Kärntner Totenmesse. Roland Zingerle

Kärntner Totenmesse - Roland Zingerle


Скачать книгу
sie nicht bereits gewusst, dass es sich bei dem Toten um Landesrat Rudi Moritsch von der Mitte-links-Partei handelte, wäre es ihr schwergefallen, ihn in dem blaugeschwollenen Gesicht mit den hervortretenden, ins Nichts starrenden Augen und der zwischen den Zähnen eingeklemmten Zunge wiederzuerkennen. Der zu Lebzeiten durchaus attraktive Zweiunddreißigjährige schien sich mit seinem Ableben in ein Monstrum verwandelt zu haben – dass sein Glied aus dem offenen Hosenschlitz herausragte, wirkte geradezu grotesk.

      „Es war eindeutig ein gewaltsamer Tod“, begann der Mediziner, „hervorgerufen durch Strangulation, so viel getraue ich mich schon jetzt zu sagen. Und ich müsste mich schon sehr irren, wenn die Tatwaffe nicht ein Gürtel gewesen ist.“ Sein gummibehandschuhter Finger zeigte auf den deutlich erkennbaren, breiten Abdruck am Hals des Toten.

      „Ist die Tatwaffe sichergestellt?“ Die Worte verließen hastiger Sabines Mund, als sie es beabsichtigt hatte.

      „Soweit ich weiß, nein, aber die Spurensicherung kommt erst noch. Die werden sich aber schwertun.“

      „Was meinen Sie?“

      „Riechen Sie es nicht?“ Der Polizeiarzt sah sie belustigt an. „Der Herr, der die Leiche gefunden hat, hat seinen Anteil am Buffet dem Kanal übergeben. Dann hat ein zufällig anwesender Arzt den Toten hierhergeschleppt und eingehend untersucht. Erst dann hat man die Polizei gerufen.“

      Chefinspektorin Oleschko stieg die Hitze ins Gesicht. „Wollen Sie damit sagen, der Landesrat ist woanders ermordet worden?“

      Doktor Grabner drehte sich etwas zur Seite und schlug mit den Fingerrücken lässig an die nach innen geöffnete Tür der Toilettenkabine hinter sich. „Der Mord hat wohl da drinnen stattgefunden.“

      Sabine drängte sich seitlich am Assistenten des Mediziners sowie an der Leiche vorbei, um die Kabine in Augenschein zu nehmen.

      Doktor Grabner fuhr indessen fort: „Laut Aussage des Arztes, der ihn untersucht hat, ist der Tote seitlich neben der Toilette gelegen.“

      Die Chefinspektorin beugte sich über den hockenden Polizeiarzt und warf einen Blick in die Kabine. Soweit sie sehen konnte, war die Toilette in gewöhnlichem Zustand, mit Ausnahme der Wasserlacke am Boden rund um die Schüssel. Automatisch schnellte ihr Blick zu dem toten Landesrat, dessen Haare und Gesicht ebenfalls nass waren.

      Doktor Grabner nahm ihre Schlussfolgerung vorweg: „Geht man davon aus, dass er vor seinem Ableben nicht selbst den Kopf in die Kloschüssel gesteckt und die Spülung betätigt hat, hat das wohl sein Mörder übernommen.“

      Sabine stutzte. „Sie meinen, er wollte ihn ertränken? Ich der Kloschüssel?“

      Der Doktor schürzte die Lippen. „So weit würde ich nicht gehen. Aber ich kann mir vorstellen, dass wir ihn vor der Toilette kniend auffinden sollten, mit dem Kopf in der Schüssel. Nur, dass die erschlaffenden Muskeln bei Eintritt des Todes das Opfer nicht in dieser Position gehalten haben und es deshalb zu Boden gerutscht ist.“

      „Ein Symbol für Demütigung.“ Die Chefinspektorin drängte sich wieder aus ihrer beengten Lage hinaus. „Dazu passt auch das entblößte Geschlecht. Danke, Herr Doktor, fürs Erste habe ich genug gesehen.“

      Doktor Grabner wandte sich wieder seiner Untersuchung zu und meinte anstelle einer Verabschiedung: „Den Rest erfahren Sie aus meinem Bericht, wie gehabt.“

      Sabines Blick fiel auf den Assistenten des Polizeiarztes, der inzwischen, noch immer käseweiß, an der Wand zwischen zwei Toilettenkabinen lehnte und teilnahmslos vor sich hinstarrte.

      An der Eingangstür der Herrentoilette stieß sie beinahe mit Gruppeninspektor Roth zusammen, der offenbar fertigtelefoniert hatte.

      „Lassen Sie uns die Zeugen vernehmen“, sagte sie und folgte ihm, als er vorausging.

      Der Weg in die Halle 4 führte durch die Halle 3. Auch hier war alles hell erleuchtet, auch hier wanderten Menschen mit angstvollen Blicken unschlüssig zwischen den Ständen herum. Das alles bekam die Chefinspektorin jedoch nur am Rande mit, denn ihr analytischer Verstand hatte bereits die Arbeit aufgenommen. Wer auch immer Landesrat Rudi Moritsch erdrosselt und ihn mit dem Kopf voraus in die Kloschüssel gedrückt hatte, überlegte sie, musste einen unglaublichen Hass auf ihn gehabt haben! Sie gestand sich ein, dass sie darüber nicht verwundert war, denn sie kannte niemanden, der eine hohe Meinung von dem Landesrat hatte. Ausnahmslos jeder in ihrem privaten und beruflichen Umfeld, der je in irgendeiner Weise mit Rudi Moritsch zu tun gehabt hatte, bezeichnete ihn als ungebildeten, arroganten und rücksichtslosen Machtpolitiker. Zwar hatte sie Landesrat Moritsch nie persönlich kennengelernt, doch wann immer sie ihn medial wahrgenommen hatte, hatte sie die schier unglaubliche Blasiertheit seines Auftretens geradezu aggressiv gemacht und seine politischen Aussagen waren für sie nichts weiter als populistischer, weltfremder Unsinn.

      Sabines Vater, der seit vielen Jahren das Bürgermeisteramt in Pörtschach am Wörthersee innehatte, hatte sogar einmal ein altes Kärntner Sprichwort auf ihn angewandt:

       Dummheit und Stolz

       wachsen am selben Holz.

      In Halle 4 erreichten Sabine und Roth jenen Bereich, in dem der Ausstellerabend noch immer im Gange war. Zwischen einer Bühne, deren Hintergrund flächendeckend mit dem Sujet der Herbstmesse affichiert war, und einer Schankinsel waren längliche Tische mit je sechs Stühlen aufgereiht. Neben der Bühne hatte man das Buffet aufgebaut. Hinter der Tafel mit den Hauptspeisen, die in beheizten Edelstahlbehältern angerichtet waren, standen Mädchen in Kellnerinnen-Monturen, die so jung waren, dass sie wohl aus irgendeiner Mittelschule mit Gastronomieschwerpunkt stammten. An ihren bleichen Gesichtern und der schwankenden Körperhaltung konnte Chefinspektorin Oleschko ablesen, wie schwer es ihnen fiel, ihrer Rolle trotz der Umstände gerecht zu werden.

      Völlig anders wirkten die hier anwesenden Aussteller. Die einen drängten sich am Buffet und an der Salatbar, welche in einem auf alt getrimmten Holzwagen mit Schindeldach etwas abseits arrangiert war, die anderen hatten an den Tischen nahe der Bühne Platz genommen, um es sich bei geselliger Plauderei schmecken zu lassen.

      Der Mittelteil des Sitzbereichs war leer, erst im hinteren Drittel und an der Schankinsel, die an drei Seiten von einer Theke umgeben war, drängten sich einige schweigsame Besucher mit schockgeweiteten Augen. Sabine sah Gruppeninspektor Roth an, der sich ebenfalls gerade einen Überblick verschaffte und nun ihre Gefühle in einem Wort zusammenfasste: „Grotesk!“ Er führte sie zu einigen Rettungssanitätern, die Schock-Patienten versorgten. Roth wies auf einen jungen Mann, der auf einer Fahrtrage lag und elend aussah, und erklärte: „Dieser Herr hat den Toten gefunden.“

      Sabine zückte ihren Dienstausweis in einer Bewegung, die ebenso routiniert war wie der kalte Ton ihrer Stimme, mit dem sie sich vorstellte. „Chefinspektorin Oleschko. Erzählen Sie mir, was passiert ist.“

      Die Augen des Mannes schienen zu vibrieren. Mehrmals versuchte er zu sprechen, doch seine bleichen Lippen zitterten nur.

      Eine junge, resolute Sanitäterin drängte sich zwischen ihn und die Chefinspektorin und fuhr diese an: „Sehen Sie nicht, dass er unter Schock steht? Außerdem haben wir ihm ein Beruhigungsmittel verabreicht, er braucht jetzt Ruhe.“

      „Das ist eine Mordermittlung“, konterte Sabine heftig, „die Aussage dieses Mannes kann unter Umständen dazu führen, andere Menschen vor Schaden zu bewahren.“

      „Das ist Ihr Kaffee, nicht meiner.“ Die Sanitäterin entsicherte die Bremse der Fahrtrage und schob ihren Patienten demonstrative weg, gerade so, als wollte sie ihn vor der Chefinspektorin in Sicherheit bringen.

      Sabine konnte nicht glauben, was gerade geschehen war. Sie wollte dieser präpotenten Person schon hinterherstürmen, um ihr zu zeigen, mit wem sie es zu tun hatte, als Gruppeninspektor Roth sie am Arm nahm und ihr zuraunte: „So wie der beieinander ist, kriegen wir momentan eh kein Wort aus ihm heraus.“

      Sabine gestand sich das nicht gerne ein, doch er hatte recht. Noch bevor sie sich weitere Gedanken zu diesem Thema machen konnte, wurde sie von der Seite angesprochen.

      „Sind


Скачать книгу