Spannungsfelder der Krisenintervention. Claudius Stein

Spannungsfelder der Krisenintervention - Claudius Stein


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Verzweiflung, Überaktivität und Rückzug beobachtet. Kein Symptom ist längere Zeit vorherrschend.

      • Die Symptome sind rasch rückläufig, längstens innerhalb von wenigen Stunden, wenn eine Entfernung aus der belastenden Umgebung möglich ist. In den Fällen, in denen die Belastung weiter besteht, oder in denen sie naturgemäß nicht reversibel ist, beginnen die Symptome in der Regel nach 24 bis 48 Stunden abzuklingen und sind gewöhnlich nach 3 Tagen nur noch minimal vorhanden.

      Auch für die Anpassungsstörung gilt, dass es einen nachvollziehbaren Grund für die Annahme geben muss, dass die Störung ohne äußere Belastung nicht aufgetreten wäre. Der Beginn der Störung sollte definitionsgemäß innerhalb eines Monats nach dem belastenden Ereignis liegen. Die Symptome sind vielfältig, je nach vorherrschendem klinischem Bild werden Unterkategorien beschrieben (z. B. kurze depressive Reaktion F 43.20).

      Kasten 2.8: Anpassungsstörung F 43.2 (ICD-10 1993)

      • Hier handelt es sich um Zustände von subjektivem Leiden und emotionaler Beeinträchtigung, die soziale Funktionen und Leistungen behindern und während des Anpassungsprozesses nach einer entscheidenden Lebensveränderung, nach einem belastenden Lebensereignis oder auch nach schwerer körperlicher Krankheit auftreten.

      • Die Belastung kann die Unversehrtheit des sozialen Netzes betroffen haben (bei einem Trauerfall oder Trennungserlebnis), das weitere Umfeld sozialer Unterstützung oder sozialer Werte (wie bei Emigration oder nach Flucht).

      • Die individuelle Disposition oder Vulnerabilität spielt bei dem möglichen Auftreten und bei der Form der Anpassungsstörung eine größere Rolle als bei den anderen Krankheitsbildern von F43; es ist aber dennoch davon auszugehen, dass das Krankheitsbild ohne die Belastung nicht entstanden wäre. Die Anzeichen sind unterschiedlich und umfassen depressive Stimmung, Angst, Besorgnis (oder eine Mischung von diesen), ein Gefühl, unmöglich zurechtzukommen, vorausplanen oder in der gegenwärtigen Situation fortfahren zu können, ferner eine Einschränkung bei der Bewältigung der alltäglichen Routine. Der Betreffende kann sich so fühlen als stehe er kurz vor darmatischem Verhalten oder Gewaltausbrüchen, wozu es aber selten kommt.

      • Die Störung beginnt im Allgemeinen innerhalb eines Monats nach dem belastenden Ereignis oder der Lebensveränderung. Die Symptome halten meist nicht länger als sechs Monate an, außer bei der längeren depressiven Reaktion« (F43.21).

      Ergänzend zu diesen Diagnosen sind die Kategorisierungen von psychosozialen Problemstellungen nach Kapitel XXI des ICD-10 zu sehen: »Faktoren, die den Gesundheitszustand beeinflussen und zur Inanspruchnahme von Gesundheitsdiensten führen (Z-Diagnosen)« (Dilling et al. 1993, S.339) Dabei werden verschiedenste Belastungssituationen wie z. B. normale Trauerreaktionen (Z 63.4 Verschwinden oder Tod eines Familienmitgliedes) erfasst, die zu Kontakten mit Kriseninterventionseinrichtungen oder anderen medizinischen Diensten führen können.

      Möglich ist natürlich auch, dass sich in Folge einer unbewältigten Krise sowohl psychische als auch psychosomatische krankheitswertige Störungen entwickeln. Die Diagnose ist dann in Übereinstimmung mit dem klinischen Bild zu ändern. Etwas willkürlich wird dabei für das Andauern der Symptome eine zeitliche Grenze von sechs Monaten festgelegt.

      Das grundsätzliche Problem, die Abgrenzung zwischen der normalen Reaktion auf außergewöhnliche Ereignisse und dem Übergang in ein psychisches Störungsbild, wird auch im ICD-10 nicht gelöst. Es bleibt dabei, dass sich der Mensch in der Krise letztlich an einer nicht exakt festzulegenden Grenze zwischen Gesundheit und Krankheit bewegt. Die Übergänge sind fließend und selten genau definierbar. Vielfältige Faktoren bestimmen darüber, auf welcher Seite der Grenze sich der Betroffene nach der Krise wiederfindet.

      »Ich bin überzeugt, dass wir uns alle im gefährlichen Fluss des Lebens befinden und niemals sicher am Ufer stehen.« (Antonovsky 1993, S. 7)

      Bezug nehmend auf dieses Zitat stellt sich unweigerlich die Frage, was Menschen überhaupt dazu befähigt, sich in diesem gefährlichen Fluss fortzubewegen. Speziell im Kontext der Krisenintervention ist die Beschäftigung mit den Themen Ressourcen, Coping und Bewältigung insbesondere im Hinblick auf die Entwicklung geeigneter Interventionsstrategien von größter Bedeutung.

      In diesem Sinne hat sich in den letzten Jahrzehnten der Forschungszweig der Salutogenese entwickelt. Damit verbunden ist ein Paradigmenwechsel. Dieser führt ein Stück weg von Überlegungen, welche Defizite Krankheit bzw. psychische Störungen entstehen lassen hin zu Konzepten, die sich mit den Bedingungen von Gesundheit und wie diese aufrechterhalten werden kann, beschäftigen. Gerade in Hinblick auf die Bewältigung von Krisen stellt sich die Frage, was bestimmte Menschen dazu befähigt, besonders gut mit Stressoren fertig zu werden. Denn selbst bei Extremtraumatisierungen sind nicht alle Menschen gleichermaßen von Traumafolgestörungen betroffen und einigen gelingt es sogar, derart massive Belastungen ohne erkennbare Schäden zu überstehen. Wie an anderer Stelle bereits ausgeführt (image Kap. 2.3) hat die konstruktive Auseinandersetzung mit Stress und Belastung, sofern diese ein gewisses Maß nicht überschreiten, ein bedeutendes Wachstumspotenzial. Umso wichtiger ist es, sich mit den adaptiven Strategien, die Menschen im Umgang mit Stress und Belastung zur Verfügung stehen, zu beschäftigen. »Bewältigungsverhalten ist Teil des ganz normalen, immer präsenten täglichen Anpassungsprozesses« (Costa et al. 1996) und Haan (1982) meint: »Belastung bringt dem Menschen Gewinn, weil Belastungen einen weicher, bescheidener und widerstandsfähiger machen« (S.255). Einschränkend muss man allerdings feststellen, dass es natürlich keine Selbstverständlichkeit ist, dass Menschen Gewinn aus Belastungen ziehen und sich die Frage stellen, warum dies in manchen Situationen möglich ist und in anderen nicht und weshalb manche Menschen besonders gut in der Lage sind, den Chancencharakter von Krisen für sich zu nutzen. Gute »coper« sind demnach Personen, die darauf vertrauen eine Lösung für ihr Problem finden zu können und sich daher auch aktiv und überlegt mit einer Belastung auseinandersetzen. Meist werden sie zusätzlich von einem stabilen, sozialen Netz getragen. Neue Situationen begreifen sie als Herausforderung, denen man sich zu stellen hat. Jene Menschen hingegen, die sich in schwierigen Situation rasch hilflos ausgeliefert fühlen, die schuldhaft in Bezug auf sich und andere reagieren, die passiv-resignativ an ein Problem herangehen und sich auch schwertun, soziale Unterstützung zu mobilisieren, scheitern häufiger an der Krisenbewältigung (»bad coper«) (vgl. Heim 1993).

      Dies führt uns direkt zum Begriff der Metaressourcen. Manche Menschen sind also besonders gut in der Lage, gerade in Belastungssituationen die Gesamtheit ihrer Ressourcen zu aktivieren. »Metaressourcen sind solche inneren Fähigkeiten eines Menschen, welche die Nutzung sämtlicher anderer, innerer und äußerer Ressourcen erleichtern, es ist eine Art übergeordnete Zugangs-Ressource zu den vielfältigen Einzel-Ressourcen« (Rösing 2003, S. 171). In der Stress- und Copingforschung werden insbesondere drei Konzepte von Metaressourcen diskutiert.

      Kasten 2.9: Metaressourcen

      Self-efficacy (Bandura 1982)

      Hardiness (Kobasa 1979)

      Sense of Coherence (Antonovsky 1988, 1993)

      Self Efficacy (Bandura 1982)

      Man kann diesen Begriff mit »allgemeiner Selbstwirksamkeit» übersetzen. Darunter versteht man die Selbstwahrnehmung, die durch das Gefühl geprägt ist, die Dinge »im Griff zu haben«, also in Belastungssituationen aufgrund der eigenen Kompetenz handlungsfähig zu sein und mit unterschiedlichen Problemen erfolgreich umgehen zu können« (vgl. Jerusalem 1990, S. 51). Kann man jene Probleme, die zur Lösung anstehen, bewältigen, entsteht auch ein Gefühl von Kontrolle über das eigene Leben.

      Hardiness (Kobasa 1979)

      Unter hardiness, übersetzbar mit »Belastbarkeit« oder »Widerstandskraft«, versteht man eine hohe innere Überzeugung der Kontrolle über alle Lagen des Lebens, die Fähigkeit sich auf


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