Die Riesen kommen. Herbert George Wells
»Sie haben nichß von Mrs. Skinner gehört?« fragte er.
Der Kalkbrenner – besten genaue Phrasen uns nicht interessieren – gab seinem höheren Interesse an Hennen Ausdruck ...
Es war schon dunkel – wenigstens so dunkel wie eine klare Juninacht in England sein kann – als Skinner – oder wenigstens sein Kopf in die Schenke zu den Lustigen Fuhrknechten kam und sagte: »Hallo! Sie hab'n woll nichß von die Geschichte mit meine Hennen gehör, was?«
»O, nich!« sagte Mr. Fulcher. »Na, 'n Teil von die Geschichte is mir in 'n Stalldach eingebrochen, und 'n anneres Kapitel hat 'n Loch in Missis Pasters Mistbeet – bitt' um Verzeihung – Gewächshaus geschlagen.«
Skinner trat ein. »Ich hätt' gern 'n bißchen was Stärkendes,« sagte er, »heißen Gin mit Wasser,« und alles begann ihm von den Hühnern zu erzählen.
»Du meine Güte!« sagte Skinner.
»Sie hab'n nichß von Mrs. Skinner gehör, was?« fragte er in einer Pause.
»Das hab'n wir nich!« sagte Mr. Witherspoon. »Wir hab'n nich an sie gedach. Wir hab'n an keinen von Ihnen gedach.«
»Sin Sie heute nich ze Haus gewes'n,« fragte Fulcher über einem Krug.
»Wenn einer von diese verdammtigen Vögel se gepick hat,« begann Mr. Witherspoon und überließ ihrer Phantasie das volle Grauen ohne Hilfe ...
Es deuchte die Versammlung zur Zeit, es werde ein interessanter Schluß eines ereignisreichen Tages sein, wenn man mit Skinner ginge und nachsähe, ob Mrs. Skinner etwas passiert sei. Man weiß nie, was man für Glück haben kann, wenn Unglücksfälle im Schwange sind. Aber Skinner, der am Schenktisch stand und seinen heißen Gin mit Wasser trank, während sein eines Auge über die Dinge hinter dem Schenktisch schweifte und das andere aufs Absolute fixiert war, verfehlte den psychologischen Moment.
»Es schein, mit die großen Wespen hat es heute nirgenß was gegeben?« fragte er mit ausgesuchter Uninteressiertheit.
»Zu viel mit Ihre Hennen ze tun gehab,« sagte Fulcher.
»Ich glaub, jetz sin se auf jeden Fall nach Haus gegangen,« sagte Skinner.
»Was – die Hennen?«
»Ich dachte eigentlich mehr an die Wespen,« sagte Skinner.
Und dann fragte er mit einer Miene der Vorsicht, die in einem wochenalten Baby Argwohn erweckt hätte, indem er schweren Nachdruck auf die meisten Worte legte, die er wählte: »Mir schein, nieman hat noch von irgeneinen annermgroßen Vieh gehör, das rumläuf, was? Großen Hunnen oder Katzen oder irgen so was? Mir schein, wenn große Hennen aufkommen, und große Wespen – –«
Er lachte mit dem fein gespielten Ausdruck eines Mannes, der müßiges Zeug redet.
Aber über die Gesichter der Leute aus Hickleybrow legte sich ein brütender Ausdruck. Fulcher war der erste, der ihrem sich verdichtenden Denken die konkrete Form der Worte lieh.
»Eine Katz gegen die Hennen – –« sagte Fulcher.
»Jaah!« sagte Witherspoon, »eine Katz gegen die Hennen.«
»Das müßt 'n Tiger sein,« sagte Fulcher.
»Mehr als 'n Tiger,« sagte Witherspoon.
Als schließlich Skinner dem einsamen Fußpfad über das schwellende Feld hin folgte, das Hickleybrow von der düsteren, fichtendunklen Mulde trennte, in der die Riesenschlingpflanzen im Schweigen mit der Experimentalfarm rangen, folgte er ihm allein.
Man sah ihn deutlich am Horizont aufragen, vor der warmen, klaren Unendlichkeit des Nordhimmels – denn so weit folgte ihm das öffentliche Interesse – und dann in die Nacht versinken, in ein Dunkel, aus dem er, will es scheinen, nie wieder auftauchen wird. Er ging – in ein Geheimnis. Bis auf den heutigen Tag weiß niemand, was ihm passiert ist, nachdem er den Kamm überschritten hatte. Als später, getrieben von ihrer eigenen Phantasie, die beiden Fulchers und Witherspoon den Hügel emporstiegen und ihm nachstarrten, hatte ihn die Nacht völlig verschlungen.
Die drei Männer standen nah beieinander. Kein Laut kam aus dem bewaldeten Dunkel, das ihren Augen die Farm verbarg.
»Alles in Ordnung,« sagte der junge Fulcher am Schluß des Schweigens.
»Seh keine Lichter,« sagte Witherspoon.
»Kann man nicht von hier.«
»Es is dunstig,« sagte der ältere Fulcher.
Sie überlegten eine Weile.
»Er wär zurückgekomm'n, wenn was verkehr wär,« sagte der junge Fulcher, und das schien so klar und entscheidend, daß der alte Fulcher »Na« sagte, und die drei gingen nach Haus und zu Bett – ich will zugeben, nachdenklich.
Ein Hirt draußen bei Hucksters Farm hörte nachts ein Quietschen, für dessen Quelle er Füchse hielt, und morgens war eins seiner Lämmer getötet, halbwegs nach Hickleybrow geschleppt und zum Teil verschlungen ...
Das Unerklärliche daran ist das völlige Fehlen jeder unbestreitbaren Überreste Skinners!
Viele Wochen später fand man unter den verkohlten Ruinen der Experimentalfarm etwas, was ein menschliches Schulterblatt so gut sein konnte wie nicht, und in einem anderen Teil der Ruinen einen langen Knochen, der stark benagt und gleich zweifelhaft war. In der Nähe des Gatters nach Eyebright zu fand man ein Glasauge, und viele Leute entdeckten darauf, daß Skinner einem solchen Besitztum viel von seinem persönlichen Charme verdankte. Es starrte mit jenem gleichen unvermeidlichen Ausdruck der Losgelöstheit in die Welt hinaus, jener gleichen, ernsten Melancholie, die die Erlösung seiner sonst weltlichen Züge gewesen war.
Und rings um die Ruinen entdeckte eine fleißige Nachsuche die Metallringe und die verkohlten Bezüge zweier Leinenknöpfe, drei ganze Knochenknöpfe und einen jener metallischen Art, wie sie an den weniger sichtbaren Nähten der menschlichen Bekleidung getragen werden. Diese Reste sind von maßgebenden Personen als für die Vernichtung und Zerstreuung eines Skinner beweisend angesehen worden, aber nach meiner vollen Überzeugung und in Anbetracht seiner charakteristischen Idiosynkrasie, muß ich gestehen, wären mir weniger Knöpfe und mehr Knochen lieber.
Das Glasauge scheint natürlich äußerste Überzeugungskraft zu besitzen, aber wenn es wirklich Skinner gehört hat – und selbst Mrs. Skinner wußte nicht sicher, ob jenes sein unbewegliches Auge aus Glas war – so hat irgend etwas seine Farbe aus einem flüssigen Braun in ein heiteres und zuversichtliches Blau verwandelt. Jenes Schulterblatt ist ein äußerst zweifelhaftes Dokument, und ich sähe es gern Seite an Seite neben den benagten Scapulae einiger der gewöhnlicheren Haustiere, ehe ich seine Menschlichkeit zugäbe.
Und wo waren zum Beispiel Skinners Stiefel? So pervers und seltsam das Gelüst einer Ratte sein muß, ist es zu denken, daß dieselben Geschöpfe, die ein Lamm nur halbverzehrt liegen lassen konnten, Skinner rein aufgefressen haben sollten, Haar, Knochen, Zähne und Stiefel?
Ich habe so viele Menschen, die Skinner einigermaßen genau kannten, ausgefragt, wie ich nur konnte, und samt und sonders stimmten sie darin überein, daß sie sich nicht vorstellen konnten, daß irgend etwas ihn fressen mochte.
Er gehörte, wie mir ein ehemaliger Seefahrer, der sich zur Ruhe gesetzt hatte und in einem von Mr. W. W. Jacobs' Häusern in Dunton Green wohnte, versichert hat, zu jenen Menschen mit einer vorsichtigen Bedeutsamkeit des Wesens, wie sie in jenen Gegenden nicht ungewöhnlich ist, Menschen, die »irgendwie aufgespült werden« und, was das verzehrende Element angeht, »gerade dazu taugen, ein Feuer auszulöschen«. Er meinte, Skinner werde auf einem Floß so sicher sein wie irgendwo. Der Seefahrer, der sich zur Ruhe gesetzt hatte, fügte hinzu, er wünsche nichts gegen Skinner zu sagen; Tatsachen seien Tatsachen. Und lieber als sich seine Kleider von Skinner machen lassen, sagte der Seefahrer, der sich zur Ruhe gesetzt hatte, wollte er die Gefahr auf sich nehmen, daß man ihn einsperrte. Diese Bemerkungen zeigten Skinner sicherlich