Unter der Drachenwand von Arno Geiger: Reclam Lektüreschlüssel XL. Sascha Feuchert

Unter der Drachenwand von Arno Geiger: Reclam Lektüreschlüssel XL - Sascha Feuchert


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sich noch einmal deutlich von denen der anderen: Er ist Jude. Zunächst erhält der Leser Einblick in Briefe Meyers an seine Cousine Jeannette, der es bereits gelungen ist, nach Südafrika (S. 114) auszuwandern und dem immer weiter zunehmenden Terror der Nazis zu entfliehen. Von diesem berichtet Oskar anschaulich: Neben offiziellen Verboten nehmen auch die persönlichen Demütigungen praktisch täglich zu (S. 116). Auch wirtschaftlich werden die Juden immer weiter in die Enge getrieben: Familie Meyer, die neben Oskar noch aus dessen Ehefrau Wally und dem gemeinsamen Sohn Georg(ili) besteht, muss die Wohnung in der Possingergasse räumen, den ganzen Hausrat zu Spottpreisen versetzen und landet schließlich verarmt mit »vier anderen Personen« (S. 119) in einem einzigen Zimmer. Die Lage erscheint immer aussichtsloser, Versuche, nach Amerika oder nach Südafrika auszuwandern, scheitern, auch weil die erwünschten Gastländer die Bedrängten nicht wollen und immer neue bürokratische Hürden aufbauen (S. 122 f.). Wally versinkt angesichts dieser Situation in Lethargie und Depression (S. 118 f.) und will zunächst nicht einfach fliehen, da sie »ein freier Mensch und eine geborene Bürgerin dieser Stadt [sei], es wäre albern, vor so irrwitzigen Bestimmungen davonzulaufen« (S. 119). Doch nachdem sich auch ein letzter möglicher Ausweg, legal nach Accra auszuwandern (S. 121), zerschlägt, entscheidet sich die Familie, der es gelungen war, den ältesten Sohn Bernili noch rechtzeitig nach England ins Exil zu schicken, zur Flucht nach Ungarn. Das auch, weil Wally plötzlich erkennt, wohin das alles führen wird: »Am Ende werden sie uns umbringen.« (S. 124) Von der Entscheidung zur Flucht und ihren ersten Etappen berichtet Oskar nicht mehr in Briefen an Jeannette, sondern offensichtlich in seinem eigenen Tagebuch. Der Übergang zwischen Briefen und Tagebuch bleibt dabei unmarkiert.

      Den ganzen Tag Schneegestöber: Der Roman kehrt zur Haupterzählung nach Mondsee zurück. Veits Ruhe wird nur durch zweierlei gestört: Zum einen nehmen die Konflikte mit der Quartierfrau weiter zu (S. 130, 137) und zum anderen plagen ihn weiterhin seine Angstanfälle (vgl. S. 139 f.).

      Seine Beziehung zur Darmstädterin wird derweil immer intimer (S. 130), und auch mit dem Brasilianer scheint sich eine Freundschaft anzubahnen (S. 132). Besonders gefällt ihm an Robert Raimund Perttes, wie der Brasilianer eigentlich heißt, dass dieser jemand ist, »an dem der Hebel zur Gleichschaltung nicht umgelegt worden war« (S. 133). Dennoch ist er besorgt, dass die laute Kritik des Brasilianers an der »Firma für Blut und Boden« (S. 136) zu weit gehen könnte. Der Brasilianer erzählt Veit auch, dass seine Schwester Trude, die Quartierfrau, sich erst durch die Heirat mit dem »Lackierermeister« Dohm, »der momentan im Generalgouvernement den neuen Menschen markiere« (S. 135), so negativ verändert habe.

      Als Veit eine erneute Panikattacke erleidet, kommt ihm Veit und Nanni Nanni Schaller zu Hilfe, sie hält seine Hand und redet beruhigend auf ihn ein. Dann zeigt sie ihm einen Brief ihrer Mutter, in dem sie wegen ihrer Beziehung zu ihrem Cousin Kurt heftig beschimpft wird. Sie bittet Kolbe, ihrer Mutter zu schreiben, »als Soldat […] und [zu] sagen […], dass Verliebtsein etwas Schönes ist« (S. 142). Veit windet sich und lehnt Nannis Bitte schließlich ab.

      Beschlossen wird das Kapitel mit dem erwähnten Brief der Mutter an Nanni – der fast nur aus Sätzen mit Ausrufungszeichen am Ende und aus Vorwürfen besteht.

      Der März war ungewöhnlich: Für Veit verändern zwei Dinge sein Leben nachhaltig: Zum einen verschreibt ihm der Gemeindearzt das Pervtin Medikament »Pervitin«, das er »aber nur nehmen [soll], wenn es gar nicht anders gehe« (S. 147). Zum anderen wird Veit – wie die ganze Gemeinde – vom plötzlichen Verschwinden der jungen Nanni verschwindet Nanni Schaller erschüttert. Zunächst vermutet man, sie sei mit ihrem Cousin durchgebrannt, doch der junge Mann ist völlig ahnungslos und macht sich selbst »große Sorgen« (S. 151). Veits Onkel Johann übernimmt die Ermittlungen, bleibt aber auch dabei weiterhin stark mit sich selbst beschäftigt (S. 154). Kolbes Sicht auf seinen Verwandten verschlechtert sich zusehends: Als Nannis Mutter unangekündigt in Mondsee auftaucht und vom Gendarmen vernommen wird, unterstellt Veit ihm, ohne echte Empathie zu sein (S. 158–160). In dem Verhör schildert die Mutter Nanni als kluges, leicht erziehbares Kind, das allerdings frühreif sei und sich mit Freundinnen umgeben habe, »die für Aufklärung über das andere Geschlecht sorgten« (S. 157).

      Bei Margot bemerkt Veit den breiten hessischen Akzent, der besonders beim Wort ›Krieg‹ »der Sache eine realistische Seite« abzugewinnen vermag: »[E]s klang nach kriechen, sich in Erdlöchern verkriechen, es klang nach den finsteren, feuchten Schächten, in die ich fiel, wenn ich meine Anfälle hatte.« (S. 162)

      Der Elternbesuchstag: Zwar ist die Freude bei den landverschickten Mädchen und ihren Eltern groß, als es endlich zum lang ersehnten Besuchstag kommt, doch steht dieser »unter einem nervösen Stern« (S. 163), wie Veit bemerkt. Zum einen finden die Eltern ihre Kinder durchaus »selbstbewusster« (S. 164) wieder als noch einige Monate zuvor, zum anderen sind alle durch das Verschwinden von Nanni Schaller beunruhigt. Neues gibt es zu der 13-Jährigen nicht, Veits eher untätiger Onkel glaubt, »dass alles Wesentliche bald von selbst aus dem Fall herauseitern werde« (S. 170). Seine einzige Der Onkel ermittelt (nicht)Ermittlungstätigkeit scheint darin zu bestehen, dass er die Briefe von Nannis Cousin Kurt, die weiterhin in Mondsee eintreffen, liest. Und auch Veit darf die Briefe lesen – in seiner Funktion als Schreiber, die er öfter für den Onkel ausübt. Die Lehrerin Bildstein scheint dagegen wegen Nanni unter »Nachstellungen der Behörde« (S. 166) zu leiden, wie sie Veit bei einem zufälligen Treffen anvertraut – ansonsten aber bleibt sie ihm gegenüber so kühl wie zuvor. Sie erstaunt ihn allerdings mit einer Bemerkung über sein schlechtes Aussehen (S. 167).

      Eher zufällig gerät Veit mit der jungen polnischen Zwangsarbeiterin Joanna, die ihm seine Stiefel putzt, auch eine Opfergruppe in den Blick, die in der NS-Gesellschaft zwar massiv ausgebeutet, aber sonst wenig beachtet wird (S. 168). Joanna hat einen »plötzlichen Gefühlsausbruch« (ebd.) und gibt dabei einen Einblick in ihre traurige Existenz.

      Dem Der unvorsichtige Brasilianer Brasilianer wird eine abfällige Aussage über den »Minister für Öffentlichkeitsarbeit« (S. 174, gemeint ist Propagandaminister Joseph Goebbels), die er in der Gastwirtschaft »Zum Schwarzen Adler« macht, schließlich zum Verhängnis.

      Der Brasilianer wurde nicht über Nacht: Veit überrascht es zunächst, dass die Verhaftung Verhaftung des Brasilianers nicht so vor sich geht, »wie die Leute es sich von derlei Vorgängen erzählten« (S. 175). Doch die Beamten erfüllen dann rasch das Klischee: der eine »so feist, dass er im Nacken Harmonikafalten bekam, wenn er den Kopf nur ein wenig hob« (S. 176), der andere »schlug die Hündin sofort zweimal mit einem Stock«. Die Übergriffe beschränken sich freilich nicht auf das Tier des Brasilianers: Auch er erhält »einen Schlag ins Gesicht« (S. 177), wird getreten und gestoßen. Veit verfolgt das Ganze mit »arge[m] Herzklopfen« (S. 178), tut aber nichts. Beim Einsteigen in den Polizeiwagen bittet der Brasilianer Veit, sich um die Gärtnerei zu kümmern. Veits erste Reaktion ist, dass er »in die Sache nicht hineingezogen werden« (S. 180) will, nicht zuletzt, weil er Gefahr laufe, »dass [s]ein Dienstgeber früher als vorgesehen nach [ihm greift]«. Doch Veit wird deutlich, dass der Brasilianer sein Freund ist und er in einer Verpflichtung steht. Nachdem auch noch die Scheiben des Gewächshauses – vermutlich von Jugendlichen – nachts eingeworfen werden, gelingt es Veit nur mit »allerlei Mühen« (S. 184) und auch Bestechung, neues Glas zu besorgen, um schließlich die Veit übernimmt Gärtnerei Arbeit in der Gärtnerei zu übernehmen. Das Verhältnis zu seinem Onkel verschlechtert sich weiter, vor allem auch, weil dieser wenig Ermittlungseifer an den Tag legt, als es darum geht, die nächtlichen Vandalen zu ermitteln (S. 183). Zum Bild, das Veit zunehmend von seinem Onkel gewinnt, passt, dass er sich vor allem für die Zigarren des Brasilianers interessiert, die dieser angeblich »für die besonders schlechten Zeiten« (S. 185) gehortet habe. Es ist auch der Onkel, der Veit die unangenehme Nachricht überbringt, dass »im Ort schon Beschwerden geäußert [würden], [er] wäre an der Front besser aufgehoben als hier« (S. 184).

      In den Dschungeln Schwarzindiens: Nach der Verhaftung des Brasilianers beginnt sich das Leben für Veit massiv zu verändern, weil er nun die Verantwortung für die Gärtnerei zusammen mit der Darmstädterin übernommen hat. Die körperliche Arbeit erschöpft Veit – was ihm allerdings teilweise gefällt (S. 190). Sein Verhältnis zur Margot und Veit Darmstädterin wird immer enger,


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