Spannungsfelder der Krisenintervention. Claudius Stein

Spannungsfelder der Krisenintervention - Claudius Stein


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      • Verleugnung: Ein Konflikt, eine Bedrohung oder Beeinträchtigung wird einfach nicht anerkannt, obwohl der Betroffene darüber Bescheid weiß. Er verhält sich so, als ob er nichts davon wüsste.

      • Verschiebung von Bedeutendem auf weniger Bedeutendes: Beispiel: Die Wut auf eine bestimmte Person (z. B. den Chef) wird auf andere (meist unterlegene) Personen verschoben, dies ist dann weniger bedrohlich und einfacher zu handhaben (z. B. Aggression im Straßenverkehr).

      • Wendung gegen das Selbst: Ein aggressiver Impuls wird nicht auf eine andere Person sondern auf sich selbst gerichtet (Suizidimpuls in Trennungssituationen).

      • Spaltung: Widersprüchliche Wahrnehmungen, Bewertungen und Erlebnisweisen wechseln einander ab und bilden polare Erlebnis- und Reaktionsmuster (»nur gut/nur schlecht«). Beide Pole können einander im Erleben abwechseln. An der Umschlagstelle steht meist ein starkes affektives Erleben, z. B. eine massive Kränkung (Narzisstische Krise, image Kap. 3.3.4, Fall Christa). Eine Person wird also nicht mit ihren positiven und negativen Seiten als Ganzes wahrgenommen, sondern einmal als ein idealer Mensch ohne Fehler gesehen und dann z. B. in Folge einer Kränkung vollkommen abgelehnt.

      • Idealisierung / Entwertung: Ähnlicher Mechanismus wie bei der Spaltung, aber weniger Polarisierung des ursprünglich ganzheitlichen Erlebens und weniger Realitätsverzerrung.

      • Projektion: Ein unerwünschter eigener Impuls wird in die Außenwelt verschoben und einem anderen zugeschrieben (»nicht ich bin aggressiv, sondern du bedrohst mich ständig mit deiner Wut«)

      • Projektive Identifizierung: Andere Personen werden durch manipulierendes Verhalten dazu gebracht, sich so zu fühlen, wie man sich selbst fühlt. Man kann sich damit von unerträglichen Gefühlen oder eigenen Anteilen distanzieren (z. B. durch Suiziddrohungen entstehen im Gegenüber Hilflosigkeit und Ohnmacht).

      Abwehr beeinflusst auch den Bewältigungsprozess in einer Krise – manchmal durchaus in einer positiven Weise. So ist das Verdrängen oder Verleugnen der Realität in der Schockphase einer Verlustkrise (image Kap. 3.1.1 und image Kap. 3.1.2) ein sinnvoller Mechanismus, um sich zunächst vor der momentan nicht verarbeitbaren Mitteilung oder Wahrnehmung und den damit verbundenen überwältigenden Gefühlen zu schützen. Durch Verleugnung wird die Bedrohung oder Beeinträchtigung einfach nicht anerkannt, obwohl der Betroffene darüber Bescheid weiß. Er verhält sich so, als ob er nichts davon wüsste.

      Zum Problem wird nur der übermäßige Einsatz von Abwehr oder eine ausgeprägte Starre der Abwehrmechanismen. Auch die Folgen von Abwehrprozessen, meist in Form von Symptombildungen können schädlich für das Individuum sein. Das könnte z. B. heißen, dass nach einem schmerzhaften Verlust die Verleugnung beibehalten wird, dadurch eine depressive Entwicklung einsetzt und in der Folge den notwendigen Trauerprozess verunmöglicht.

      In Krisen können aufgrund der massiven innerseelischen Labilisierung Abwehrmechanismen aller Strukturniveaus, also auch solche, die man normalerweise nur bei schweren psychischen Störungen findet, vorkommen.

      

      Fallbeispiel Anita

      Anita kann sich zu Beginn der Krise mit dem Aspekt des Vertrauensbruchs nicht auseinandersetzen, weil sie ihre Energie für die Organisation des äußerst schwierigen Alltags benötigt. Sie spaltet ihre Gefühle ab. Dies ist in dieser Situation ein sinnvoller Abwehrmechanismus, da sie sonst Gefahr läuft ihre Funktionsfähigkeit zu verlieren. Nach 4 Wochen ist die Überforderung aber so groß, dass die Abwehr zusammenbricht und sie professionelle Hilfe benötigt.

      Erst im Laufe der Krisenintervention, zu einem Zeitpunkt, zu dem die gröbsten Probleme entschärft sind, kann sie sich eingestehen, wie enttäuscht und gekränkt sie ist und die Gefühle von Schmerz, Trauer und Wut zulassen. Deutlich wird auch, dass sie ihren Mann und ihre Beziehung lange Zeit idealisiert hat und dadurch Anzeichen für die Schwierigkeiten ihres Partners und entsprechende Alarmsignale (seine häufige Abwesenheit, seine zunehmende Gereiztheit und seinen Rückzug) verdrängt und verleugnet hat.

      Ressourcen

      Unter Ressourcen versteht man sowohl unspezifische allgemeine Kräfte, als auch individuelle Fähigkeiten des Menschen, die zur Bewältigung von Aufgaben und Anforderungen mobilisiert werden können. Soziale Ressourcen sind die allgemeinen sozioökonomischen Lebensbedingungen des Individuums, also seine finanziellen Möglichkeiten, das Vorhandensein von Arbeits- und Wohnmöglichkeiten, aber auch die Verfügbarkeit eines tragfähigen sozialen Netzes und mitmenschlicher Unterstützung. Persönliche Ressourcen hingegen haben individuellen und subjektiven Charakter. Dazu gehören Persönlichkeitsmerkmale und Fähigkeiten, wie Introspektionsfähigkeit, die Bereitschaft, sich anderen mitteilen zu können, Zugang zu den eigenen Emotionen, Realitätssinn, Selbstwirksamkeit, Optimismus und internale Kontrollüberzeugung. Als instrumentale Ressourcen bezeichnet man die Verfügbarkeit erworbener Problemlösungsstrategien. Können diese instrumentalen Ressourcen in Krisensituationen in zielorientierten Handlungen eingesetzt werden, hat das stabilisierende und bestärkende Effekte (vgl. Lorenz 2005).

      Tab. 2.1: Ressourcen

Images

      

      Fallbeispiel Anita

      Anita verfügt über gute soziale Ressourcen, auch wenn die ökonomische Situation schwierig ist. Sie kann sowohl auf die praktische wie auch ideelle Unterstützung ihrer Umwelt zählen. Sie kann gut über sich und ihre Gefühle sprechen, ist reflexionsfähig und nach der ersten Schockphase (image Kap. 3.1.1) in der Lage, die Realität zu akzeptieren und sich an die veränderten Umstände anzupassen. Da sie all die Jahre zunächst im Elternhaus und dann in der Beziehung sehr behütet war, fällt es ihr zunächst schwer, eigenständig zu entscheiden und selbst aktiv zu handeln. Sie ist aber überraschend bald in der Lage, diese neue Rolle auszufüllen, was zeigt, dass sie über gute Metaressourcen (image Kap. 2.6) verfügt.

      All die in diesem Kapitel beschriebenen Variablen tragen also dazu bei, ob es überhaupt zu einer Krise kommt und wie mit ihr umgegangen wird. Sie bestimmen den Grad der Erschütterung, der sich aus dem bedrohlichen Ereignis ergibt. Die Anpassung an die veränderte objektive und subjektive Situation erfolgt in mehreren Schritten bzw. Phasen und führt je nach Art und Gelingen der Bewältigungsversuche zu einer spezifischen mehr oder minder gesunden Form der Restabilisierung.

      »Menschen haben im Unterschied zu Tieren ganz besondere Fähigkeiten zur Stressbewältigung. Mit der enormen Ausdehnung der Hirnrinde geht die Fähigkeit zur Verknüpfung verschiedener Wahrnehmungen, zur Verankerung von Erfahrungen, zur Ausbildung eines enormen autographischen Gedächtnisses, zum Erlernen und Abspeichern von Sachwissen im expliziten Gedächtnis und zur Herausbildung sogenannter Metakompetenzen, wie Selbstwirksamkeitskonzept, Handlungsplanung, Impulskontrolle, Folgeabschätzung, Frustrationstoleranz und Metakognitionen, wie Vorstellungen, Ideen und Überzeugungen einher.« (Hüther und Sachsse 2007, S. 170)

      2.3.1 Vorbemerkung


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