Beethoven. Peter Wehle

Beethoven - Peter Wehle


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alles zu lernen habe, was den Jünger zum Meister macht.“

      Anton Schindler, Beethovens selbst ernanntes Faktotum der späten Jahre, mag zwar nach dessen Tod aus Eitelkeit manch Dokument gefälscht haben, diese Stelle im „Ersten Theil“ seiner Biographie von Ludwig van Beethoven dürfte aber durchaus den Tatsachen entsprochen haben.

      Jedoch war Familie von Breuning nicht nur Beethovens privater Rettungsanker, in beruflicher Hinsicht diente sie ihm ebenfalls als freundschaftliches Sprungbrett. So lernte er dort Graf Ferdinand Ernst von Waldstein-Wartenberg kennen, der zu einem seiner wichtigsten Förderer werden sollte.

      1787 war der Sohn aus dem berühmten böhmischen Adelsgeschlecht in den OT, den Ordo Teutonicus, den Deutschen Orden, eingetreten, dessen Hochmeister Fürsterzbischof Maximilian Franz ihn am 17. Juni 1788 zum Ritter schlug. Als Bonner Neuling wurde Waldstein natürlich gleich in den entsprechenden Kreisen herzlich aufgenommen – zum Beispiel bei von Breunings, die seit Generationen dem Deutschen Orden eng verbunden waren.

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      Ein Förderer der ersten Stunde: der Jurist, Idealist und vielseitige Musiker Christian Gottlob Neefe (1748–1798)

      Wie weit das Ritterballett, das am 6. März 1791 im Bonner Redoutensaal uraufgeführt wurde, eine Waldstein-Beethoven’sche-Koproduktion war und ist, ob einige der verwendeten Melodien wenigstens in Ansätzen vom Grafen Waldstein stammen, wird wohl kaum mehr eruierbar sein. Tatsächlich wurde der Wirkliche Geheimrat, Mitglied der Staatskonferenz und Mitglied der kurkölnischen Landstandschaft Graf Waldstein nicht nur als Gastgeber dieser Faschings- beziehungsweise Karnevalsveranstaltung für die Bonner Aristokratie angesehen, sondern auch als – einziger – Komponist dieses „karakteristischen Ballet in altdeutscher Tracht“ genannt, „darinn die Hauptneigungen unsrer Urväter, zu Krieg, Jagd, Liebe und Zechen“ musikalisch gewürdigt wurden.

      Auf jeden Fall hielt sich der Irrtum bis 1838 – erst in diesem Jahr wiesen Beethovens Jugendfreunde Wegeler und Ries in ihren Biographischen Notizen über Ludwig van Beethoven auf die Urheberschaft ihres genialen Freundes hin.

      Am Rande bemerkt: Ein Thema dieses Balletts verarbeitete Beethoven zu einem vierhändigen Klavierwerk, das 1794 unter dem Titel Variations à quatre mains pour le Pianoforte sur une Thème de Monsieur le Comte de Waldstein par Louis van Beethoven in Bonn verlegt wurde.

      Egal ob Beethoven Graf Waldstein eine allzu öffentliche Wer-hat’s-komponiert-Klarstellung mit all ihren bösartigen Mauscheleien ersparen wollte oder ob er dieses Werk von vornherein als Klanggabe zur Selbst-Inszenierung für seinen gräflichen Förderer gedacht und ihm geschenkt hatte, er hatte sich nicht nur als Freund, sondern auch als kluger Taktiker erwiesen. Graf Waldstein war – und wurde immer mehr – zu seinem Gönner und Fürsprecher.

      Schon 1790 hatte Haydn auf dem Weg nach London Bonn einen Besuch abgestattet. Als er dann 1792 von dieser – triumphalen – England-Reise nach Wien zurückkehrte, hatte ihn vielleicht sein Manager und ehemaliger Nachbar der Familie Beethoven, Johann Peter Salomon, veranlasst, den Weg noch einmal über Bonn zu nehmen. Die Chance, sich vor dem greisen – Haydn war immerhin schon 60 Jahre alt – Giganten adäquat zu präsentieren, ließ sich Ludwig van Beethoven nicht nehmen.

      Eine zweite Wien-Reise des jungen Bonners wurde besprochen … und fand dank Graf Waldsteins Überzeugungskunst und der darauffolgenden finanziellen Unterstützung durch Maximilian Franz tatsächlich statt. Die Abschiedsworte, die der Graf seinem Schützling am 29. Oktober 1792 ins Stammbuch schrieb, wurden legendär:

      Lieber Beethowen!

      Sie reisen itzt nach Wien zur Erfüllung ihrer so lange bestrittenen Wünsche. Mozart’s Genius trauert noch und beweinet den Tod seines Zöglinges. Bey dem unerschöpflichem Hayden fand er Zuflucht, aber keine Beschäftigung; durch ihn wünscht er noch einmal mit jemanden vereinigt zu werden. Durch ununterbrochenen Fleiß erhalten Sie: Mozart’s Geist aus Haydens Händen.

      Bonn d 29t. Oct. 1792. Ihr warer Freund Waldstein OT

      Legendär … und sehr oft missverstanden. Denn kaum einer, der während der vergangenen 200 Jahre diese Worte mit bejahendem Kopfnicken las, war sich ihrer Tragweite bewusst.

      Salopp formuliert: Woher hat der denn das mit dem Genius schon damals so genau gewusst haben wollen, der Herr Graf?

      Denn 1792 war Mozart bereits tot und damit endgültig unsterblich geworden, Haydn war spätestens in den vergangenen zwei Jahren in London und damit in der Welt schon zu Lebzeiten zu seinem eigenen Denkmal gereift, aber Beethoven … Er galt noch nicht als das Genie, als das wir ihn heute ganz selbstverständlich in unserem Bildungskanon eingeordnet haben. Doch Graf Waldstein, selbst großer Verfechter aufklärerischer Gedanken, erkannte dank seiner Fähigkeit, hinter die Herkunft und Erbtitellosigkeit eines Menschen zu blicken, schon zu diesem Zeitpunkt in jenem ungelenken und zeitweise schwierigen Burschen den Mann, in dem der – seit Mozarts Tod vor einem Jahr heimatlose – Genius eine neue Heimat gefunden hatte.

      Ludwig van Beethoven schien nun endgültig zum musikalischen Zeremonienmeister eines der größten gesellschaftlichen Umbrüche, der Aufklärung, und ihrer – teils eruptiven – Umschichtungen herangewachsen zu sein. Aber er war nicht nur ein kongenialer In-Töne-Übersetzer neuer Gedanken, seine Musik klang weit darüber hinaus.

      Liberté, Égalité, Fraternité … und Beethoven!

      WILLKOMMEN IN WIEN

      Am 2. November 1792 verließ Beethoven Bonn, seine Reise in die Reichs-, Haupt- und Residenzstadt dauerte acht Tage und führte ihn unter anderem durch Kriegsgebiet. Sein erstes (von zahlreichen) Wiener Quartieren bezog Beethoven bei einem Buchdrucker in der damaligen Vorstadt, seine damalige Adresse, Alser Straße 30, liegt heute nur zehn Minuten vom Zentrum entfernt.

      Nun aber musste sich der junge Mann natürlich „völlig neu equippiren“. Zum einen hatte er sich um „Holz, Perrückenmacher, Kaffee, Ueberrock, Stiefel, Schuhe, Klavierpult, Petschaft, Schreibpult, Klaviergeld“ zu kümmern, aber Beethoven verabsäumte auch nicht, sich die Adresse von „Andreas Lindner, Tanzmeister, wohnt im Stoff am Himmel Nr. 415“ zu notieren.

      Es ist nur ein kleines Detail, zeigt aber Beethovens sozialen Trumpf, dessen sich der junge Kleinstädter möglicherweise nicht deutlich bewusst gewesen sein mag – die Sozialisierung durch seine Heimatstadt Bonn.

      Dank der knapp 200-jährigen Funktion als Haupt- und Residenzstadt des Kurfürstentums Köln hatte Bonn, und vor allem sein Wissens- und Kulturleben, ein anderes Niveau als manche deutsche Kleinstadt aufzuweisen. Der Kurfürstliche Musikbetrieb war wahrlich nicht irgendeine Hinterhofkapelle, sondern führte zu Recht den Namen Hofkapelle. Auch andere Positionen im Kultur- und Wissensbetrieb versprachen solide Qualität und lockten daher entsprechend gute Bewerber an – Christian Gottlob Neefe sei als Beispiel genannt.

      In Bonn musikalisch aufzuwachsen war also kein tragisches Schicksal, sondern – selbst für ein angehendes Genie – eine Chance. Abgesehen davon war der letzte und für Beethoven entscheidende Fürsterzbischof, Maximilian Franz, als jüngster Sohn von Kaiser Franz I. Stephan von Lothringen und Maria Theresia der Onkel des amtierenden Kaisers Franz II., was dem jungen Beethoven in Wien sicher nicht schadete.

      Ganz zu schweigen von den Nebeneffekten, die ein kurfürsterzbischöflicher Kaisersohn mit sich brachte, wie zum Beispiel Bonner Besuche österreichischer Würdenträger, die dabei den jungen Beethoven beziehungsweise von dessen beginnendem Ruhm gehört hatten. Oder Maximilian Franz’ Funktion als Hochmeister des Deutschen Ordens, welche wiederum Beethoven die Bekanntschaft mit Graf Waldstein ermöglicht hatte. Dessen Wurzeln – die Mutter war eine Liechtenstein, die Großmutter eine Trauttmansdorff, durch Schwestern, Onkeln und Tanten war Graf Waldstein mit zahlreichen der großen Adelsgeschlechter verwandt – waren eine von Beethovens Eintrittskarten in die höchsten Kreise. Und Beethovens Familie war natürlich ganz wesentlich mit Bonn verbunden. Ein ähnlicher sozialer Aufstieg, wie er seinem Großvater gelang, wäre zwar in jeder Kleinstadt mit ausgeprägtem und finanziertem Musikleben


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