Ein Thron aus Knochen und Schatten. Laura Labas
erzählt habe?« Vorsichtig nickte ich. Sein Vater hatte seinen Bruder getötet, obwohl Noah eigentlich sein Opfer hätte sein sollen. Dorian hatte ihn daraufhin aufgezogen. »Gareth war keineswegs über meine Anwesenheit begeistert und hat alles getan, um das zu sabotieren.«
»Was meinst du?«
»Er hat versucht, mich bei Dorian schlechtzureden und alles zu zerstören, was mir etwas bedeutete.«
»Das glaube ich nicht«, entschlüpfte es mir, bevor ich es hatte zurückhalten können. Ich erkannte an seiner Miene augenblicklich, dass es das Falsche gewesen war. »Noah …«
»Ja, schon verstanden. Du bist jetzt auf seiner Seite. Alles, was ich sage, ist natürlich gelogen und an den Haaren herbeigezogen.« Ich hatte ihn noch nie derart außer Fassung gesehen und es bereitete mir Sorgen. »Vergiss es.«
Ich umfasste seinen Unterarm und hielt ihn davon ab, davonzulaufen. »Werde ich nicht. Es tut mir leid und natürlich hast du recht.«
»Er ist einfach nur ein privilegiertes Arschloch, Alison. Ich will nicht, dass du das vergisst.«
»Werde ich nicht. Versprochen.« Ich lächelte vorsichtig und wartete, bis sich die Spannung auch in ihm löste und er mein Lächeln erwiderte. Glücklich umarmte ich ihn fest. »Sorry. Aber du kannst manchmal auch selbst ein Arschloch sein.«
Er lachte so laut, dass sein ganzer Körper an meinem vibrierte.
Gemeinsam gingen wir zurück, ignorierten die neugierigen Blicke, mit denen wir begrüßt wurden, und gaben uns beide mehr Mühe. Ich mir im Sterne werfen und er sich im geduldig sein. Es funktionierte schon etwas besser. Am Ende unseres Trainings war ich immerhin so weit, dass die Hälfte meiner Sterne ins Ziel traf.
»Noah? Darf ich ein paar der Sterne mitnehmen?« Ich hielt sechs Stück in den Händen.
»Klar. Gareth sagte mir, er habe Dorians Einverständnis eingeholt, damit du deine Waffen zurückbekommst.«
Als ob er dadurch Gareth herbeibeschworen hätte, tauchte er auf der Lichtung auf.
»In der Tat.« Der Königsdämon nickte und trat auf mich zu.
Ich spürte Noahs warnenden Blick, ehe er sich zu den anderen gesellte.
»Hier sind die Waffen, die Camun dir damals abgenommen hat.« Camun. An ihn hatte ich lange nicht mehr gedacht. Er war der eigentliche Dämon, der mich entführt hatte. Dorian hatte lediglich die Gelegenheit genutzt, mich vor dem Tod bewahrt und zu seiner Gefangenen gemacht.
Gareth reichte mir einen kleinen Stoffbeutel, in dem meine Waffen klimperten. Ich holte fürs Erste nur mein Waidblatt hervor und berührte es wie einen verloren geglaubten Geliebten. Zwar hatte ich mit ihm gegen die Kaskaden gekämpft, doch danach hatte ich alle Waffen zurückgeben müssen.
»Natürlich ohne die Pistole. Die ist nicht erlaubt«, schnaubte Gareth und ließ mich aufsehen. Nur ein schwacher Hauch Missbilligung war in seinen Zügen zu erkennen. »Vergiss unser Training morgen Nachmittag nicht.«
»Keine Sorge.« Ich nahm die Wurfsterne und legte sie in den Beutel, bevor wir uns in Bewegung setzten, um zu den anderen aufzuschließen. »Hast du Angst?«
»Wovor?«
»Davor, dass ich dich mit meinen Waffen erledige?«
»Wohl kaum.«
»Das hab ich mir gedacht.« Ich lachte leise.
»Wieso fragst du dann?«
»Es war ein Versuch wert«, antwortete ich schulterzuckend. Als ich Ophelia erblickte, zog ich einen Schritt an. Sie hielt inne und bedeutete auch Ian und Hadley, stehen zu bleiben. »Ich dachte, wir könnten Bird gemeinsam noch einen Besuch abstatten? Ich weiß, wir sind alle müde und erschöpft, aber ich glaube, es wäre wichtig für sie. Und uns.«
Sie sahen einander an und nickten schließlich.
Die Dämonen achteten nur darauf, dass wir wohlbehalten nach drinnen gelangten und ließen uns dann in Ruhe.
Bird befand sich noch immer in ihrem Krankenbett, war aber hocherfreut, uns alle gemeinsam zu Besuch zu haben. Wir berichteten ihr jedes einzelne Detail von unserem leicht veränderten Training und dass wir uns nun vielmehr gegenseitig helfen würden.
»Dank Aly müssen wir jetzt auch noch zusätzlich laufen«, beschwerte sich Ian, dessen hellblondes Haar von einer Mütze, die er nun in einer Hand hielt, platt auf seinem Kopf lag.
»Hey, immerhin müsst ihr nicht vor Einbruch der Nacht zusätzliches Training absolvieren«, beschwerte ich mich und bewarf ihn mit einem Kissen, das er problemlos mit der anderen Hand auffing. Wir hatten uns alle auf die Doppelbettmatratze um Bird herum gesetzt, sodass es eng, aber kuschelig war. Hadley gähnte.
»Ich würde gerne tauschen«, gestand Phi und setzte eine verträumte Miene auf. Ich wusste ganz genau, worüber sie nachdachte.
»Was findest du denn so toll an ihm?«, fragte ich entnervt. »Er ist ein … Mistkerl. Wenn ich dir die Hälfte von dem erzählen würde, was er mir angetan hat, würdest du ihn nicht mehr so toll finden.«
Sie sah mich unbewegt an. »Warum erzählst du’s mir dann nicht einfach?«
»Äh …« Gute Frage. »Zum einen, weil ich nicht will, dass ihr mich anders anseht, und zum anderen … werde endlich mal erwachsen. Wir sind nur aus einem Grund hier, weshalb ich die Sterne für dich mitgenommen hab, Bird.« Ich fasste in den Beutel und holte die sechs Sterne hervor. »Wir müssen lernen, die Sterne in jeder Position zu werfen. Also auch im Liegen.«
»Aber ich habe kein Ziel«, betone sie, hielt einen der sechszackigen Sterne aber bewundernd in der Hand. Das Licht der aufgehenden Sonne wurde davon reflektiert.
»Ach, die Decke tut es doch auch.« Ich sprang auf, suchte einen Stift in den Schubladen des Schreibtischs, die im Gegensatz zu denen in meiner Kommode in meinem Zimmer gefüllt waren, und zeichnete mehrere Kreise auf die Decke direkt über dem Bett. »Lass sehen.«
Ich ging zur Seite, Bird zielte und warf. Der Stern wurde von dem Putz abgeschmettert und fiel neben ihr auf die Wolldecke.
»Du brauchst mehr Kraft als wir, wenn du der Wand was anhaben willst«, ermutigte ich sie. »Du schaffst das.« Und tatsächlich. Der zweite Stern blieb vibrierend mit anderthalb Zacken in der Wand stecken. »Sehr gut!« Wir applaudierten allesamt. »Und jetzt ab ins Bett. Wir müssen morgen fit sein.«
Das Lachen verebbte zwar, aber die gute Laune blieb, als jeder sein eigenes Zimmer aufsuchte und wir uns gegenseitig eine gute Nacht wünschten.
Kapitel Sechs
Müde und vom Training erschöpft fiel ich ins gemütliche Bett. Sobald mein Kopf das Kissen berührte, war ich auch schon tief und fest eingeschlafen.
Ich träumte von einem Sommer, der viele Jahre zurücklag und von dem ich mir nicht sicher war, ob er wirklich so geschehen oder nur meiner Fantasie entsprungen war. Er lag in der Zeit, in der die Dämonen bereits auf der Erde verweilten und wir Menschen aber zum großen Teil noch nichts von ihrer Existenz gewusst hatten. Meine Eltern und meine Schwester Sarah waren mit mir in den Park gegangen, in dem ich besonders gerne den Kletterberg erklommen hatte. Ich kannte weder Angst noch Zurückhaltung und ließ Sarah jedes Mal hinter mir. Sie war wütend, dass ich so viel schneller und flinker war als sie. Das Problem, das ich allerdings ständig außer Acht ließ, war, dass ich nicht mehr von allein herunterkam. Ich hatte keine Angst vor der Höhe, aber furchtbare Panik vor dem Fallen. Solange es für mich also hinaufging, verschwendete ich keinen einzigen Gedanken an die Tiefe, aber dann, sobald ich nicht weiterkam, musste ich mich unweigerlich der Wahrheit stellen. Meine Eltern und Sarah hatten das gewusst, aber sie waren unfähig gewesen, mich vom Klettern abzuhalten. Sie hatten es versucht, doch ich hatte bloß begonnen, wie eine Verrückte zu schreien. Eine Fünfjährige konnte ziemlich