Kärntner Totenmesse. Roland Zingerle
Oleschko, ja.“ Sie zog wieder ihren Dienstausweis hervor.
Der Mann hielt ihr die Grußhand hin. „Zöcherer, freut mich. Ich bin der Geschäftsführer der Klagenfurter Messe.“
„Angenehm.“ Sie drückte die Hand. „Was wissen Sie über die Vorkommnisse heute Abend?“
„Leider nicht viel. Ich war mit meinen Mitarbeitern hier beim Ausstellerabend. Den Herrn Landesrat habe ich zwar begrüßt und ein paar Worte mit ihm gewechselt, aber mir war nicht bewusst, dass er nach Messeschluss noch hier war.“
„Wie kann das sein?“, fragte Sabine. „Ich meine, auf meinem Weg durch die Hallen sind mir überall Leute begegnet. Manche Stände sehen so aus, als wären sie noch geöffnet.“
„Viele Aussteller veranstalten am ersten Abend einen Umtrunk“, erklärte Zöcherer, „entweder für die eigene Mannschaft, die während der Messe Dienst hat, oder für gute Geschäftspartner.“
„Wie verträgt sich das mit den Öffnungszeiten?“
„Wir sehen das nicht so eng. Das sind immerhin unsere Kunden, und solange es nicht ausartet ...“
„Und was ist mit Mord?“, fuhr Chefinspektorin Oleschko hoch.
Der Geschäftsführer hob beschwichtigend die Hände und erwiderte ruhig: „Immer mit der Ruhe, okay? Sowas wie heute kann niemand vorhersehen. Und so öffentlich, wie die Tat begangen worden ist, hätte sie genauso gut bei einem Volksfest stattfinden können.“
Sabine schluckte, doch ihr Ärger verging nicht.
„Ich möchte Ihnen den Arzt vorstellen, der den Herrn Landesrat untersucht hat“, fuhr der Geschäftsführer fort.
Der Mediziner war ein kleiner, drahtiger Mann, dessen faltiges Gesicht pure Lebensenergie ausstrahlte und damit sein Alter verschleierte. Seine weißen Haare standen in alle Richtungen vom Kopf ab. „Man hat nach einem Arzt gefragt, und ich habe mich gemeldet“, plapperte er los. „Ich bin Aussteller hier, Trainingsund Ernährungsberatung.“
Die Chefinspektorin empfand sein keckerndes Kichern als unpassend. „Wie haben Sie ihn vorgefunden?“
„Er ist in der hintersten Kabine gelegen, am Boden neben der Kloschüssel, eingeringelt wie ein Engerling, den Kopf in einer Wasserlacke. So wie der ausgesehen hat, war auf den ersten Blick klar, dass er nicht mehr wird, aber ich wollte nichts unversucht lassen. Ich habe ihn aus der Kabine gezogen, ihn auf den Rücken gelegt und untersucht. Und wie ich gesehen hab, dass nichts mehr zu machen ist, hab ich den Leuten gesagt, sie sollen die Polizei holen.“
Sabine war irritiert. „Was für Leuten?“
„Na, den Zuschauern.“
„Zuschauer? Es waren Zuschauer dabei? Auf der Toilette?“
Der Arzt keckerte wieder. „Ja freilich, was denken Sie? Sowas sieht man nicht alle Tage.“
Sabine holte tief Luft und wechselte einen fassungslosen Blick mit Gruppeninspektor Roth.
„Spuren können wir vergessen“, meinte dieser.
„Waren irgendwelche Gegenstände am Tatort“, fragte sie den Mediziner, „zum Beispiel ein Gürtel oder sonst was?“
Der kleine Mann dachte kurz nach, schüttelte dann aber den Kopf, dass seine Haare zitterten. „Da war nichts, nur die Leiche.“
Die Chefinspektorin bedankte sich und wies Roth an, die Personalien des Mannes aufzunehmen.
Der Messe-Geschäftsführer trat wieder an sie heran. „Frau Chefinspektorin, ich muss Ihnen diese Frage stellen, weil sie mir selbst andauernd von den Ausstellern gestellt wird: Wie lange muss die Messe voraussichtlich geschlossen bleiben?“
Sie ließ den Blick über die anscheinend sorglosen Menschen schweifen, die im Buffet-Bereich aßen und tranken, als wäre nichts geschehen. „Das kann ich Ihnen zum gegenwärtigen Zeitpunkt beim besten Willen nicht sagen.“
Kapitel 2
Donnerstag, 9 Uhr
Als der Krawall losging, wusste Heinz Sablatnig im ersten Moment nicht, wie ihm geschah. Er wälzte sich herum und wedelte mit dem Arm, als könnte er damit den Lärm verscheuchen wie eine lästige Fliege. Schließlich drang die Melodie in sein Bewusstsein – If You Don’t Know Me by Now von Simply Red –, sein Handy-Klingelton für unbekannte Anrufer.
Hatte er gestern vergessen, sein verdammtes Handy auszuschalten? Und warum lief es ausgerechnet jetzt noch immer, obwohl sich der Akku schon seit geraumer Zeit schneller entlud, als er sich, so schien es, aufladen ließ?
Wie ferngesteuert zog Heinz die Ohrenstöpsel aus seinen Gehörgängen und drehte sich stöhnend zum Nachtkästchen. Das Nachtlicht machte ihm die Suche leicht, er schnappte das Handy und drückte die Anruf-Annehmen-Taste.
„Sablatnig?“ Seine Stimme war kaum mehr als ein Flüstern.
„Hallo?“, klang eine schrille Frauenstimme vom anderen Ende der Leitung, „spreche ich mit Heinz Sablatnig, dem Privatdetektiv?“
„Ja.“ Heinz hatte es aufgegeben, den Menschen zu erklären, dass es so etwas wie einen Privatdetektiv in Österreich nicht gab, die korrekte Bezeichnung lautete Berufsdetektiv.
„Hier spricht die Rechtsanwaltskanzlei Doktor Werginz. Ich verbinde Sie mit Herrn Doktor Werginz, einen Augenblick, bitte.“
Einen Wimpernschlag später meldete sich eine hektische Männerstimme. „Herr Sablatnig, ich freue mich immens, Sie kennenzulernen. Haben Sie eine Minute Zeit?“
„Ja.“
„Herr Sablatnig, ich rufe Sie im Auftrag meiner Mandantin an, Frau Doktor Moritsch, die gerne Ihre Dienste in Anspruch nehmen würde. Sie sind ja in Kärnten mittlerweile immens bekannt, spätestens seit Ihrem aufsehenerregenden Einsatz bei der Starnacht am Wörthersee.“
Heinz konnte den Unterton in der Stimme des Rechtsanwalts nicht deuten.
„Bei dem gegenständlichen Auftrag geht es um nicht weniger als um die Suche nach einem Mörder. Sind Sie interessiert?“
Die nun entstehende Pause fühlte sich für Heinz so an, als erwartete der Anwalt, er würde „hurra“ schreien oder Ähnliches. Heinz wälzte sich an den Rand des Bettes und setzte sich auf. „Grundsätzlich ja.“
Wieder folgte eine Pause, der Anrufer schien verdutzt. „Gut“, sagte Doktor Werginz schließlich, „gut, dann schlage ich vor, wir treffen uns alle drei und besprechen die Details, in Ordnung? Können Sie um 11 Uhr in Velden sein?“
Heinz nahm das Handy vom Ohr und blickte auf die Zeitanzeige. „Ja“, erwiderte er dann, „müsste sich ausgehen.“
„Gut, wir treffen uns dort in der Seniorenresidenz Seemoos. Ich warte an der Rezeption auf Sie, einverstanden?“
„Ja, in Ordnung.“
„Ich freue mich immens, Herr Sablatnig! Dann bis 11 Uhr, auf Wiederhören.“
Heinz ließ das Telefon auf das Nachtkästchen klappern und das Gesicht in seine Hände sinken. Er hatte keinen Bock auf einen Auftrag, nicht den geringsten, aber seine finanzielle Lage ließ eine Ablehnung nicht zu. Er stand auf und tappte zum Fenster, um das Rollo hinaufzuziehen. Sein Körper fühlte sich an, als hätte er einhundertfünfzig Kilo. Die Vormittagssonne blendete ihn, er wandte sich rasch ab. Sein Körper brachte ihn ins Bad – ein Routineablauf. Vor dem Badezimmerspiegel hielt er inne und betrachtete sich. Er sah müde aus, abgewrackt, aber immer noch besser, als er sich fühlte. Wie hieß dieser Rechtsanwalt noch einmal?
Eine Dusche und der erste Kaffee brachten keine wesentliche Verbesserung seines Befindens. Er würde nach Velden fahren und sich anhören, was dieser Anwalt zu sagen hatte. Und seine Auftraggeberin, deren Namen er sich genauso wenig