Dr. Daniel Staffel 10 – Arztroman. Marie Francoise
gegeben, wie die junge Frau gleich feststellen konnte.
Dr. Robert Daniel, Arzt für Gynäkologie, stand auf dem einen Praxisschild und darunter: Dr. Manon Daniel, Ärztin für Allgemeinmedizin.
»Er ist also wieder verheiratet«, murmelte Mona. Sie erinnerte sich noch sehr genau daran, wie Dr. Daniels erste Frau ganz unerwartet verstorben war und er Steinhausen den Rücken gekehrt hatte. Nun war er also wieder hier, und er war verheiratet. Mona lächelte ein wenig. Sie gönnte dem sympathischen Arzt dieses zweite Glück von ganzem Herzen.
Langsam setzte sie ihren Weg fort. Eigentlich war es schon viel zu dunkel, um jetzt noch zum Waldsee zu gehen, doch trotz der Gefahren, die der schmale Waldweg nachts barg, schlug Mona diese Richtung ein. Sie ging besonders vorsichtig, um nicht über Wurzeln oder herabgefallene Äste zu stolpern.
Dann konnte sie ihn auch schon sehen. Im fahlen Mondlicht glitzerte das Wasser wie mit Silberplättchen bestreut. Es drängte Mona, die Finger in das eisige kalte Wasser zu tauchen, doch als sie das Ufer erreicht hatte, entdeckte sie in der Ferne etwas, was ihre Neugier weckte. Da schimmerte doch Licht durch die Bäume, oder?
Mona trat aus dem Wald heraus und staunte. Da stand ein großer, hufeisenförmiger Bau, hinter dessen Fenstern noch vereinzelt Licht brannte. Mona ging auf das Gebäude zu und erkannte beim Näherkommen, daß es sich um eine Klinik handeln mußte.
Nach einigem Zögern trat sie durch die Doppeltür in die geflieste Eingangshalle und blickte sich überrascht um. Tatsächlich, Steinhausen verfügte über eine eigene Klinik.
»Kann ich Ihnen helfen?« fragte eine junge Frau in hellblauer Schwesterntracht. Ein an ihrem Kittel befestigtes Schildchen wies sie als Schwester Irmgard aus.
»Nein, ich… äh, eigentlich nicht«, stammelte Mona unsicher. Es war ihr ein bißchen peinlich, weil sie völlig grundlos hier hereingekommen war… nur aus Neugier.
Schwester Irmgard wies auf Monas Beine. »Das sollten Sie aber versorgen lassen.«
Mona blickte nach unten, und erst in diesem Moment registrierte sie ihre schmerzenden Füße. Ihre Strümpfe waren bis über die Fersen herauf voller Blut.
Fürsorglich griff die Nachtschwester an ihren Arm. »Kommen Sie, ich bringe Sie zur Notaufnahme. Frau Dr. Reintaler wird sich gleich um Sie kümmern.«
»Danke«, murmelte Mona verlegen, zögerte und sprach dann weiter: »Was müssen Sie nur von mir denken?«
Schwester Irmgard lächelte auf eine zurückhaltende, aber herzliche Art. »Ich denke, daß Sie großen Kummer haben. Vermutlich war ihr Herz so schwer, daß sie körperliche Schmerzen gar nicht bemerkt haben.«
Mona nickte. »Damit haben Sie wohl gar nicht so unrecht.«
Sie hatten jetzt die Notaufnahme erreicht und die Krankenschwester half Mona, sich auf die Untersuchungsliege zu setzen.
»Frau Dr. Reintaler wird gleich hier sein«, versprach Irmgard, dann zog sie sich zurück.
Es dauerte tatsächlich nicht lange, bis eine hübsche junge Ärztin hereinkam. Ihre wilde blonde Löwenmähne hatte sie nur mühsam mit einer Spange im Nacken gebändigt, und Mona erkannte zu ihrer Verwunderung, daß sie smaragdgrüne Augen hatte, die aber nicht katzenhaft wirkten, sondern sehr viel Herzenswärme ausstrahlten.
»Ich bin Dr. Alena Reintaler«, stellte sie sich vor und reichte Mona die Hand.
»Mona Lombardi«, entgegnete sie.
»Was für ein klangvoller Name«, meinte Alena bewundernd.
Mona lächelte wehmütig. »Mein Vater war italienischer Abstammung, lebte aber schon in der vierten Generation hier in Deutschland.«
Alena deutete ihr Lächeln und den Klang ihrer Stimme richtig. »Sie vermissen ihn sehr, nicht wahr?«
Mona nickte. »Es ist schon etliche Jahre her, aber…« Sie stockte, dann blickte sie mit einer Mischung aus Staunen und Bewunderung auf. »Wie konnten sie das wissen? Sind Sie Psychologin oder so etwas?«
Lächelnd schüttelte Alena den Kopf. »Ich bin Gynäkologin, aber hier in der Waldsee-Klinik muß sich jeder Arzt auf jedem Gebiet ein bißchen auskennen – vor allem auch in der Psyche des Menschen. Wirklich heilen kann man nämlich nur, wenn man den Menschen selbst und nicht nur seine Krankheit sieht. Das habe ich allerdings erst hier gelernt.«
»Waldsee-Klinik«, wiederholte Mona leise. »Das klingt so… beruhigend… heimelig.« Sie blickte sich um. »Für einen Arzt muß es schön sein, hier zu arbeiten.«
Alena nickte ohne zu zögern. »Ja, hier wird der Beruf zur Berufung.« Vorsichtig zog sie Mona die Schuhe aus. »Nun will ich mir aber Ihre Füße anschauen.«
Mona streifte die Seidenstrumpfhose ab, nun konnte man die wundgelaufenen Fersen erst wirklich erkennen.
»Ich fürchte, da werden Sie für eine Weile auf solche Schuhe verzichten müssen«, meinte Alena und wies auf die eleganten flaschengrünen Lackpumps.
»Das kann ich nicht«, erwiderte Mona. »In meinem Beruf…«
Sehr ernst sah Alena sie an. »Ihre Gesundheit sollte Ihnen wichtiger sein. Sehen Sie, Frau Lombardi, ich kann diese Wunden jetzt zwar versorgen, aber wenn Sie sich morgen wieder in solche Schuhe zwängen, dann kann aus den verhältnismäßig harmlosen Verletzungen eine Infektion entstehen, und damit ist wirklich nicht zu scherzen. Sie könnten im ungünstigsten Falle ein Leben lang, zumindest aber über viele Jahre hinweg mit Ihren Füßen Beschwerden haben.«
Mit einer fahrigen Handbewegung strich sich Mona über die Stirn.
»Warum läuft bei mir plötzlich alles schief?« fragte sie verzweifelt. »Noch heute früh war alles in bester Ordnung… nein, mehr als das. Mein Leben war auf dem absoluten Höhepunkt – beruflich und privat… dachte ich wenigstens. Und jetzt… innerhalb weniger Stunden…« Sie stockte und schüttelte nur den Kopf.
Mitfühlend sah Alena die junge Frau an. »Ich mache Ihnen einen Vorschlag, Frau Lombardi. Als erstes werde ich Ihre Füße versorgen, dann muß ich auf den beiden Stationen noch einmal nach dem Rechten sehen. Anschließend werden wir uns bei einer Tasse Kaffee zusammensetzen, und Sie schütten mir Ihr Herz aus, einverstanden?«
Mona nickte dankbar. Diese Ärztin erinnerte sie ein wenig an ihre Mutter, auch wenn sie sicher wesentlich jünger war. Mona schätzte sie auf Mitte bis Ende Dreißig. Ihre Mutter war schon fast fünfzig gewesen, als sie gestorben war. Allerdings hatte sie wesentlich jünger ausgesehen, deshalb hatte auch niemand bemerkt, daß sie erst relativ spät schwanger geworden war – ganz im Gegenteil. Man hatte sie sogar immer für eine ausgesprochen junge Mutti gehalten.
»So, Frau Lombardi, das war’s schon«, meinte Alena und riß Mona damit aus ihren Gedanken. »Ich begleite Sie jetzt noch zum Ärztezimmer, wo Sie dann bitte auf mich warten.«
»Ich weiß gar nicht, wie ich das gutmachen soll«, murmelte Mona verlegen.
Da lächelte Alena. »Sie sind im Moment Patientin hier, und ich bin als Ärztin für die Patienten dieser Klinik da.«
*
Mona mußte auf die junge Ärztin nicht lange warten. Als Alena das Zimmer betrat, hatte sie zwei Tassen dampfenden Kaffee dabei, von denen sie eine vor Mona abstellte. Dankbar nippte die junge Frau an dem heißen Getränk. Obwohl die Temperaturen für März schon recht angenehm waren, hatte Mona nach der langen Wanderung durch die Nacht doch ziemlich gefroren.
»Ich wußte nicht, wohin«, gestand Mona leise, als sie ihre Tasse wieder abstellte. »Ich war seit Jahren nicht mehr in Steinhausen, dabei bin ich hier geboren und aufgewachsen.« Sie seufzte und lehnte sich auf dem Stuhl zurück. »Wer weiß, ob ich jemals wieder hergekommen wäre, wenn nicht…« Sie unterbrach sich mitten im Satz und senkte den Kopf, dann blickte sie auf – direkt in Alenas smaragdgrüne Augen. »Wurden Sie schon einmal betrogen? Ich meine… haben Sie einen Mann so sehr geliebt, so…« Wieder brachte sie den Satz nicht zu Ende.
Unwillkürlich