Tagebücher der Henker von Paris. Henry Sanson

Tagebücher der Henker von Paris - Henry Sanson


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besonders durch die Teilnehmer, die er zu seinen persönlichen Unternehmungen heranzog.

      Dies war nun gerade nicht der Fall bei dem alten Kameraden meines Ahnen vom Regiment de la Boissière.

      Wie Sanson von Longval später erfuhr, hatte Herr von Blignac, nachdem er sich allen Ausschweifungen überlassen und den vollständigen Untergang dessen, zu dessen bösem Geiste er sich gemacht, veranlasst, vollständig verschuldet und ohne Hilfsmittel bei seiner Rückkehr nach Paris seine erbärmliche Laufbahn dadurch gekrönt, dass er ein Hochstraßendieb wurde und den armen Teufel mit sich in seinen Fall zog.

      Unter dem Namen Grand-Jacques hatte er eine Bande alter Schmuggler und entlassener Soldaten zusammengebracht und an ihrer Spitze die großen Landstraßen im Osten Frankreichs unsicher gemacht.

      Sechs Jahre lang führte er dieses Abenteurerleben. Später, als er eine Postkutsche beraubt hatte, die ihm auf sein Teil sechzigtausend Livres einbrachte, hatte er sich in Paris niedergelassen, wohin ihm Paul Bertaut schon vorangegangen war.

      Dieser hatte von seinen Kreuz- und Querzügen ein Kind mitgebracht, das er von einer zu der Bande gehörigen Mulattin hatte.

      Seine Liebe zu diesem Kinde übte großen Einfluss auf seine Empfindungen. Er konnte sich zwar nicht entschließen, mit seiner beklagenswerten Vergangenheit zu brechen, diese Liebe brachte ihn aber wenigstens dahin, an den Plündereien nicht mehr direkten Anteil zu nehmen. Da er sich nicht entschließen konnte, sich von seiner Tochter zu trennen, hatte er angefangen, mit ihr an den Kirchentüren zu betteln.

      Was Herrn von Blignac anbetraf, so hatte er den Schauplatz seiner Taten, aber nicht seine Lebensweise geändert.

      Die Vergnügungsörter der Stadt waren nicht weniger ergiebig für ihn, als die Landstraßen es gewesen; er fand dort doppelte Gelegenheit, seine vorherrschende Leidenschaft zu befriedigen und zahlreicheren Narren zu begegnen, die er im Spiel plündern konnte.

      Bei dieser neuen Existenz musste er aber sehen, wie der Zauber verschwand, den der Hochstraßenräuber auf Leute ausübte, deren Mehrzahl genug Kühnheit besaß, eine Börse, einen Degen oder Mantel zu entwenden, und obgleich dieselben diesem Patriarchen des »Böhmerlandes« immer noch große Vorzüge gaben, so hatte er doch schon die Erfahrung gemacht, dass dieser Vorzug an dem Tage, an dem er sich mit der Majorität in Opposition befinden würde, schwinden müsse.

      Die Gegenwart Sanson von Longvals reichte nicht allein hin, den lustigen Zynismus, den er affektierte, herabzustimmen, sondern sie bewirkte auch, dass er die Aufrichtigkeit in seiner elenden Lage, vielleicht noch das einzige Gute an ihm, nicht zu bewahren wagte; sie zwang ihn, die Maske der Heuchelei vorzunehmen.

      Er kniete bei dem Bettler nieder, er befahl ihm nicht mehr, zu gestehen, sondern bat ihn darum; er legte so viel Salbung in seine Bitten und sprach mit so viel Zärtlichkeit sein Bedauern über die unbegreifliche Hartnäckigkeit des armen Alten aus, dass mein Ahne ihn eine Weile für aufrichtig hielt.

      Paul Bertaut blieb trotz so vieler Beredsamkeit taub; als jener von ihm und den Strafen, die ihn erwarteten; sprach, schien er ihn nicht einmal zu verstehen; er hatte alles vergessen, ausgenommen, dass man sein Kind bedroht habe, und mit der höchsten Festigkeit eines der edelsten Gefühle bezog er alle Antworten auf seine Tochter; er versicherte dem Hauptmann, dass sie unschuldig sei, und bemühte sich, dieser Überzeugung auch in dem Geiste des Böhmenchefs Aufnahme zu verschaffen; mit den schrecklichsten Schwüren rief er den Himmel zum Zeugen, dass er allein der Schuldige sei.

      Blignac erhob sich wie in tiefer Entmutigung; durch eine Gebärde schien er zu Sanson von Longval sagen zu wollen: »Ich kann nicht mehr tun.«

      »Sie werden doch nicht den verlassen, dessen ganzes Unglück Sie allein hervorgerufen haben?« fragte mein Ahne.

      Das Gesicht des alten Hauptmanns erbleichte unter seiner Maske von Runzeln; er zögerte eine Sekunde, aber die Leute waren schon so nahe getreten, dass sie jedes seiner Worte hören mussten.

      »Bah!« sagte er mit einer zu schrecklichen Gleichgültigkeit, als dass man sie für erheuchelt hätte halten können; »was tut es in unserem Alter, ob es ein bisschen früher oder später geschieht?«

      »Sie meinen gewiss, dass es wenig tut, ob so weiße Köpfe wie die unserigen schon heute oder morgen fallen, wenn wir hier unterliegen, indem wir ihn verteidigen?«

      Ein wahrer Donner von Verwünschungen erhob sich in dem Kreise der Banditen, und ihr Hauptmann, der begriff, dass man mit der Sache enden müsse, gab ein Zeichen. Der dreifache Kreis löste sich und vierzig Arme streckten sich nach dem, der bestimmt war, den blutdürstigen Appetit dieser Elenden zu befriedigen.

      Sanson von Longval versuchte sie zurückzustoßen und mit seinem eigenen Körper den armen Bertaut zu decken; aber von dem Wogen dieser Menschenwellen fortgerissen, war er bald weit von seinem Vetter getrennt, und als er einem der Banditen das Pistol aus dem Gürtel reißen wollte, versetzte ihm dieser, seiner Absicht zuvorkommend, einen Faustschlag, der ihn zu Boden streckte.

      Als er wieder zu sich kam, war Blignac an seiner Seite und bemühte sich, ihn dadurch wiederzubeleben, dass er ihm einige Tropfen Branntwein auf die Lippen goss.

      In demselben Augenblicke ertönte ein schrecklicher Schrei.

      Es war der erste Angstruf, welchen der Schmerz Paul Bertaut entlockte.

      Die Banditen hatten bereits eine Tortur erfunden, und ihre Erfindungsgabe übertraf die Schranken, welche die Justiz damaliger Zeit für die Schuldigen hatte.

      Eine Feuerpfanne war herbeigeholt worden und man brannte die Fußsohlen Paul Bertauts an der Flamme.

      Sanson von Longval stieß seinen alten Kameraden zurück und wollte aufspringen, aber von seinem Falle noch immer betäubt, wankte er wie ein Betrunkener und fiel wieder schwer auf den Boden. Er lehnte sich gegen die Mauer, stützte die Ellenbogen auf die Knie, steckte die Daumen in seine Ohren und bedeckte die Augen mit den Händen; er wollte sich taub und blind machen.

      Was sich inmitten des von den Banditen gebildeten Kreises zutrug, war so schrecklich, dass ich, um nicht den Vorwurf, den man mir gemacht hat, das Entsetzliche zu genau zu schildern, zu rechtfertigen, meine Leser um die Erlaubnis bitten muss, über diese finsteren Einzelheiten schweigen zu dürfen.

      Die Verbindungen der Pariser Banditen machten damals einen sehr häufigen Gebrauch von der Folter, bald um die Fehler eines ihrer Angehörigen zu bestrafen, bald um ihre Opfer zu zwingen, ihnen das, was ihre Begierde gereizt hatte, auszuliefern.

      Am häufigsten wurde, wie bei dem Vorfall, den ich soeben erzähle, die Feuertortur angewandt.

      Paul Bertaut hielt sie mit einer Festigkeit aus, die sich nicht einen Augenblick verleugnete. Seine Füße waren gebraten; der Geruch des verbrannten Fleisches war so schrecklich geworden, dass die wütendsten der Elenden, die ihn umgaben, sich gezwungen fühlten, den Kopf abzuwenden; eine Frau war in Ohnmacht gefallen. Er blieb bei dem Märchen, das er erfunden hatte, seine Tochter für unschuldig zu erklären und alles auf sich zu nehmen.

      Selbst als die unglückliche menschliche Maschine zu unterliegen begann, als der wütende Schmerz sein ganzes Wesen vernichtete, in seiner Angst, die ein wahres Delirium hervorrief, verleugnete er seinen Entschluss nicht. Um seinen wankenden Mut aufrechtzuerhalten, betete er, und die er anrief, war sein undankbares und schuldiges Kind, das ihn verlassen hatte und dessen Verfehlung die Ursache seines Todes werden sollte. Er nannte es mit den süßesten, zärtlichsten Namen, und als ob sein Gehirn in dieser entsetzlichen Lage die Kraft behalten hätte, das Bild deren, für die er litt, vor sich zu zaubern, so sah man seine Lippen sich bewegen und ihn in die Luft hinein Küsse geben.

      Herr von Blignac war infolge der Anstrengungen, die er machte, um seine Bewegung zu beherrschen, leichenblass geworden. Ohne sich um die Folgen, die sein Handeln haben konnte, zu bekümmern, beschloss er, dieser abscheulichen Szene ein Ende zu machen, indem er diesen Henkern befahl, mit den unnützen Grausamkeiten aufzuhören und dem Delinquenten, da er ein Geständnis verweigere, Gnade für seine Beständigkeit zu bewilligen.

      Dieser Vorschlag lief dem blutdürstigen Instinkte und der Wildheit der Banditen aber gerade


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