Birdie. Tracey Lindberg

Birdie - Tracey Lindberg


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diesen Anblick. Sie war fast sicher, dass ihm Haare am Hintern wuchsen.

      Als sie sich wieder dem alten Pocock zuwandte, tat sie, als hätte sie nichts gesehen, obwohl sie wusste, dass er es besser wusste. Sie ging zur Kasse, streifte einen Handschuh ab und nahm den Fünfdollarschein aus der Tasche. Sie gab ihm den Schein und schaute genau zu, wie er mit den drei Fingern an seiner rechten Hand das Wechselgeld abzählte. Sie wartete darauf, dass er es auf den Tresen legen würde, aber er stand wie immer einfach nur da, bis sie die Hand ausstreckte und er es hineinlegen konnte. Er hat es aufgegeben, ihr zu wenig herauszugeben, weil sie ihn dank ihrer Rechenkünste schon zwei Mal ertappt hat. Freda meinte, der Alte täte das aus Spaß, um herauszufinden, welche Kinder schlau waren und welche dumm. Bernice war es egal, sie blieb nie länger als nötig in seinem Laden.

      »Ich hätte gern eine Tüte, bitte.«

      Mit einem Grunzen griff er unter den Tresen; er hatte ihr noch kein einziges Mal von sich aus eine Tüte angeboten.

      Langsam wandte sie sich ab und stellte erleichtert fest, dass die Wölfe verschwunden waren. Sie wusste aber auch, dass sie nicht weit sein konnten, und rannte die drei Häuserblocks nach Hause. Als sie in ihre Straße einbog, keuchte und schnaufte sie, ihr flacher Atem erreichte kaum ihre Lunge. Sie lief langsamer und versuchte ihre Übungen zu machen.

      Ihre Atmung war fast wieder normal, als sie ihr Haus erreichte. In der Auffahrt und auf der Straße davor parkten Autos. Sie ging zu Onkel Larrys Pickup, der in der Mitte der Auffahrt stand. Manchmal brachte er auf der Ladefläche Bierkästen mit. Wenn ja, wollte Bernice sie verstecken. Das hatte sie schon öfter getan, und zweimal waren die Gäste dann früher gegangen. Sie schaute durch das Fenster seines Chevy und sah Terrys Handtasche ausgekippt auf dem Sitz liegen. Dass die Tasche Terry gehörte, weiß sie wegen des leuchtend grünen Leders. Es musste von einer Kuh sein, die so aussah wie die Pferde in der Smaragdstadt im Zauberer von Oz, dachte sie.

      Hinten auf der Ladefläche war kein Bier, sondern Blut. Es sah aus wie rosa Slush, weil es in der Kälte zu Kristallen gefroren war. Rosa Kleckse und rote Flecken führten von der Klappe am Ende der Ladefläche die Auffahrt hoch. Sie folgte der Spur bis zur Garage. Nancy Drew hätte gewusst, was jetzt zu tun war, aber Bernice fiel nichts Besseres ein, als an der Garagenwand, die zum Haus der Olsons hin lag, auf einen Schneehaufen zu klettern und durchs Fenster zu spähen.

      Aus dem Fest war jetzt eine Jagdfeier geworden. Terry, Bernice’ Onkel Larry, ihr Dad, Colin Ratt, Leonard Auger und Billy Morin saßen auf Milchkisten rings um einen tintenschwarzen Elch. Sie sah, dass das Bier schon in der Garage stand und dass die Männer mit geröteten Gesichtern und ausladenden Gesten lebhaft diskutierten. Terry lachte mit zurückgeworfenem Kopf über etwas, das Bernice’ Dad ihr zugeflüstert hatte. Sie stand auf, um sich ein Bier zu nehmen, und beugte sich direkt vor ihm aus der Hüfte herunter.

      »Bimbo.« Bernice atmete gegen die kleine Fensterscheibe, die sofort beschlug. Der Dunst verdeckte Terrys Minirock und ihre Beine.

      Auf den Werkbänken, die zusammengeschoben worden waren, lag eine Plastikdecke, und auf dem Zementboden eine große Rolle braunes Einschlagpapier.

      Wie auf Kommando näherten sich die Männer plötzlich dem Elch. Die Garage verschwamm und kippte auf Bernice zu, als sie in der Hand ihres Onkels ein Messer aufblitzen sah. Rasch und präzise häutete er den Elch und ließ die Schnauze dran. Die Schnauze ist eine Delikatesse, wie sie wusste, und war für das Festessen vorgesehen. Der noch warme Elch begann zu dampfen, als die kalte Luft auf seine Nacktheit trifft. Terry schnappte sich ein Messer wie ein Gefängnisinsasse bei einem Aufstand und griff nach dem Ohr des Elchs. Das Blut vernebelt Bernice’ Blick, und sie übergab sich, wobei sie nicht sich selbst traf, sondern den Fliederbusch. Sie setzte sich und schaute zu, wie die colabraune Flüssigkeit an seinen dürren Zweigen festfror – wie winzige Dekorationen an einem Weihnachtsbaum.

      Eine Weile darauf hörte sie ihre Mom nach ihr rufen, und dann legten sich ihre Arme um Bernice.

      »Komm rein, mein Mädchen, du warst aber lange weg.« Sie warf einen raschen Blick durch das Fenster. »Die haben mehr Spaß daran, als sie sollten.« Ihre Stimme klang ein bisschen komisch, und Bernice sah, als sie sich an ihr festhielt, in ihren müden, schimmernden braunen Augen Tränen glänzen.

      Bernice wurde in die Badewanne gesteckt, ihre Mutter presste Orangen in das warme Wasser.

      Bernice ließ heißes Wasser nachlaufen, bis es aufgebraucht war. Sie zog sich das Sturgeon-Lake-T-Shirt ihrer Mutter über und verkroch sich im Bett. Ihre Mom hatte ihr eine zusätzliche Decke aufs Bett gelegt und schaute hin und wieder nach, ob Bernice schon schlief. Sie fühlte sich fiebrig und fragte sich, ob sie krank sei, war aber zu müde, um etwas zu sagen.

      Später wurde sie von schweren Schritten geweckt, die von der Vordertür quer durch die Küche polterten, zur Kühltruhe vermutlich.

      Noch später folgen die Geräusche von Bierflaschen, die auf dem Boden abgestellt werden, während die Gäste sich ihre Stiefel ausziehen, weil sich die Feier von der Garage ins Haus verlagert. Sie schaute auf die kleine Uhr, die sie von ihrer Mom zu Weihnachten bekommen hatte. Es war halb fünf Uhr morgens.

      Ein leises Gespräch war zu hören, dann ein lauter werdender Streit, und Bernice bekam mit, dass ihre Mom erst mit ihrem Mann, dann mit ihrem Bruder schimpfte. Es wurde geschrien, und es gab ein Handgemenge. Bernice war sich nicht sicher, wie lange das so ging, denn sie döste immer wieder ein, wurde aber irgendwann wieder hellwach, weil die Bierflaschen aneinander klirrten und eine Tür zuschlug. Als sie das nächste Mal erwachte, hörte sie nichts mehr. Sie nahm an, dass alle eingeschlafen waren, und spürte, wie ihre Anspannung nachließ.

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      Ahhhhhhhhhh. Sie vermisst ihre Mutter. Der Schmerz im Magen wächst und greift auf den Brustkorb über. Bald wird er ihr die Kehle hochsteigen und sich aus ihren Augen ergießen, wenn sie nicht aufpasst. Die Liebe, diese Liebe, die ihr durch die Adern rauscht wie ein Strom, der über die Ufer zu treten droht, war üppig und gehaltvoll. Die Erinnerung beruhigt sie, und ganz unbemerkt setzt ihre Atmung aus.

      Sie kann die Dunkelheit im Zimmer riechen, die Leere hören, und Bernice fühlt, wie sich Fredas schmaler Leib auf die Matratze schiebt. Wie lange ist sie schon … auf Reisen? Sie hält die Augen geschlossen, spürt aber den Blick ihrer Cousine auf sich ruhen. So bleibt es lange.

      Bernice spürt, wie Freda sich unruhig neben ihr herumwälzt. Die alten Bodendielen der Wohnung seufzen kaum hörbar, als wäre die Bewegung der Schlusspunkt eines Satzes voller müder Verben und kraftloser Pronomen.

      Sie fragt sich, ob Freda sie noch sehen kann oder ob das Bett leer ist, wo sie sonst immer liegt.

      Ich bin nicht hier, denkt sie. Ich habe mich verwandelt.

      6Großmutter

      4

      WO SIE IST

      kasakes: ein Vielfraß, jemand, der/die viel isst

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       pawatamowin

      Sie traumriecht Mandeln und Pesto.

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