Innozenz. Gion Mathias Cavelty

Innozenz - Gion Mathias Cavelty


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filius meus«, lächelte der Mann im Bett sanft.

      »Ihr fühlt Euch unwohl?«, erkundigte sich Innozenz.

      »Ein ganz leichtes Zwicken im Magen, nichts Schlimmes«, entgegnete der Papst. »So höre denn: Ich habe dich zu mir rufen lassen, weil mir viel Gutes zu Ohren gekommen ist über dich. Die Zahl an Wundern, die du vollbracht hast, soll Legion sein.«

      »Das zu behaupten, wäre übertrieben«, erwiderte Innozenz demütig.

      »Du sollst levitieren können«, begann der Papst aufzuzählen.

      »Das zu behaupten, wäre wirklich übertrieben«, insistierte Innozenz.

      »Du sollst an mehreren Orten zur gleichen Zeit sein können.«

      »Man übertreibt.«

      »Du sollst mehrfach die schlechten Zähne von Gläubigen geheilt haben. Die Löcher darin sollen über Nacht mit Gold gefüllt gewesen sein.«

      »Man übertreibt ganz gewaltig.«

      »Durch eine sanfte Wundertat sollst du dein Kloster von Mäusen befreit haben. Dir soll die Muttergottes erschienen sein und dich mit einem Tropfen Milch aus ihrer Brust gelabt haben. Du sollst während einer Messe eine Hostie in einen zuckenden Herzmuskel verwandelt haben, der komplett aus lebenden Zellen bestanden haben soll.«

      »Was soll ich dazu bloß sagen, Heiliger Vater?«

      »Und auch als Verfolger von Ketzern sollst du erstaunliche Erfolge zu verbuchen haben. Ist es exempli gratia nicht so, dass du die abscheuliche Sekte der Drei- und der Fünfnagler zum Verschwinden gebracht hast, und zwar nur durch die Kraft deines reinen Herzens?«

      Damit meinte Abundius jene Sekten, die propagierten, Jesus Christus sei nicht mit vier Nägeln ans Kreuz geschlagen worden, sondern mit deren drei respektive fünf.

      VI

      Ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr der Papst fort:

      »Ebenso sollst du die Rechtsseitler beseitigt haben, die behaupteten, Jesus sei am Kreuz mit der Lanze in die rechte und nicht in die linke Seite gestochen worden. Den perfiden Patripassianisten, die sich zu propagieren erdreisteten, Gottvater höchstselbst habe am Kreuz gelitten und sei daran gestorben, sollst du genauso den Garaus gemacht haben wie den abscheulichen Adamiten, die die Wiederherstellung der Unschuld vor dem Sündenfall dadurch zu erreichen versuchten, dass sie splitternackt herumspazierten.«

      Beim Aussprechen des Wortes »Adamiten« nahm das sowieso schon recht grüne Gesicht des Pontifex Maximus einen noch grüneren Farbton an.

      Nach einer kurzen Würgeattacke flüsterte der Papst eindringlich:

      »Innozenz, ich wünsche dich mit einer schwierigen Mission zu betrauen. Es geht um einen Fall von aller schlimmster Ketzerei. Sie trägt sich zu im Dorfe Schwamendingen, zugehörig dem Bistum Konstanz. Es soll dort ein Sektiererbund sein Unwesen treiben, der in seiner Schlechtigkeit alles übertrifft, was mir je an Schilderungen von Schlechtigkeit zugetragen wurde. Im Zentrum seiner blasphemischen Rituale soll nichts anderes als der Schädel des ersten Menschen stehen. Vergegenwärtige dir das, Innozenz: der Schädel des ersten Menschen! Der Schädel des Menschen, der das Abbild des Allerhöchsten war! Das Abbild unseres Vaters im Himmel! Du musst nach Schwamendingen, die Gotteslästerer identifizieren und vernichten und den Schädel hierherbringen.«

      Es folgte eine längere Würgeattacke; schließlich fand Abundius die Kraft, Innozenz zuzuraunen:

      »Mach dich unverzüglich auf den Weg, mein Sohn. Dein Herz ist das einzige Mittel, das gegen die Düsternis anzukommen vermag. Die Bluthunde aus dem Orden der Dominikaner, die ich sonst auf solche Fälle ansetze, wären chancenlos. Geh inkognito. Tarne dich als ein durch die Lande ziehender Käferforscher. Sag, du wollest hinter die letzten Geheimnisse des Breitrüsslers kommen. Nimm trotzdem das Inquisitorenköfferchen mit, lediglich als Symbol, das dich an deinen Auftrag erinnern soll. Du brauchst das ganze Folterzeug nicht. Und jetzt: Nimm meinen Segen und geh! Benedicat te omnipotens Deus, Pater et Filius et Spiritus Sanctus.«

      »Amen«, hauchte Innozenz.

      VII

      Hier die Liste mit den imaginären, sich rein theoretisch im Inquisitorenkoffer befindenden Folterinstrumenten:

      *1 zweizackige Ketzergabel

      *1 vierzackige Ketzergabel

      *1 Zungenausreißer

      *1 Daumenschraube

      *1 Schädelschraube

      *1 Halsring mit 7 Eisendornen

      *1 Alligatorschere

      *1 Brustaufreißer

      *1 Würgeschraube

      *1 gespickter Hase

      *1 Mundbirne

      *1 Kiefersperre

      *1 avilanische Spinne

      *1 valencianische Halsgeige

      *1 andalusischer Hund

      *10 Fingernagelpflöcke

      *10 Fußnagelpflöcke

      *2 Fußschrauben

      *2 galicische Stiefel

      *2 Knieschrauben

      *1 kastilischer Kitzler

      *1 Zwangsgürtel

      *1 valladolidischer Kniebrecher

      *1 Anusspreizer

      *1 Hodenquetsche

      *1 Penisgrill

      *1 torquemadascher Ausdärmer

      VIII

      Innozenz tauschte seine fein gewebte Kutte gegen ein Gewand aus grobem grauem Tuch. Es verfügte über eine Kapuze und eine Einstecktasche auf Höhe der linken Brust. Dort hinein kroch ich in einem günstigen Moment unbemerkt; hier würde ich seinem Herzen ganz nah sein.

      Ja – dieses Herz zog mich unwiderstehlich an. Es und ich, wir waren gleich. Wir waren Brüder. Und ich wollte nie mehr getrennt von ihm sein.

      Innozenz’ Herz war das ursprüngliche Herz, wie ich das ursprüngliche Buch war.

      Es pulsierte für alle Welt unsichtbar in einem gar köstlichen Behältnis, ähnlich einem Kokon aus göttlichem Licht, das nichts anderes war als ein Dom der absoluten Unbesudeltheit. Seine Kuppel wurde von drei lodernden Flammen gekrönt. Ein dreifaches Alpha und ein einfaches Omega umkreisten den Sitz der Uridee des reinen Herzens satellitengleich. Lichtintarsien schienen auf und verschwanden wieder; unendliche Variationen von Akanthusblattmotiven, Rosen- und Lorbeerbändern, Kelchen mit Hostien, Tauben mit Olivenzweigen im Schnabel; alles aus Licht. Gestützt wurde der Kokon durch die 144 Säulen der Tugend, bestehend ebenfalls aus Licht.

      Ja, genau so las ich es; genau so musste es sein!

      Falls mich Innozenz irgendwann entdecken würde, würde ich mich ihm demütig als Inquisitoren-Notizbuch anbieten, im uneingeschränkten Vertrauen, dass er mich nicht verstoßen würde.

      IX

      Mit dem Inquisitorenköfferchen – offiziell: Käferforscherköfferchen – in der linken und einem Käferfangnetz in der rechten Hand machte sich Innozenz auf den Weg nach Schwamendingen. Sein Schritt war federnd und flott.

      Keinem Menschen, keinem Tier und keiner Pflanze fügte er Schaden zu, auch keinem Stein.

      So ging das volle vierundzwanzig Stunden lang, bis ich es nicht mehr aushielt. Im Gegensatz zu Innozenz, den der Fußmarsch nicht die geringste Kraft kostete – ja, der dadurch sogar noch erquickt wurde –, setzten


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