Digitales Schreiben. Blogs & Co. im Unterricht. Philippe Wampfler

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passen ihren Sprachstil bewusst oder unbewusst an den kommunikativen Kontext an und gehen […] mit den zur Kommunikation verfügbaren Ressourcen oft sehr kreativ um.«28

      Für den Unterricht ist das jedoch eine Herausforderung: Texte und Schreibprozesse müssen unterschiedlich beurteilt werden, je nachdem, in welches Setting sie eingebunden sind. Wer einen formal sorgfältigen Brief in einem Chat veröffentlicht, wird damit seine Ziele nicht erreichen können. Andererseits ist ein interaktionsorientiert geschriebenes Bewerbungsschreiben nutzlos. Die Verbreitung zweier unterschiedlicher Schreibmodi verlangt nach Unterrichtsszenarien, in denen beide geübt, verbessert und auch bewertet werden können. Textsortenkompetenz und Kommunikationskompetenz überlagern und ergänzen sich dabei.

      [33]Materialgestütztes Schreiben

      Materialgestütztes Schreiben bezieht sich auf die Aufgabe, »auf der Grundlage von Materialien (Grafiken, Tabellen, Bildern, weiteren medialen Angeboten) sowie Texten unterschiedlicher Art einen längeren eigenen informierenden oder argumentierenden Text zu einem Sachthema [zu] verfassen«.29

      Auf diese Definition in einem Artikel der Deutschdidaktiker Abraham, Baurmann und Feilke folgt ein Beispiel: Eine Klasse erstellt vor einer Studienreise gemeinsam einen Reiseführer für Berlin, der spezifisch für die Reise der Klasse geschrieben ist. Anders als die von Verlagen publizierten Texte ist er im besten Fall aktuell und auf die konkrete Reise der Klasse zugeschnitten. Um einen solchen Reiseführer schreiben zu können, recherchiert die Klasse in Gruppen und entnimmt die relevanten Informationen verschiedenen Materialien, die sie auch kuratiert und mit eigenen Texten zusammen im Reiseführer arrangiert.

      Betrachtet man dieses Beispiel, wird deutlich, dass digitale Arbeitsformen materialgestütztes Schreiben erleichtern: Anders als von Abraham, Baurmann und Feilke in Bezug auf Prüfungssituationen beschrieben, ist es nicht zwingend nötig, dass Lehrpersonen das Material selbst vorgängig auswählen – Bilder, Daten, Karten, Öffnungszeiten und andere relevante Informationen finden die Schülerinnen und Schüler im Netz. Sie können – sofern das urheberrechtlich unbedenklich ist – digitale Materialien auch leicht in eigene Dokumente als Quellen einfügen oder zumindest Informationen daraus entnehmen und selbst neu formulieren.

      [34]Diese Schreibform hat, so betonen auch die Autoren, für verschiedene Handlungsfelder eine praktische Bedeutung. In schulischen oder universitären Kontexten kommt dem Schreiben informierender Texte, die sich auf verschiedene Formen von Vorlagen beziehen, eine wichtige Bedeutung zu. Aber das gilt auch später für viele berufliche Tätigkeiten.

      Ein weiterer Aspekt des materialgestützten Schreibens: Es »sollte in für Schüler sinnvolle Handlungskontexte eingebettet werden«.30 Hier zeigt sich noch einmal die schon in Bezug auf Schreibprozess- und Interaktionsorientierung erwähnte Forderung, Schreibprozesse so anzulegen, dass Leserinnen und Leser erreicht werden, die auf den Text auch reagieren. Damit ist eine zweite Brücke vom materialgestützten Schreiben zum digitalen Schreiben geschlagen: Nicht nur erleichtern Netzrecherche und digitale Verarbeitung den Zugriff und Umgang mit informativen Vorlagen, die Publikation von Texten im Netz macht es auch möglich, mit wenig Aufwand Handlungskontexte in schulische Schreibsettings einzubinden.

      Kollaboratives Schreiben

      Das Beispiel des Reiseführers, den eine Klasse vor einem Ausflug nach Berlin schreibt, lässt bereits erkennen, was mit kollaborativem Schreiben gemeint ist. Kathrin Passig spricht von »gemeinsamem Schreiben«. Sie hat in einem Google-Docs-Dokument Möglichkeiten dargestellt, die sich durch die gleichzeitige Arbeit mehrerer Personen an einem Text eröffnen. Jenes Dokument ist als kollaborativer Text entstanden – Passig setzt also die Methode des sogenannten »pädagogischen [35]Doppeldeckers«31 ein, bei der angehende Lehrkräfte eine Lernmethode kennenlernen, indem sie damit lernen.

      Die Autorin geht in ihrer Empfehlungssammlung von der Einsicht aus, dass kollaboratives Schreiben durch entsprechende Software enorm einfach geworden ist, aber viele Menschen noch keine konkreten Erfahrungen damit gesammelt haben. Das dürfte auch für die Schule und Lehrerinnen und Lehrer zutreffen. Die grundlegenden Einsichten, die Passig notiert:

      »Anwesenheit am selben Ort ist fürs gemeinsame Schreiben nicht mehr erforderlich. […] Man kann gleichzeitig (statt abwechselnd) am selben Text schreiben. […] Weil das gemeinsame Schreiben technisch einfacher geworden ist, wird es öfter praktiziert.«32

      Obschon Kooperation im Unterricht eine verbreitete Methode ist, wird sie selten für die Redaktion von Texten im Schulkontext angewandt. Im heutigen Berufsleben dagegen ist es bereits üblich. Entsprechend wichtig sind Erfahrungen mit gemeinsamem Schreiben und Kompetenzen im Umgang mit kollaborativen Schreibprozessen.

      Vorschläge für sinnvolle gemeinschaftliche Schreibanlässe lassen sich leicht zusammenstellen: gemeinsame Notizen machen, einen Text übersetzen (und schwierige Passagen in den Kommentaren diskutieren), gemeinsam eine Textsammlung anlegen (wie z. B. einen Reiseführer), journalistische Texte kollaborativ verfassen und redigieren.33

      [36]Aus didaktischer Sicht ist beim gemeinsamen Schreiben das co-konstruktive Lernsetting von großer Bedeutung: Der Schreibprozess wird von unterschiedlichen Wahrnehmungen auf Absichten, Wirkungen und Sprache eines Textes beeinflusst. Schreibende sprechen miteinander über ihre Schreiberfahrungen und handeln wesentliche Entscheidungen aus – statt sie unbewusst und alleine fällen zu müssen.

      Ein Online-Editor für interaktive und nicht-lineare Texte, die kollaborativ entstehen, ist z. B. Twine. Er eignet sich für eine große Spannbreite von Aufgaben, z. B. für Geschichten, die Bearbeitung von Sachthemen und Anleitungen. Beiläufig erwerben die Lernenden auch Grundkenntnisse in HTML, ohne programmieren zu müssen. Wer Twine-Texte liest, bestimmt an Verzweigungen mit, wie die Lektüre verläuft.

       Twine (twinery.org)

       Online-Editor für interaktive und nicht-lineare Texte

       Einführung von Nele Hirsch: ebildungslabor.github.io/twinetutorial

      Produktionsorientierter Literaturunterricht

      Schreiben ist im Deutsch- und Fremdsprachenunterricht auch eine Auseinandersetzung mit literarischen Vorlagen. Unter dem Paradigma des produktionsorientierten Literaturunterrichts entstand in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von Vorschlägen, wie Schülerinnen und Schüler in aktiver Auseinandersetzung mit Texten eigene Lernprodukte entwickeln können. Produktionsorientierter Literaturunterricht hat ein mehrfaches Ziel: »das Verstehen des Textes und die Aneignung von reflektierbaren Erschließungsverfahren«, »die [37]Entwicklung der inneren Vorstellungskraft« wie auch den »Aufbau von Lesemotivation«.34

      Ein anregendes Beispiel für ein produktionsorientiertes Verfahren ist »Blackout Poetry«. Das Verfahren erzeugt aus einer Textvorlage – in der Regel einer Seite eines literarischen Buches – eine Text-Bild-Komposition, die aus ausgewählten Wörtern der Vorlage gebildet wird.35 Es ist nicht erstaunlich, dass das Verfahren in einer Kultur der Digitalität an Popularität gewonnen hat und auch für den Deutschunterricht fruchtbar gemacht worden ist.36 Blackout Poetry ist eine Technik, welche die eigene Produktion an eine Textvorlage anbindet – ganz im Sinne von Stalders Referentialitäts-Merkmal. Sie löscht die physische Textvorlage teilweise aus und schafft ein neues physisches Artefakt, das aber wiederum Buch- und Bastelkultur für ein Netzpublikum zelebriert (vermutlich, weil der Text auch digital vorliegt oder zumindest digital reproduzierbar ist). Blackout Poetry wird auf Pinterest- und Padlet-Boards im Netz geteilt.37

      Abb. 4: Blackout Poetry zu einer Seite aus Hesses Steppenwolf. – © Maike Bonsen.

      Blackout Poetry ist nicht nur symbolisch auf den Leitmedienwechsel bezogen: Hilfsprogramme ermöglichen, digitale [38]Formen zu erstellen oder das Format sogar weiterzudenken.38 Die Webseite »Versteckte Verse«39 ermöglicht es, einen Text digital zu schwärzen und so nach Wortmaterial


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