Der Bergpfarrer Staffel 18 – Heimatroman. Toni Waidacher
Sebastian, »vorgestern hatte ich den Eindruck, daß du und Babette zusammen seid. Aber da hab’ ich mich wohl getäuscht, oder?«
Der Chemiker sah ihn an und biß sich auf die Lippe.
»Vorgestern, da war auch noch alles anders«, antwortete er leise.
»Dann hab’ ich es also doch richtig geseh’n. Was ist gescheh’n?«
Florian Unger zuckte die Schultern.
»Das, was jeden Tag irgendwo auf der Welt geschieht. Paare, die voneinander glaubten, daß sie zusammengehören, trennen sich.«
Der gute Hirte von St. Johann schüttelte den Kopf.
»So einfach ist’s wohl net.«
Florian holte tief Luft. »Besonders nicht für mich«, entgegnete er. »Als ich Babette zum ersten Mal sah, da war ich sicher, daß sie die richtige Frau für mich ist. Wissen Sie, Hochwürden, es ist noch gar nicht so lange her, daß eine Beziehung in die Brüche gegangen ist. Ich habe Evelyn, so heißt die Frau, wirklich aufrichtig geliebt, aber sie hat nur mit mir gespielt. Und genau diese Situation ist wieder da. Vielleicht war sich Babette ihrer Gefühle für mich auch doch nicht so sicher, wie sie gesagt hat. Aber was soll ich tun? Ich kann nichts daran ändern und muß es akzeptieren, wie es ist.«
Er schaute zu den beiden.
»Obwohl ich mich frage, ob er es überhaupt ernst mit ihr meint…«
»Genau diese Frage habe ich mir auch gestellt«, bemerkte Sebastian.
Der Chemiker sah ihn überrascht an.
»Tatsächlich? Aber warum?«
»Weil ich ein Auge für solche Dinge hab’. Ich sehe die Menschen und spüre, was mit ihnen los ist. Als ich dich und Babette zusammen sah, da hatte ich das Gefühl, daß sich da ein Paar gefunden hat, das wunderbar zusammenpaßt. Um so erschütterter war ich, als ich vorhin feststellen mußte, daß ich mich offenbar geirrt hab’.«
»Geirrt haben Sie sich wohl nicht.« Florian schüttelte den Kopf. »Es hätte wunderschön mit uns werden können, wenn der Kerl sich nicht zwischen uns gedrängt hätte. Babette und ich, wir haben viele Gemeinsamkeiten. Es gibt so manches, was uns verbindet, das haben wir immer wieder festgestellt.«
Wehmütig erinnerte er sich an die Rast auf der Lichtung, als sie sich verlaufen hatten, an den ersten Kuß, die Liebesschwüre.
»Wenn du so sicher bist, dann mußt du um diese Liebe kämpfen«, sagte der Geistliche nachdrücklich.
»Kämpfen?«
Florian verzog den Mund zu einem traurigen Lächeln.
»Wie soll ich gegen ihn kämpfen? Haben Sie mal sein Auto gesehen? Der hat Geld wie Heu. Dagegen bin ich ein armer Schlucker.«
Sebastian schüttelte den Kopf.
»Auto, Geld –, das sind doch alles nur Äußerlichkeiten«, erwiderte er. »Darauf kommt es net an, sondern auf die inneren Werte. Glaubst du wirklich, daß Babette sich auf Adrian Heller eingelassen hat, weil er reich ist? Das glaub’ ich net. Da müßt’ ich mich schwer getäuscht haben.«
Er sah auf die Uhr.
»Ich würd’ mich gern noch weiter mit dir darüber unterhalten«, setzte er hinzu. »Aber leider müssen wir jetzt aufbrechen, wenn wir die Kandereralm rechtzeitig erreichen wollen.«
*
Zweimal legten sie unterwegs noch eine Rast ein und erfrischten sich an einem Gebirgsfluß, dessen Wasser kristallklar war und angenehm kühl. Bei dieser Gelegenheit füllten sie auch ihre inzwischen leeren Flaschen auf. Gegen Mittag hatten sie ihr Ziel erreicht.
»Das ist die Kandererhütte«, sagte Sebastian Trenker und deutete den Hügel hinunter.
In einer Senke stand die Hütte, alt und verwittert. Mehrere Anbauten waren im Laufe der Zeit hinzugefügt worden, es gab einen Stall und einen kleinen Schuppen. Auf der Terrasse saßen zahlreiche Wanderer, die über die anderen Wege heraufgekommen waren, auf den Berghängen grasten Kühe und Ziegen, bewacht von zwei Hütehunden.
»Hallo, Franz!« rief der Bergpfarrer und winkte dem Alten, der geschäftig zwischen den Gästen hin und her eilte.
»Hochwürden, herzlich willkommen«, grüßte der Senner zurück. »Schön, daß Sie mich mal wieder besuchen.«
Die beiden Männer schüttelten sich die Hände, und Sebastian stellte seine Begleiter vor.
»Was gibt’s denn heut’ Gutes zu essen?« erkundigte er sich dann.
Franz Thurecker war schon in den Siebzigern. Er hatte graues Haar und einen ebensolchen Bart. In seinem karierten Hemd und der dreiviertellangen Lederhose, von Trägern gehalten, die mit Hirschhorn verziert waren, entsprach er genau dem Bild, das die Leute von einem Bewohner der Berge hatten. Ganz allein lebte er fast das ganze Jahr über hier oben und verließ seine geliebte Hütte erst im Herbst, wenn der Almabtrieb begann. Dann wohnte er drunten im Dorf bei seiner Schwester und wartete ungeduldig darauf, daß der Winter vorüberging. Mit den ersten Sonnenstrahlen, wenn die jungen, zarten Blümchen und Pflanzen ihre Köpfe durch die schmelzende Schneedecke steckten, zog es ihn wieder hinauf.
Ein Leben ohne seine Hütte und Tiere konnte er sich überhaupt nicht vorstellen!
Da er ganz alleine hier oben lebte, versorgte er nicht nur die Tiere, stellte Butter und Käse her, Franz kochte auch und buk Brot. Nicht alles konnte er selbst produzieren, doch es waren nur wenige Dinge, die hin und wieder auf den Wirtschaftsweg heraufgebracht werden mußten. Heute hatte er einen großen Braten vorbereitet, zu dem es Semmelknödel und Salat gab, den der Senner in dem Garten hinter der Hütte selbst zog. Wer mit diesem Vorschlag nicht einverstanden war, konnte sich immer noch für seine berühmten Käsespätzle entscheiden und eine kalte Brotzeit wählen.
»Ich denk’, wir nehmen eine Portion Spätzle und hinterher etwas von dem Braten«, schlug Sebastian Trenker vor.
Die jungen Leute waren damit einverstanden.
»Dann sucht euch einen Platz auf der Terrasse«, sagte Franz. »Die Milch kommt gleich.«
Er kannte die Vorliebe des Bergpfarrers für die frische gekühlte Almmilch. Pfarrer Trenker und seine Begleiter stiegen die Stufen zur Aussichtsterrasse hinauf und grüßten die anderen Gäste. Sebastian wechselte ein paar Worte mit den Bergführern und setzte sich dann an Florians Seite.
Die Milch war köstlich, das Essen deftig, wie es sich für eine Almhütte gehörte, und schmeckte ausgezeichnet. Als sie sich satt und zufrieden zurücklehnten, klingelte ein Handy.
»Nanu«, sagte Adrian erstaunt und griff in seine Jackentasche. »Wer will denn da was von mir?«
Er stand auf und entschuldigte sich. Ein Blick auf das Display zeigte ihm, daß es Wolfgang Brehm war, sein Partner in der Firma.
»Hallo, altes Haus«, rief er ins Telefon. »Ich wollte mal hören, wie’s dir geht. Du meldest dich ja überhaupt nicht.«
»Muß ich ja auch nicht«, erwiderte der Börsenmakler lachend. »Bin ja im Urlaub. Was ist los? Bricht der Aktienmarkt zusammen, oder ist unsere Firma pleite?«
»Weder noch. Die Geschäfte laufen gut. Nein, ich wollte mich wirklich nur erkundigen, was du so machst. Alles klar bei dir?«
»Alles in bester Ordnung. Ich wette, du errätst nicht, wo ich gerade bin.«
»Spanne mich nicht auf die Folter und sag’s einfach.«
»Auf einer Almhütte in gut zweitausend Metern Höhe, richtig zünftig geht’s hier zu. Wir haben gerade gegessen.«
»Wir?« hakte Wolfgang nach. »Wer ist denn die Schöne?« Er lachte meckernd. »Daß sie schön ist, davon gehe ich mal aus«, fügte er hinzu.
»Klar«, grinste Adrian Heller. »Du kennst mich doch.«
»Sicher. Deshalb weiß ich ja auch, daß