Tagebücher der Henker von Paris. Henry Sanson

Tagebücher der Henker von Paris - Henry Sanson


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      Diese Angelegenheit gewann großen Wert in den Augen eines Königs, der damals immer noch der Lenker der Geschicke Europas war. Er schien ebenso empfindlich über die schlechten Erfolge, welche seine Agenten erlangten, als er es über den Schimpf selbst gewesen war. Sobald er nur den Polizeileutnant erblickte, rief er ihn, befragte ihn mit Ungeduld über das Resultat seiner Nachforschungen und sparte ihm keine Vorwürfe, sobald er erfuhr, dass bisher alle diese Nachforschungen erfolglos gewesen seien.

      Endlich hatte Gott oder vielmehr der Teufel Mitleid mit diesem armen Herrn de la Reynie, der sich das Übel, das ein Minister mehr als den Tod fürchtet, eine Ungnade, sehr nahegerückt sah.

      Eines Tages hörte er mit sehr zerstreuter Miene die Klage eines Handwerkers an, dem man in der vergangenen Nacht fünftausendzweihundert Livres gestohlen hatte, als plötzlich der Sekretär des Polizeileutnants schnell eintrat, letzterem einen Brief überreichte und ihn bat, denselben sofort zu lesen.

      Kaum hatte der Polizeileutnant die Augen auf das Papier geworfen, so sprang er auf seinem Lehnstuhle in die Höhe. Auf ein Zeichen ging der Sekretär wieder hinaus, um einen Gefreiten zu rufen, während Herr de la Reynie in augenscheinlicher Erregung auf einem Pergamentblatte kritzelte, das bereits mit dem Staatssiegel versehen war.

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      Seine Bewegung war so groß, dass er den Mann mit den fünftausendzweihundert Livres vollständig vergessen hatte und nicht bemerkte, wie dieser, der nur zwei Schritte von seinem Bureau stand, alles, was er schrieb, lesen konnte, und dass er nicht einmal daran dachte, den grünen Vorhang, wie er es gewöhnlich tat, wenn er Besuch hatte, über seine Papiere herabzulassen.

      Der Handwerker sah mit dem naiven Vertrauen eines Menschen, der von der Wichtigkeit seiner eigenen Angelegenheit so überzeugt ist, dass er nicht daran zweifelt, nur diese könne die Obrigkeit beschäftigen, zu, wie der Polizeileutnant schrieb; aber der Sekretär, der, von dem Gefreiten gefolgt, wieder eintrat, zog ihn schnell zurück.

      Bei dem dadurch verursachten Geräusche hob Herr de la Reynie den Kopf und schien höchst unangenehm dadurch überrascht, dass er den unwichtigen Menschen noch neben sich sah. »Schreiben Sie Namen und Vornamen auf,« sagte er unwirsch zu ihm, »man wird sich mit Ihrer Angelegenheit beschäftigen.«

      Ein tiefes Erstaunen malte sich auf dem Gesichte des Mannes mit den fünftausendzweihundert Livres; er zögerte noch einige Augenblicke, näherte sich dann dem Bureau, nahm ein Stück Papier und eine Feder, sagte aber, sich plötzlich besinnend:

      »Erlauben Sie mir, mein Herr, Ihnen zu bemerken, dass ich schon die Ehre gehabt habe, Ihnen meinen Namen und sonstige Eigenschaften anzugeben, und dass Sie dieselben so gut behalten haben, dass ich mich über die Sicherheit Ihres Gedächtnisses wundern musste, denn soeben sah ich, ohne unbescheiden sein zu wollen, wie Sie es ebenso genau, als ich es nur hätte tun können, niederschrieben.«

      Herr de la Reynie biss sich auf die Lippen, und mit einem unbeschreiblichen Augenwinke gab er dem Sekretär ein Zeichen, sich dem Handwerker zu nähern.

      »Sie heißen Jean Larcher?« fragte er den letzteren.

      »Ja, mein Herr.«

      »Sie sind Buchbinder, Straße Lions-Saint-Paul, gegenüber dem Hotel de Fieuber, mit dem Zeichen zum goldenen Buche?«

      »Der Herr haben nichts vergessen«, sagte der arme Jean Larcher lächelnd, während er das Stück Papier, das er zu beschreiben angefangen hatte, in den Händen herumdrehte.

      Auch Herr de la Reynie lächelte, aber nicht auf dieselbe Weise; er zog den Gefreiten in eine Fensternische, sagte ihm einige Worte ins Ohr und meinte dann, ihn dem Buchbinder vorstellend:

      »Dieser Herr wird Sie nach Ihrer Wohnung begleiten; er wird die notwendigen Nachforschungen anstellen, um zur Entdeckung des Diebstahls zu gelangen, dessen Opfer Sie geworden sind, und wir werden nichts außer acht lassen, damit Ihnen Gerechtigkeit werde.«

      Unterwegs plauderte der Gefreite mit dem Buchbinder, der nacheinander alle die Details wiederholte, die er bereits dem Polizeileutnant gegeben hatte, ohne dabei die Beschreibung aller der Örtlichkeiten zu vergessen, die sein Begleiter kennenzulernen ganz besonders neugierig zu sein schien.

      Soldaten der Scharwache und Gefreite umgaben das Haus des Buchbinders.

      Der letztere zeigte sich mehr erfreut als überrascht von den militärischen Vorbereitungen, mit denen man ihn beehrte; er bemerkte seinem Begleiter, dass, wenn seine Wohnung in der vergangenen Nacht ebenso gut bewacht gewesen wäre, sich soviel brave Leute nicht heute zu bemühen gebraucht hätten.

      Der Buchbinder hatte seinen Begleiter so gut unterrichtet, dass der letztere, welcher vorausging, sich nicht in der Tür täuschte; er öffnete die der Niederlage, in welcher der Diebstahl begangen worden war, und ging gerade auf einen großen Schrank von Nussbaumholz zu, in dem Meister Larcher seinen Schatz verwahrt gehalten hatte.

      Während aber der Handwerker die Stöße von Stoffen umwühlte, die seinen Schatz so schlecht verborgen hatten, und sich Mühe gab, die Aufmerksamkeit des Gefreiten auf seinen Versteckwinkel zu ziehen, der leider jetzt verwitwet war, machte sich der Mann des Herrn de la Reynie einen Fußtritt aus den unteren Brettern, erhob sich bis zu dem Gesimse des Schrankes, streckte den Arm aus und warf einen kleinen Ballen Broschüren auf die Erde, auf den sich ein Kommissar, der plötzlich wie durch Zauber da war, mit der Begierde eines Geiers stürzte, der die Beute in seinen Klauen fühlt.

      Meister Larcher, erstaunt, dass man dem, was ihm in gar keiner Beziehung zu der Angelegenheit zu stehen schien, welche die Justiz in sein Haus führte, soviel Aufmerksamkeit schenkte, bemühte sich, den Gefreiten am Ärmel seines Rockes zu ziehen, um ihm einige Spuren gewaltsamen Einbruches, die an der Tür des Schrankes zurückgeblieben waren, zu zeigen.

      Das Benehmen des Gefreiten war aber ganz verändert; er schien den nicht mehr hören zu wollen, den er ein paar Augenblicke zuvor noch wie einen intimen Freund behandelt hatte.

      Inzwischen fing der Kommissar an, den Buchbinder zu verhören. Er zeigte auf die Broschüren und fragte, ob er sie als sein Eigentum anerkenne.

      In seiner Ungeduld antwortete Meister Larcher etwas unbedachtsamerweise, es könne wohl keinem Zweifel unterliegen, dass alles, was sich in seinem Hause befände, sein Eigentum oder das seiner Kunden sei, die es ihm anvertraut hätten.

      Der Kommissar nahm nun, nachdem er den Ballen geöffnet hatte, ein Exemplar der Broschüre, hielt es Meister Larcher unter die Augen und forderte ihn auf, zu erklären, von wem er die bei ihm gefundene strafbare Schrift habe.

      Als der Meister auf der ersten Seite den Titel des Pamphlets: »Der Schatten Herrn Scarrons« las, von dem er, wie sein Handwerk es mit sich brachte, hatte sprechen hören, wurde er bleich, seine Knie wankten, und er fasste sich an die in Schweiß gebadete Stirn; eine Weile blieb er stumm, niedergeschmettert durch die Erwägung der ihm drohenden Gefahr.

      Er ergriff das Wort nur wieder, um sich auf seine Unschuld zu berufen, bei allem, was auf der Erde heilig ist, zu versichern, dass er durchaus keine Kenntnis von der Anwesenheit dieser fatalen Broschüren in seinem Magazin gehabt habe und dass er sie zum ersten Mal sähe. Die Gefreiten antworteten ihm, er möge das alles nur seinen Richtern sagen, und schickten sich an, ihn mit sich zu nehmen.

      Die Frau Jean Larchers saß in einem Winkel des Zimmers, hatte ihr Gesicht mit der Schürze verhüllt und schien, nach ihrem Schluchzen zu urteilen, in der größten Betrübnis.

      Als Jean Larcher über die Schwelle schreiten wollte, bat er den Gefreiten, mit dem er sich in so freundschaftliche Beziehungen gesetzt hatte, ihm zu erlauben, dass er der, welche er nicht mehr wiederzusehen fürchtete, Lebewohl sagen dürfe.

      So hart auch sonst das Herz dieses Mannes, so gewöhnt er an solche Szenen war, hatte ihn die Verzweiflung doch gerührt; er machte seinen Gefährten ein Zeichen, anzuhalten, und der unglückliche Ehemann rief dreimal:

      »Marianne! Marianne! Marianne!«

      Aber


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