar, aber er teilte nicht Laurettas Optimismus. War es denn sicher, dass Irene ihm verzeihen würde?
Bei Laurettas Abreise hatte er nichts anderes als Erleichterung gefühlt. Dieses Kapitel seines Lebens war nun abgeschlossen. Doch würde Irene ihm das glauben? Dabei fehlte sie ihm so sehr, dass er es kaum noch ertragen konnte. Aber auch nach Anselm hatte er Sehnsucht. Vor allem die Abende, die er einsam in seiner Villa verbrachte, trieben ihn beinahe zum Wahnsinn.
In der Nähe der Sparkasse lag ein Spielwarengeschäft, an dem Otmar oft vorüberkam. Einmal fiel ihm im Schaufenster ein großer bunter Ball auf. Er erinnerte ihn an das kleine blonde Mädchen in Sophienlust, das so traurig gewesen war, weil der Bernhardiner seinen Ball zerbissen hatte. Ob es wohl schon einen neuen bekommen hatte? Kurz entschlossen betrat Otmar das Geschäft und kaufte den Ball, den er anschließend in die Sparkasse mitnahm.
Nach Dienstschluss fuhr Otmar nach Sophienlust. Er parkte seinen Wagen genau an dem gleichen Platz, an dem er ihn das letzte Mal abgestellt hatte. Doch diesmal zögerte er nicht bei dem Tor, das in den Park führte, sondern schritt rasch hindurch.
Otmar hatte Glück. Anselm spielte mit einigen anderen Kindern im Freien und lief seinem Vater entgegen.
»Das ist fein, Vati, dass du kommst«, rief der Junge. »Oh, ist das ein schöner Ball. Gehört der mir?«
»Nein. Ich habe ihn für das kleine Mädchen mit den hellblonden Schwänzchen mitgebracht. Wo ist es denn?«
»Du meinst Heidi. Ich werde sie suchen.«
»Nein, warte, gib du ihr den Ball. Ich bin eigentlich gekommen, weil ich mit jemandem sprechen will.«
Ein größeres Mädchen löste sich aus der Gruppe. »Wollen Sie mit Frau Rennert, der Heimleiterin, sprechen?«, fragte es.
Otmar nickte.
»Kommen Sie, ich führe Sie zu ihrem Zimmer«, versprach das Kind und ging voraus durch die große Halle. Dann trat es zu einer Tür, klopfte und öffnete die Tür.
»Tante Ma, Anselms Vater ist gekommen, um mit dir zu sprechen«, sagte das Mädchen und ließ Otmar eintreten.
In dem Raum befanden sich zwei Frauen. Die ältere der beiden blickte Otmar etwas neugierig entgegen, aber es war die jüngere, die das Wort ergriff.
»Sie sind also Herr Wieninger«, sagte Denise. »Ich muss gestehen, ich habe Sie schon viel früher hier erwartet. Ich bin Frau von Schoenecker«, fügte sie hinzu.
Otmar fühlte sich äußerst unbehaglich und wünschte sich, weit weg zu sein. Daran änderte sich auch nichts, als Denise ihn bat, Platz zu nehmen.
»Ihr Sohn ist bereits ziemlich lange bei uns«, fuhr Denise fort. »Es wundert mich daher, dass Sie uns erst heute aufsuchen.«
»Ich wusste nicht, dass Anselm hier war«, verteidigte sich Otmar.
»So?« Denise hatte nicht vor, Otmar die Situation zu erleichtern. Es blieb ihm daher nicht erspart, von Lauretta und seinem Verhältnis zu ihr zu berichten. Frau Rennert und Denise hörten ihm schweigend zu.
»Ich habe gehört, dass sich auch meine Frau hier aufhält«, sagte Otmar schließlich. »Ich würde sie gern sehen.«
»Ja, Ihre Frau ist hier«, entgegnete Denise. »Ich weiß allerdings nicht, ob sie über Ihren Besuch erfreut sein wird.« Als sie merkte, dass es keinen Sinn hatte, Otmar noch länger hinzuhalten, fügte sie hinzu: »Ihre Frau ist in der Bibliothek. Zweite Tür links.«
Damit war Otmar entlassen. In seiner Aufregung öffnete er zuerst die Tür zum Speisesaal. Da sich darin aber weder Bücher noch Irene befanden, erkannte er rasch seinen Irrtum und suchte weiter.
Bei der nächsten Tür hatte er mehr Glück. Irene blätterte gerade in einem dicken Lexikonband, den sie bei Otmars Eintritt fallen ließ. »Otmar!«, rief sie, wobei er nicht unterscheiden konnte, ob in ihrer Stimme Freude oder Schrecken lag. »Was willst du hier? Bist du gekommen, um Anselm zu besuchen?«
»Ja – nein«, verbesserte er sich. »Ich bin deinetwegen gekommen. Um dich zu bitten, zu mir zurückzukehren. Ich weiß nicht, wie ich dich davon überzeugen kann, aber glaube mir, ich werde mich ändern.«
Irenes Schweigen verwirrte ihn. Warum gab sie ihm keine Antwort? War alles umsonst?
»Du hast eben Anselm erwähnt«, sprach er weiter. »Wenn du schon von mir nichts wissen willst, möchtest du nicht ihm zuliebe zurückkommen? Seine Mutter ist damit einverstanden, dass er bei uns lebt.«
»Ja, ich weiß. Sie hat es mir selbst gesagt.«
»Dann hast du mit Lauretta gesprochen?«
»Ja.«
»Hat sie dir nicht auch erzählt, dass zwischen uns alles zu Ende ist? Es war nie so richtig … Ich meine, ich habe sie nie so geliebt, wie ich dich liebe. Lauretta und ich haben nie zusammengepasst. Ich hätte mich nie mit ihr einlassen dürfen. Es ist nichts Gutes dabei herausgekommen.«
Irene lächelte, obwohl ihr die Tränen in die Augen stiegen. »Du vergisst Anselm«, erinnerte sie ihn.
»Du hast den Jungen gern, nicht wahr? Du könntest ihm die Mutter ersetzen, und wenn wir