In Stahlgewittern, aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers. Эрнст Юнгер
wir uns meist in dem überfüllten Orte aufhalten, in dessen Nähe die berühmten Stätten von Mars-la-Tour und Gravelotte liegen. Wenige hundert Meter vom Dorfe wurde die Straße nach Gravelotte von der Grenze geschnitten, an der der französische Grenzpfahl zerschmettert am Boden lag. Abends machten wir uns oft das wehmütige Vergnügen eines Spazierganges nach Deutschland.
Unsere Scheune war so baufällig, daß man balancieren mußte, um nicht durch die morschen Bretter auf die Tenne zu stürzen. An einem Abend, als unsere Gruppe gerade unter Vorsitz ihres biederen Korporals Kerkhoff beschäftigt war, auf einer Krippe die Portionen zu teilen, löste sich ein ungeheurer Eichklotz aus dem Gebälk und stürzte krachend herunter. Zum Glück klemmte er sich dicht über unseren Köpfen zwischen zwei Lehmwänden. Wir kamen mit dem Schrecken davon, aber unsere schöne Fleischportion war durch den aufgewirbelten Schutt ungenießbar geworden. Kaum hatten wir uns an diesem ominösen Abend niedergelegt, als kräftig an das Tor gedonnert wurde und die alarmierende Stimme des Feldwebels uns vom Lager trieb. Zuerst, wie immer in solchen Augenblicken, ein Moment der Stille, dann wirres Durcheinander und Gepolter: „Mein Helm! Wo ist mein Brotbeutel? Ich kriege meine Stiefel nicht an! Du hast meine Patronen geklaut! Hol’t Mul, du August!“
Zuletzt war doch alles fertig, und wir marschierten zum Bahnhof von Chamblay, von wo wir in einigen Minuten mit der Bahn bis Pagny-sur-Moselle fuhren. In den Morgenstunden erklommen wir die Moselhöhen und, blieben in Prény, einem romantischen, von einer Burgruine überragten Bergdorf. Diesmal war unsere Scheune ein mit aromatischem Bergheu gefüllter Steinbau, aus dessen Luken wir auf die weinbepflanzten Moselberge und das im Tal gelegene Städtchen Pagny blicken konnten, das oft mit Granaten und Fliegerbomben belegt wurde. Einige Male schlug ein Geschoß in die Mosel, eine turmhohe Wassersäule hochschleudernd.
Das warme Wetter und die prächtige Landschaft wirkten wahrhaft belebend auf uns und reizten in den Freistunden zu langen Spaziergängen. Wir waren so übermütig, daß wir abends noch einige Zeit ulkten, bevor alles zur Ruhe kam. Unter anderem war es ein beliebter Scherz, Schnarchern aus einer Feldflasche Wasser oder Kaffee in den Mund zu gießen.
Am Abend des 22. April marschierten wir von Prény ab, legten über 30 Kilometer bis zum Dorfe Hattonchâtel zurück, ohne trotz dem schweren Gepäck einen Marschkranken zu haben, und schlugen rechts von der berühmten Grande Tranchée mitten im Walde Zelte auf. Es war aus allen Anzeichen zu ersehen, daß wir am nächsten Tage ins Gefecht kommen würden. Wir empfingen Verbandpäckchen, zweite Fleischbüchsen und Signalflaggen für die Artillerie.
Am Abend saß ich noch lange in jener ahnungsvollen Stimmung, von der die Krieger aller Zeiten zu erzählen wissen, auf einem von blauen Anemonen umwucherten Baumstumpf, ehe ich über die Reihen der Kameraden an meinen Zeltplatz kroch, und träumte in der Nacht wirres Zeug zusammen, in dem ein Totenkopf die Hauptrolle spielte. Priepke, dem ich am Morgen davon erzählte, hoffte, daß es ein Franzosenschädel gewesen sei.
Les Eparges.
Das junge Grün des Waldes schimmerte im Morgen. Wir wanden uns durch versteckte Wege zu einer engen Schlucht hinter der vorderen Linie. Es war bekanntgegeben, daß das Regiment 76 nach 20minutiger Feuervorbereitung stürmen und wir als Reserve bereitstehen sollten. Punkt 12 Uhr eröffnete unsere Artillerie eine heftige Kanonade, die vielfach in den Waldschluchten widerhallte. Zum ersten Male vernahmen wir hier das schwere Wort: Trommelfeuer. Wir saßen auf den Tornistern, untätig und erregt. Eine Ordonnanz stürzte zum Kompagnieführer. Hastige Worte. „Die drei ersten Gräben sind in unserer Hand, sechs Geschütze erbeutet!“ Ein Hurra flammte auf. Draufgängerstimmung erwachte.
Endlich kam der ersehnte Befehl. Wir zogen in langer Reihe nach vorn, von wo verschwommenes Gewehrfeuer prasselte. Es wurde ernst. Zur Seite des Waldpfades dröhnten in einem Tannendickicht dumpfe Stöße, Zweige und Erde rauschten nieder. Ein Ängstlicher warf sich unter erzwungenem Gelächter der Kameraden zu Boden. Dann glitt der Mahnruf des Todes durch die Reihen: „Sanitäter nach vorn!“
Auf der Grande Tranchée hasteten Truppen vor. Um Wasser flehende Verwundete kauerten am Straßenrand, bahrentragende Gefangene keuchten zurück, Protzen rasselten im Galopp durchs Feuer. Rechts und links stampften Granaten den weichen Boden, schweres Geäst brach nieder. Mitten im Wege lag ein totes Pferd mit riesigen Wunden, daneben dampfende Eingeweide. An einem Baume lehnte ein bärtiger Landwehrmann: „Jungens, jetzt feste ran, der Franzmann ist im Laufen!“
Wir gelangten in das kampfzerwühlte Reich der Infanterie. Der Umkreis der Sturmausgangsstellung war von Geschossen kahl geholzt. Im zerrissenen Zwischenfelde lagen die Opfer des Sturmes, den Kopf feindwärts; die grauen Röcke hoben sich kaum vom Boden ab. Eine Riesengestalt, mit rotem, blutbesudeltem Vollbart starrte zum Himmel, die Fäuste in die lockere Erde gekrallt. Ein junger Mensch wälzte sich in einem Trichter, die gelbliche Farbe des Todes auf den Zügen. Unsere Blicke schienen ihm unangenehm, mit einer gleichgültigen Bewegung zog er sich den Mantel über den Kopf und wurde still.
Wir lösten uns aus der Marschkolonne. Fortwährend zischte es in langem, scharfem Bogen heran, Blitze wirbelten den Boden der Lichtung hoch. „Sanitäter!“ Wir hatten den ersten Toten. Dem Füsilier S. zerriß eine Schrapnellkugel die Halsschlagader. Drei Verbandpäckchen waren im Nu vollgesogen. Er verblutete in Sekunden. Neben uns protzten zwei Geschütze ab, noch stärkeres Feuer anziehend. Ein Artillerieleutnant, der im Vorgelände nach Verwundeten suchte, wurde durch eine vor ihm hochfahrende Dampfsäule niedergeschleudert. Er erhob sich langsam und kam mit markierter Ruhe zurück. „Eben ziemlichen Torkel entwickelt!“ Unsere Augen glänzten ihn an.
Es dunkelte, als wir den Befehl zu weiterem Vorrücken erhielten. Unser Weg führte uns durch dichtes, geschoßdurchklatschtes Unterholz in einen endlosen Laufgraben, den fliehende Franzosen mit Gepäck bestreut hatten. In der Nähe des Dorfes Les Eparges mußten wir, ohne Truppen vor uns zu haben, eine Stellung in festes Gestein hauen. Zuletzt sank ich in einen Busch und schlief ein.
„Mensch, aufstehen, wir rücken ab!“ Ich erwachte in taufeuchtem Grase. Durch die sausende Garbe eines Maschinengewehres stürzten wir in unseren Laufgraben zurück und besetzten eine verlassene französische Stellung am Waldsaume. Ein süßlicher Geruch und ein im Drahtverhau hängendes Bündel erweckten meine Aufmerksamkeit. Ich sprang im Morgennebel aus dem Graben und stand vor einer zusammengeschrumpften französischen Leiche. Fischartiges, verwestes Fleisch leuchtete grünlichweiß aus zersetzter Uniform. Mich umwendend prallte ich entsetzt zurück: Neben mir kauerte eine Gestalt an einem Baum. Leere Augenhöhlen und wenige Büschel Haar auf dem schwarzbraunen Schädel verrieten, daß ich es mit keinem Lebenden zu tun hatte. Ringsumher lagen noch Dutzende von Leichen, verwest, verkalkt, zu Mumien gedörrt, in unheimlichem Totentanz erstarrt. Die Franzosen mußten monatelang neben den gefallenen Kameraden ausgehalten haben, ohne sie zu bestatten.
In den Vormittagsstunden durchbrach die Sonne den Nebel und entsandte eine behagliche Wärme. Nachdem ich etwas auf der Grabensohle geschlafen hatte, ging ich durch den vereinsamten, am Vortage erstürmten Graben, dessen Boden mit Bergen von Proviant, Munition, Ausrüstungsstücken, Waffen und Zeitungen bedeckt war. Die Unterstände glichen geplünderten Trödelläden. Dazwischen lagen die Leichen tapferer Verteidiger, deren Gewehre noch in den Schießscharten steckten. Aus zerschossenem Gebälk ragte ein eingeklemmter Rumpf. Kopf und Hals waren abgeschlagen, weiße Knorpel glänzten aus rötlich-schwarzem Fleisch. Es wurde mir schwer, zu verstehen. Daneben ein ganz junger Mensch auf dem Rücken, die glasigen Augen und die Fäuste im Zielen erstarrt. Ein seltsames Gefühl, in solche toten, fragenden Augen zu blicken. Ein Schaudern, das ich im Kriege nie ganz verloren habe. Neben ihm lag seine arme, ausgeplünderte Börse.
Mit zunehmender Klarheit verstärkte sich das Artilleriefeuer und steigerte sich bald zu wüstem Tanze. Ich kehrte zu meiner Gruppe zurück. In immer kürzeren Pausen flammte es um uns auf. Weißes, schwarzes und gelbes Gewölk mischte sich. Manchmal erdröhnten Schläge von unheimlicher Brisanz, dazwischen schwirrten mit eigenartigem Singen die Zünder. Bald war der Wald in Brand geschossen, Flammen kletterten knatternd an den Bäumen empor. Ich saß mit einem Kameraden auf einer