Digitales Schreiben. Blogs & Co. im Unterricht. Philippe Wampfler

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Dieses Buch ist beispielsweise in Scrivener entstanden, einem Programm für Autorinnen und Autoren. Das Manuskript war zunächst weder auf Social-Media-Plattformen publiziert noch war es im Netz öffentlich einsehbar.

      [14]Es wäre nun naheliegend anzunehmen, dass digitales Schreiben primär von veränderten Werkzeugen bestimmt ist: Eine Schreibmaschine wurde durch ein Computerprogramm ersetzt. Doch die Transformation ist einschneidender. Um das zu verstehen, hilft Felix Stalders Konzept der »Kultur der Digitalität«.11 Er identifiziert drei wesentliche Merkmale der »Digitalität«: Referentialität, Gemeinschaftlichkeit und Algorithmizität.

      Hinsichtlich des Textes dieses Buchs bedeutet Referentialität, dass er sich auf Vorarbeiten bezieht. Er verweist auf Texte im Netz (im E-Book sind sie verlinkt), er enthält digital kopierte Zitate und Bilder (die im E-Book als Dateien eingebettet sind).

      Gemeinschaftlichkeit bedeutet, dass mehrere Personen in Online-Editoren das digitale Manuskript redigiert und korrigiert, Passagen darin gestrichen oder kommentiert haben. Auch wenn der Text unter einem Namen erscheint, ist er insgesamt betrachtet das Werk einer Gruppe von Personen.

      Gleichzeitig wurden im Schreibprozess Algorithmen oder Programmskripte herangezogen, etwa wenn es darum ging, Wörter zu suchen oder zu ersetzen, orthografische Fehler sichtbar zu machen und zu korrigieren, Wörter und Zeichen zu zählen, Texte miteinander zu verlinken, Anmerkungen einzufügen und so weiter.

      Auf einer noch elementareren Ebene waren digitale Endgeräte die Schreibwerkzeuge: Tastaturen und Touchscreens. Das ist nicht belanglos: Einen Text von Hand zu schreiben unterscheidet sich in der kognitiven Aktivität vom Tippen auf einer Tastatur oder einem Touchscreen. Wo liegt der Unterschied? Entscheidend ist die Geschwindigkeit. Kinder, die auf einer [15]Tastatur schneller schreiben können, schreiben auch genauere, strukturiertere und längere Texte als Kinder, die langsamer schreiben.12 Die Qualität eines Textes korreliert mit der Geschwindigkeit, bei der im Schreibprozess Gedanken in Wörter übersetzt werden. Hier bieten digitale Schreibverfahren einen Vorteil, weil sie höhere Geschwindigkeiten zulassen – ein Aspekt, warum Kinder möglichst früh möglichst schnell tippen lernen sollten.

      Geht es aber darum, sich Notizen zu machen – etwa bei einem Gespräch, in einer Vorlesung oder als Reaktion auf einen Text – dann gelingt das laut empirischen Studien von Hand besser. Das langsamere Verfahren führt hier zu einer Verdichtung, die eine tiefere und präzisere Verarbeitung erlaubt. Wer bei solchen Schreibanlässen tippt, gibt schnell der Versuchung nach, so viel wie möglich wörtlich mitzuschreiben. Dabei entsteht aber nur ein oberflächliches Verständnis des Inhalts. Clive Thompson hat dazu eine Art Merksatz formuliert: »Tipp so schnell du kannst – und bring immer einen Bleistift mit.«13

      Wir können also drei Ebenen von digitalem Schreiben unterscheiden:

       Schreiben im Netz, auf digitalen Plattformen oder Webseiten, beispielsweise als Blog

       Schreiben mit Schreibsoftware unter den Bedingungen einer Kultur der Digitalität

       Schreiben mit digitalen Endgeräten

      [16]Die Reihenfolge spiegelt die Bedeutung der Schreibarten für diesen Band: Besondere und ganz neue Potenziale bieten Schreibprozesse, wenn sie auf interaktiven Netzplattformen stattfinden – Software und Schreibgeräte für sich führen zu einer weniger starken Veränderung. Der Schwerpunkt dieses Bandes liegt daher bei der Frage: Welche didaktischen Möglichkeiten eröffnen Texte, die im Netz erscheinen?

      Funktionen digitaler Schreibprozesse

      Wer schreibt, verfolgt damit Zwecke. Im Folgenden werden die Funktionen von Schreibprozessen im Allgemeinen vorgestellt. Daraus lassen sich Einsichten über Schreibprozesse in einer Kultur der Digitalität ableiten.

      Jakob Ossner14 unterscheidet drei Schreibfunktionen, die sich auch auf digitale Schreibprozesse übertragen lassen:

      1. Die psychische Funktion: Die Person, die schreibt, ist auch Adressat des Geschriebenen. Deshalb werden häufig eigene Emotionen und Gedanken beschrieben. Der Schreibprozess schafft eine Distanz: Implizit Gefühltes oder Gedachtes wird bewusst und sichtbar. Die psychische Funktion spielt auch auf einer Metaebene, immer dann, wenn der Schreibprozess thematisch wird (wenn Schreibende etwa mit einer Schreibblockade ringen). Digitales Beispiel: Auf der Notiz-App des Smartphones auf dem Weg zur Schule festhalten, worauf man sich an diesem Tag freut oder wovor man Angst hat.

      [17]2. Die soziale Funktion: Mit dem Geschriebenen richtet sich ein Autor oder eine Autorin an eine andere Person (oder mehrere Personen). Der Text übernimmt so eine im klassischen Sinn kommunikative Funktion. Dabei können unterschiedliche Absichten wie auch Wirkungen unterschieden werden. Digitales Beispiel: Eine Schülerorganisation informiert mit ihrem Instagram-Kanal Schülerinnen und Schüler über geplante Aktivitäten.

      3. Die kognitive Funktion: Das Schreiben dient dem Erkenntnisgewinn oder der Entlastung des Gedächtnisses. Klassische Formen reichen von Notizen über Brainstorming bis hin zu wissenschaftlichen Arbeiten. Letztere haben meist stärker eine kognitive Funktion als eine soziale. Digitales Beispiel: Auf einem Blog ein Thema längerfristig gezielt bearbeiten, indem Erkenntnisse dazu notiert, Verweise auf wichtige Texte zum Thema vorgenommen und Verknüpfungen zwischen diesen Texten und wichtigen Profilen hergestellt werden.

      Diese Funktionen können – anders als die im Kapitel zuvor beschriebenen Ebenen – in diesem Buch nicht getrennt werden, weil viele Schreibaufgaben alle drei Funktionen des Schreibens verbinden. Durch sie entstehen Angebote, die erst in der konkreten Umsetzung einer Funktion zugeordnet werden können. Ein Blog als Schreibmodus oder Textsorte gibt nicht vor, ob er benutzt wird, um ein privates Tagebuch zu führen (psychische Funktion), um Eltern über den Verlauf einer Studienreise zu informieren (soziale Funktion) oder um ein Lektüretagebuch zu führen (kognitive Funktion).

      Die Schreibfunktionen werden durch die Verwendung digitaler Schreibgeräte, von Schreibsoftware und die Publikation im Netz modifiziert. Diese Veränderung darf aber nicht monokausal oder generell unterkomplex gedacht werden: Das Vorurteil, Netzkommunikation mache Menschen narzisstisch, ist ein gutes Beispiel für eine eindimensionale Vorstellung der [18]Wirkungen eines Mediums. Menschen unterscheiden sich in Bezug auf Narzissmus, schon bevor sie im Netz kommunizieren. Narzissmus kann Teil eines Motivs sein, digitale Plattformen zu benutzen. Die Nutzung wirkt aber wiederum in unterschiedlichen Weisen auf Menschen zurück. Social Media sind für stark narzisstisch veranlagte Personen etwa kein lohnendes Umfeld, sie erhalten relativ wenig Bestätigung – wohl weil ihr Narzissmus deutlich erkennbar ist.15 Netzkommunikation kann also den Narzissmus bei Menschen mit mittlerer Tendenz verstärken, nicht jedoch bei starkem Narzissmus. Dieses Beispiel zeigt die Komplexität dieser Wirkungen.

      Auf Schreibprozesse des digitalen Schreibens übertragen heißt das, dass die psychische, die soziale und die kognitive Funktion des Schreibens auch modifiziert werden. Wie im Beispiel Thompsons in Bezug auf das Tippen (s. S. 15) können auch hier Erkenntnisse nur situationsspezifisch und differenziert formuliert werden. Das wird im Kapitel »Schreibdidaktische Aspekte für digitales Schreiben« genauer dargestellt.

      Experimentelle Medienkompetenz

      Kontrollierende Medienkompetenz geht davon aus, dass zuerst Medienwissen aufgebaut werden muss. Dieses Wissen ist die Grundlage für eine spätere Anwendung. Über das Wissen wird die Anwendung kontrolliert. Dieses Buch empfiehlt experimentelle Medienkompetenz. Sie kann wie folgt definiert werden: Mit Medien in realen Kontexten handeln, dabei interaktiv Erfahrungen sammeln und diese so reflektieren, dass Können entsteht.

      [19]Ein Einstieg ist schnell gefunden: Welche Frage beschäftigt Sie im Moment, so dass Sie an einer Antwort interessiert sind, die Sie nicht durch Nachschlagen in wenigen Minuten ermitteln können? Schreiben Sie Ihre Frage auf und veröffentlichen Sie sie an einem geeigneten Ort im Netz. Dies könnte zum Beispiel das Intranet Ihrer Schule, eine Chat-Gruppe, ein Twitter-Profil, eine Facebook-Gruppe oder ein Instagram-Account sein. Achten Sie darauf, dass Ihre Frage prägnant formuliert ist und zugleich klar wird, welche Art von Antwort für Sie hilfreich ist und welche


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