Die Riesen kommen. Herbert George Wells
wir werden es an irgendeinem Baby versuchen – sicher!«
»Gewiß,« sagte Bensington und kam und trat auf den Kaminteppich und nahm die Brille ab, um sie zu putzen.
»Ehe ich diese Kücken gesehen hatte, Redwood, glaube ich, hatte ich noch nicht einmal angefangen – das geringste von den Möglichkeiten dessen, was wir machen, einzusehen. Es fängt erst an, mir aufzudämmern ... die möglichen Folgen ...«
Und noch immer war Mr. Bensington, wie man sich denken kann, weit davon entfernt, sich vorzustellen, welche Mine diese kleine Lunte sprengen würde.
IV
Das war Anfang Juni. Einige Wochen lang hielt ein ernster, imaginärer Katarrh Bensington ab, die Experimentalfarm zu besuchen, und einen notwendig gewordenen, flüchtigen Besuch machte Redwood. Als er zurückkehrte, war er ein Vater, der noch besorgter aussah, als er ging. Im ganzen folgten sich sieben Wochen eines stetigen, ununterbrochenen Wachstums ...
Und dann begannen die Wespen ihre Karriere.
Es war Ende Juni und fast eine Woche, ehe die Hennen in Hickleybrow ausbrachen, als die erste der großen Wespen getötet wurde. Der Bericht darüber erschien in mehreren Zeitungen, aber ich weiß nicht, ob die Nachricht Mr. Bensington erreichte, viel weniger, ob er sie mit der allgemeinen Nachlässigkeit in Verbindung brachte, die auf der Experimentalfarm vorherrschte.
Jetzt kann kaum noch ein Zweifel darüber herrschen, daß, während Mr. Skinner Mr. Bensingtons Kücken mit Herakleophorbia IV behandelte, eine Anzahl Wespen ebenso fleißig – vielleicht fleißiger – der frühen Sommerbrut in den Sandbänken jenseits der benachbarten Fichtenwälder Vorräte der gleichen Pasta zutrug. Und es ist völlig unbestreitbar, daß diese Frühbrut der Substanz ebensoviel Wachstum und Nutzen entnahm, wie Mr. Bensingtons Hennen. Es liegt in der Natur der Wespen, daß sie die tatkräftige Reife vor dem Hausgeflügel erreichen – ja, von all den Geschöpfen, die – durch die großmütige Nachlässigkeit der Skinners – an den Wohltaten teilnahmen, mit denen Mr. Bensington seine Hennen überhäufte, waren die Wespen die ersten, die in der Welt irgendwelche Rolle spielten.
Ein Wildhüter namens Godfrey auf dem Gut Oberstleutnant Rupert Hicks bei Maidstone begegnete dem ersten dieser Ungeheuer, von dem die Geschichte berichtet, und hatte das Glück, es zu töten. Er watete knietief in einem Farrenstrich über einen offenen Platz in den Buchenwäldern, die Oberstleutnant Hicks Park variieren, und er trug seine Flinte – zu seinem Glück eine doppelläufige Flinte – über der Schulter, als er das Tier zuerst erblickte. Es flog, sagt er, vor dem Licht herab, so daß er es nicht eher deutlich sehen konnte, und im Nahen gab es ein Fauchen von sich, »wie ein Automobil«. Er gibt zu, daß er Angst bekam. Es war offenbar so groß oder noch größer als eine Scheuneneule, und seinem geübten Auge muß sein Flug und besonders das nebelhafte Schwirren seiner Flügel unheimlich vogelhaft erschienen sein. Ich denke mir, der Instinkt der Selbstverteidigung mischte sich mit der langen Gewohnheit, als er, wie er sagt, »grad drauflos paffte«.
Die Sonderbarkeit des Erlebnisses beeinflußte offenbar sein sicheres Zielen; auf jeden Fall ging sein Schuß zum großen Teil fehl, und das Vieh sank nur einen Moment mit einem zornigen »Sssss«, das sofort die Wespe verriet, und dann erhob es sich wieder, und all seine Streifen glänzten im Licht. Er sagt, es wandte sich gegen ihn. Auf jeden Fall feuerte er seinen zweiten Lauf auf weniger als zwanzig Meter, warf seine Flinte hin, lief ein paar Schritt und bückte sich, um ihm auszuweichen.
Es flog seiner Überzeugung nach innerhalb eines Meters an ihm vorbei, schlug auf den Boden, erhob sich wieder, stürzte vielleicht dreißig Meter weit entfernt von neuem und überschlug sich mit zappelndem Leib, während sein Stachel im letzten Todeskampf herausstach und zurückfuhr. Er schoß nochmals seine beiden Läufe darauf ab, ehe er sich zu nähern wagte.
Als er das Vieh maß, fand er, daß es quer über die offenen Flügel siebenundzwanzig und einen halben Zoll hatte, und der Stachel war drei Zoll lang. Der Unterleib war glatt vom Rumpf abgeschossen, aber er schätzte die Länge des Geschöpfes vom Kopf bis zum Stachel auf achtzehn Zoll – was ziemlich korrekt ist. Seine Sammelaugen waren von der Größe unseres Pennystücks.
Das ist das erste bezeugte Auftreten dieser Riesenwespen. Am Tage darauf hätte ein Radfahrer, der, die Füße von den Pedalen, zwischen Sevenoaks und Tonbridge den Hügel hinabfuhr, um ein Haar ein zweites dieser Riesentiere überfahren, das über die Chaussee kroch. Beim Vorbeifahren schien es zu erschrecken, und es stieg mit einem Geräusch wie eine Sägemühle auf. Sein Rad sprang in der Aufregung des Moments auf den Fußpfad, und als er sich umblicken konnte, stieg die Wespe über den Wäldern nach Westerham hin empor.
Nachdem er kurze Zeit hindurch unsicher gefahren war, zog er die Bremse an, stieg ab – er zitterte so heftig, daß er dabei über seine Maschine stürzte – und setzte sich am Wege hin, um sich zu erholen. Er hatte nach Ashford fahren wollen, aber er kam an diesem Tage nicht über Tonbridge hinaus ...
Danach wird seltsamerweise drei Tage lang nichts mehr davon berichtet, daß irgendeine große Wespe gesehen wäre. Ich habe die meteorologischen Berichte über diese Tage nachgelesen und gefunden, daß sie bewölkt und kalt waren, und daß lokale Regenschauer fielen, was diese Unterbrechung vielleicht erklärt. Dann, am vierten Tage, kam ein blauer Himmel und strahlender Sonnenschein, und zugleich ein solcher Ausbruch von Wespen, wie ihn die Welt sicher noch nie gesehen hatte.
Wieviele große Wespen an jenem Tage zum Vorschein kamen, läßt sich unmöglich abschätzen. Es sind mindestens fünfzig Berichte von ihrem Auftreten vorhanden. Ein Opfer gab es, einen Krämer, der eins dieser Ungeheuer in einer Zuckerkiste fand und es sehr voreilig mit einem Spaten angriff, als es aufflog. Er schlug es einen Moment zu Boden, und es stach ihn durch den Stiefel, als er zum zweitenmal nach ihm schlug und seinen Rumpf entzweischnitt. Er war von beiden zuerst tot ...
Das dramatischste von allen fünfzig Beispielen ihres Auftretens war sicherlich das der Wespe, die um Mittag das Britische Museum besuchte, indem sie aus heiterem Himmel auf eine der zahllosen Tauben fiel, die im Hofe dieses Gebäudes fressen, und zum Gesimse aufflog, um ihr Opfer in Muße zu verschlingen. Darauf kroch sie eine Weile über das Museumsdach, drang durch ein Oberlichtfenster in die Kuppel des Leseraumes, summte eine kleine Weile im Innern umher – unter den Lesern entstand eine Panik – und fand zuletzt ein zweites Fenster, durch das sie mit plötzlichem Verstummen der menschlichen Beobachtung entschwand.
Die meisten anderen Berichte erzählen nur von einem Vorüberfliegen oder einem Niederlassen. Auf Aldington Knoll wurde eine Picknickgesellschaft zerstreut und alle Süßigkeiten und Marmeladen wurden verzehrt, und in der Nähe von Whitstable wurde ein Hündchen unter den Augen seiner Herrin in Stücke zerrissen ...
Die Straßen hallten an jenem Abend von Ausrufern wieder, die Zeitungsplakate widmeten sich in den größten Lettern ausschließlich den »Riesenwespen in Kent«. Aufgeregte Redakteure und Hilfsredakteure liefen gewundene Treppen auf und nieder und schrien etwas von »Wespen«. Und Professor Redwood, der um fünf aus seinem College in der Bond Street auftauchte, erhitzt von einer heftigen Diskussion mit seinem Komitee über den Preis von Bullenkälbern, kaufte ein Abendblatt, schlug es auf, wechselte die Farbe, vergaß alsbald Bullenkälber und Komitee vollständig und nahm Hals über Kopf einen Wagen nach Bensingtons Wohnung.
V
Die Wohnung, so schien es ihm, war – unter Ausschluß jedes anderen Vernunftwesens – von Mr. Skinner und seiner Stimme in Anspruch genommen, wenn anders man ihn oder sie ein Vernunftwesen nennen kann!
Die Stimme war sehr laut und gurgelte unter den Noten der Angst umher. »Es is ganß unmöglich, daß wir bleib'n, Härr. Wir sin geblieb'n, weil wir hofft'n, es würd' besser wer'n, und es is bloß schlimmer gewor'n, Härr. Es sin nicht bloß die Wesp'n, Härr – wir haben große Ohrwürmer, Härr – so große, Härr.« (Er zeigte seine ganze Hand und noch etwa drei Zoll vom fetten, schmutzigen Handgelenk.) »Mrs. Skinner krieg beinahe Anfälle davon, Härr. Und die stechenden Nesseln, bei den Ställen, Härr, die wachsen auch, Härr, und die Schlingpflanzen, die wir bei die Senkgrube