Die Riesen kommen. Herbert George Wells

Die Riesen kommen - Herbert George Wells


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je für möglich gehalten hab. Es is nich möglich, noch 'n Monat zu bleiben, Härr. Das is mehr, als unser Leben wert is, Härr. Und wenn uns die Wespen nich totstechen, Härr, dann werden uns die Schlingpflanzen versticken, Härr. Sie können sich nich vorstellen, Härr – wenn Se nich runter kommen und 's sich ansehn, Härr – –«

      Er wandte sein höheres Auge auf das Gesims über Redwoods Kopf. »Wie soll'n wir wissen, ob die Ratten 's noch nich haben, Härr. Wir haben tagelang Angst gehab von wegen die Ohrwürmer, die wir gesehen hab'n – wie Hummer waren sie – zwei Stück, Härr – un wie furchbar die Schlingpflanzen wuchsen, und sowie ich die Wespen hörte – sowie ich sie hörte, Härr, da wußt ich Bescheid. Ich hab keine Sseit verlor'n, bloß noch 'n Knopf angenäht, den ich verlor'n hatte, und dann kam ich an. Noch diesen Augenblick, Härr, bin ich wie verrück vor Angß, Härr. Was weiß ich, was Mrs. Skinner passiert, Härr. Die Schlingpflanzen wachsen wie die Schlang'n übers ganze Haus, Härr – Gott helf mir, aber Sie brauch'n se bloß sehn, Härr, und Se springen ihn'n aus'n Weg! – und die Ohrwürmer wer'n immer größer und größer, und die Wespen – –. Sie hat nich n'mal 'n blauen Sack, Härr – wenn was passieren sollte, Härr!«

      »Aber die Hennen,« sagte Mr. Bensington; »wie geht es den Hennen?«

      »Wir haben se bis gessern gefüttert, Gott soll mir helfen,« sagte Mr. Skinner. »Aber heut' morgen haben wir's nichgewag, Härr. Der Lärm von die Wespen war – ganz furchbar, Härr. Sie kamen rauß – zu Duzzenden, Härr. So groß wie Hennen. Ich sag zu ihr, ich sag, näh mir man bloß 'n paar Knöpfe an, sag ich, denn ich kann nich so nach London gehn, sag ich, un ich will zu Mißter Bensington, sag ich, un ihm die Sache auseinandersetzen. Un du bleibst mich in dies Zimmer, bis ich zurückkomm, sag ich, und hälß die Fenster so feß zu wie du nur kannß, sag ich.«

      »Wenn Sie nicht so verdammt unsauber gewesen wären – –« sagte Redwood.

      »O! sagen Se das nich, Härr,« sagte Skinner. »Nicht jetzt, Härr. Wo ich so bekümmert bin um Mrs. Skinner, Härr! O,bitte nich, Härr! Ich hab nich das Herz, mit Ihnen zu streiten. Gott soll mir helfen, Härr, wahrhaftig! Ich muß immerlos an die Ratten denk'n – wie soll ich wissen, daß se sich nich an Mrs. Skinner gemacht haben, während ich mich hier aufhalte?«

      »Und Sie haben kein einziges Maß von all diesen wundervollen Wachstumskurven!« sagte Redwood.

      »Ich bin ßu aus'm Häuschen, Härr,« sagte Mr. Skinner. »Wenn Se wüssen, was wir durchgemach haben – ich un meine Frau! Den ganßen letzen Monat. Wir hab'n nich gewuß, was wir dadraus machen sollt'n. Mit die Hennen, die so üppig wuchs'n und die Ohrwürmer un Schlingpflanz'n. Ich weiß nich, ob ich Ihn'n erzählt hab, Härr – die Schlingpflanzen ...«

      »Das haben Sie uns alles schon erzählt,« sagte Redwood. »Die Sache ist, Bensington, was sollen wir tun?«

      »Was sollen wir tun?« sagte Mr. Skinner.

      »Sie werden zu Mrs. Skinner zurückgehn müssen,« sagte Redwood. »Sie können sie da nicht die ganze Nacht allein lassen.«

      »Nich allein, Härr, das tu ich nich. Das tät ich nich, und wenn 'n Dutzend Mrs. Skinner da wären. Mister Bensington – –«

      »Unsinn,« sagte Redwood. »Die Wespen werden nachts Ruhe geben. Und die Ohrwürmer werden Ihnen aus dem Wege gehn –«

      »Aber die Ratten?«

      »Ratten sind gar nicht da,« sagte Redwood.

      VI

      Seine Hauptangst hätte Mr. Skinner sich sparen können. Mrs. Skinner harrte ihren Tag nicht aus.

      Gegen elf Uhr begannen die Schlingpflanzen, die den ganzen Morgen über in ruhiger Tätigkeit gewesen waren, über das Fenster zu klettern und es stark zu verdunkeln, und je dunkler es wurde, um so klarer sah Mrs. Skinner ein, daß ihre Stellung schnell unhaltbar werden würde. Und auch, daß sie viele Jahre gelebt hatte, seit Skinner fort war. Sie blickte eine Zeitlang aus dem dunklen Fenster durch die sich regenden Ranken, und ging dann sehr vorsichtig an die Bettzimmertür, öffnete sie und lauschte ...

      Alles schien ruhig, und so nahm Mrs. Skinner ihre Kleider hoch um sich auf und rannte mit einem Satz ins Schlafzimmer. Dort sah sie erst unters Bett und schloß sich ein; dann machte sie sich mit der methodischen Geschwindigkeit einer erfahrenen Frau daran, zum Aufbruch zu packen. Das Bett war noch nicht gemacht, und das Zimmer war mit den Stücken der Schlingpflanzen besät, die Skinner abgehackt hatte, um über Nacht das Fenster schließen zu können. Aber um diese Unordnung kümmerte sie sich nicht. Sie packte in ein reines Laken. Sie packte all ihre eigene Garderobe ein und eine Velvetjacke, die Skinner in seinen eleganteren Momenten trug, und sie packte einen Krug mit Eingelegtem ein, der noch ungeöffnet war, und soweit war sie in ihrem Packen gerechtfertigt. Aber sie packte auch zwei von den hermetisch geschlossenen Büchsen mit Herakleophorbia IV ein, die Mr. Bensington bei seinem letzten Besuch mitgebracht hatte. (Sie war keine Diebin, die gute Frau – aber sie war Großmutter, und das Herz hatte ihr im Leibe gebrannt, als sie so gutes Wachstum auf eine Bande verdammter Kücken verschwendet sah.)

      Und als sie all diese Dinge gepackt hatte, setzte sie den Hut auf, nahm die Schürze ab, band ein neues Schuhband um ihren Schirm, lauschte lange an Tür und Fenster, öffnete die Tür und vollzog den Ausfall in die gefahrenvolle Welt. Der Schirm stak ihr unterm Arm, und das Bündel hielt sie mit zwei krummen und entschlossenen Händen gepackt. Es war ihr bester Sonntagshut, und die beiden Mohnblumen, die den Kopf mitten unter seiner Pracht an Bändern und Perlen erhoben, schienen erfüllt vom gleichen zitternden Mut wie sie.

      Die Züge um ihre Nasenwurzel waren kraus vor Entschlossenheit. Sie hatte genug davon. Hier ganz allein! Skinner mochte dahin zurückkehren, wenn er wollte.

      Sie ging zur Vordertür hinaus und zwar nicht, weil sie nach Hickleybrow gehen wollte (ihr Ziel war Cheasing Eyebright, wo ihre verheiratete Tochter wohnte), sondern weil die Hintertür wegen der Schlingpflanzen unpassierbar war, die so wütend gewachsen waren, seit sie in der Nähe ihrer Wurzeln die Kanne mit dem Nährstoff umgestoßen hatte. Sie lauschte eine Weile und schloß die Vordertür aufs sorgfältigste hinter sich.

      An der Hausecke machte sie Halt und rekognoszierte ...

      Eine weite Sandnarbe am Hügel hinter den Fichtenwäldern bezeichnete das Nest der Riesenwespen, und die studierte sie mit allem Ernst. Das Ein- und Ausfliegen des Morgens war vorbei, es war gerade keine Wespe in Sicht, und abgesehen von einem Ton, der kaum merklicher war, als es eine arbeitende Dampfsäge zwischen den Fichten gewesen wäre, war alles still. Ohrwürmer sah sie keine. Unten im Kohl freilich rührte sich etwas, aber es konnte ebensogut eine Katze sein, die Vögel beschlich. Das beobachtete sie eine Zeitlang.

      Sie ging ein paar Schritte um die Ecke, bekam das Gehege mit den Riesenkücken in Sicht und machte wieder Halt. »Ah!« sagte sie und schüttelte bei ihrem Anblick langsam den Kopf. Sie waren um die Zeit von der Höhe der Emus, aber im Rumpf natürlich viel dicker – überhaupt größer. Es waren jetzt lauter Hennen und im ganzen fünf, da die zwei Hähne sich getötet hatten. Sie zögerte, als sie ihre gedrückte Haltung sah. »Die armen Tierchen!« sagte sie und legte ihr Bündel nieder; »sie haben kein Wasser. Und seit vierundzwanzig Stunden haben sie nichts zu fressen gehabt! Und bei dem Appetit, den sie haben!« Sie legte sich einen hageren Finger an die Lippen und ging mit sich zu Rate.

      Und dann tat dieses schmutzige, alte Weib etwas, was mir als eine ganz heroische Tat des Erbarmens erscheint. Sie ließ ihr Bündel und ihren Schirm mitten auf dem Ziegelpfad liegen, ging an den Brunnen und schöpfte nicht weniger als drei Eimer voll Wasser für den leeren Trog der Kücken, und als sie sich alle darum drängten, machte sie ganz leise die Tür des Geheges auf. Dann wurde sie äußerst beweglich, nahm ihr Gepäck wieder auf, kletterte hinten im Garten über die Hecke, ging über die üppigen Wiesen (um dem Wespennest auszuweichen) und arbeitete sich den gewundenen Pfad nach Cheasing Eyebright hinauf.

      Sie keuchte den Hügel hinauf und blieb im Gehen hin und wieder stehen, um ihr Bündel abzulegen und auf das kleine Landhaus neben dem Fichtenwalde unten zurückzustarren.


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