In Stahlgewittern, aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers. Эрнст Юнгер

In Stahlgewittern, aus dem Tagebuch eines Stoßtruppführers - Эрнст Юнгер


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als Begräbnisplatz, zu dem fast täglich eine Kompagnie marschierte, um einem oder vielen Kameraden unter den Klängen eines Chorals das letzte Geleit zu geben.

      Die französische Bevölkerung war am Ausgange nach Monchy kaserniert. Meist scheue, mitleiderweckende Gestalten, die schwer am Kriege zu tragen hatten. Ahnungslose Kinder spielten vor den Schwellen der baufälligen Häuser, und Greise schlichen gebeugt durch das neue Getriebe, das ihnen mit brutaler Rücksichtslosigkeit die Stätten entfremdete, an denen sie ihr Leben verbracht hatten. Die jungen Leute mußten jeden Morgen antreten und wurden vom Ortskommandanten, dem Oberleutnant Oberländer, der ein strenges Regiment führte, zur Bewirtschaftung der Dorfgemarkung eingeteilt. Wir kamen mit den Einheimischen nur zusammen, wenn wir ihnen unsere Wäsche zum Reinigen brachten oder Butter und Eier einkaufen wollten. Zarte Beziehungen waren äußerst selten; die Erotik fand keinen Raum in dem wüsten, zerrüttenden Getriebe.

      Eine merkwürdige Erscheinung war der völlige Anschluß zweier verwaister kleiner Franzosen an die Truppe. Die beiden Jungen, von denen der eine acht, der andere zwölf Jahre alt sein mochte, waren ganz in feldgrau gekleidet, sprachen fließend deutsch und grüßten alle Vorgesetzten auf der Straße vorschriftsmäßig. Von ihren Landsleuten sprachen sie, wie sie es den Soldaten abgesehen hatten, nur verächtlich als „Schangels“. Ihr größter Wunsch war, einmal mit ihrer Kompagnie in Stellung gehen zu dürfen. Sie konnten tadellos exerzieren, traten bei Appells an den linken Flügel und baten, wenn sie den Kantinengehilfen zum Einkauf nach Cambrai begleiten wollten, um Urlaub. Als das zweite Bataillon für einige Wochen zur Ausbildung nach Quéant kam, sollte der eine, namens Louis, auf Befehl des Oberstleutnants von Oppen in Douchy zurückbleiben, um der Zivilbevölkerung keinen Anlaß zu unwahren Gerüchten zu geben; er wurde auch während des Marsches nicht mehr gesehen, sprang aber bei der Ankunft des Bataillons ganz vergnügt aus dem Packwagen, in dem er sich versteckt hatte. Leider nahmen unvernünftige Leute die Kleinen öfters mit in die Kantine und machten sich den schlechten Spaß, ihnen Alkohol zu geben. Der Ältere soll später nach Deutschland auf Unteroffiziersschule geschickt worden sein.

      Kaum eine Stunde Weges von Douchy entfernt lag Monchy-au-bois, das Dorf, in dem die beiden Reserve-Kompagnien des Regiments untergebracht waren. Es war im Herbst 1914 das Ziel erbitterter Kämpfe gewesen, zuletzt war es in deutscher Hand geblieben und der Kampf im engen Halbkreis um die Trümmer des ehemals reichen Ortes zum Stehen gekommen.

      Nun waren die Häuser ausgebrannt und zusammengeschossen, die verwilderten Gärten von Granaten durchfurcht und die Obstbäume geknickt. Das Steingewirr war durch Gräben, Stacheldraht, Barrikaden und betonierte Stützpunkte zur Verteidigung eingerichtet. Die Straßen konnten von einem im Mittelpunkte liegenden Betonklotz, der „Feste Torgau“, unter Maschinengewehrfeuer genommen werden. Ein anderer Stützpunkt war die „Feste Altenburg“, ein Feldwerk rechts vom Dorfe, das einen Zug der Reservekompagnie beherbergte. Sehr wichtig für die Verteidigung war ein Bergwerk, dem in Friedenszeiten der Kreidestein zum Bau der Häuser entnommen war, und das wir nur durch Zufall entdeckt hatten. Ein Kompagniekoch, dem der Wassereimer in einen Brunnen gefallen war, hatte sich hinuntergelassen und dabei ein sich höhlenartig erweiterndes Loch bemerkt. Man untersuchte die Sache, und nachdem noch ein zweiter Eingang gebrochen war, bot es bombensichere Unterkunft für eine große Zahl von Kämpfern.

      Auf der einsamen Höhe am Wege nach Ransart lag eine Ruine, ein ehemaliges Estaminet, wegen des weiten Ausblicks auf die Front Bellevue genannt, ein Ort, der mich trotz seiner gefährlichen Lage besonders anzog. Die Verlassenheit und das tiefe Schweigen, ab und zu vom dumpfen Ton der Geschütze unterbrochen, verstärkten den traurigen Eindruck der Zerstörung. Zerrissene Tornister, abgebrochene Gewehre, Zeugfetzen, dazwischen in grausigem Kontrast ein Kinderspielzeug, Granatzünder, tiefe Trichter der krepierten Geschosse, Flaschen, Erntegeräte, zerfetzte Bücher, zerschlagenes Hausgerät, Löcher, deren geheimnisvolles Dunkel einen Keller verrät, in dem vielleicht die Gerippe der unglücklichen Hansbewohner von den überaus geschäftigen Rattenschwärmen benagt werden, ein Pfirsichbäumchen, das seiner stützenden Mauer beraubt ist und hilfesuchend seine Arme ausstreckt, in den Ställen die noch an der Kette hängenden Skelette der Haustiere, im verwüsteten Garten Gräber, dazwischen grünend, tief im Unkraut versteckt, Zwiebeln, Wermut, Rhabarber und Narzissen, auf den benachbarten Feldern Getreidediemen, auf deren Dächern schon die Körner wuchern; all das durchzogen von einem halbverschütteten Laufgraben, umgeben vom Geruch des Brandes und der Verwesung. Traurige Gedanken beschleichen den Krieger, dessen Fuß auf den Trümmern einer solchen Stätte ruht, wenn er derer gedenkt, die noch vor kurzem hier friedlich lebten.

      Die Kampfstellung verlief, wie schon berichtet, in engem Halbkreis um das Dorf, mit dem sie durch eine Reihe von Laufgräben verbunden war. Sie war in zwei Unterabschnitte, Monchy-Süd und Monchy-West, geteilt. Diese gliederten sich wiederum in die sechs Kompagnie-Abschnitte A bis F. Die bogenförmige Führung der Stellung bot dem Engländer eine gute Flankierungsmöglichkeit, die auch gehörig ausgenutzt wurde und uns schwere Verluste brachte.

      Ich war der sechsten Kompagnie zugeteilt und rückte einige Tage nach meiner Ankunft als Führer einer Gruppe mit in Stellung, wo mir gleich durch einige englische Kugelminen ein unangenehmer Empfang bereitet wurde. Der Abschnitt C, in dem die Kompagnie lag, war der exponierteste des Regiments. Wir hatten indes in unserem Kompagnieführer, dem Leutnant d. R. Brecht, der zu Beginn des Krieges von Amerika herübergeeilt war, einen Offizier, der zur Verteidigung eines solchen Platzes der geeignete Mann war. Seine Draufgängernatur suchte die Gefahr und brachte ihm zuletzt einen ruhmvollen Tod.

      Unser Leben im Graben verlief sehr geregelt; ich schildere im folgenden den Verlauf eines normalen Tages.

      Der Schützengrabentag beginnt erst mit hereinbrechender Dämmerung. Um 7 Uhr weckt mich ein Mann meiner Gruppe aus dem Nachmittagsschlafe, den ich in Voraussicht der nächtlichen Wachen getan habe. Ich schnalle um, stecke Leuchtpistole und Handgranaten ins Koppel und verlasse den mehr oder minder gemütlichen Unterstand. Beim ersten Durchschreiten des wohlbekannten Zugabschnitts überzeuge ich mich, ob alle Posten an ihren richtigen Plätzen stehen. Mit leiser Stimme wird die Parole ausgetauscht. Inzwischen ist die Nacht hereingebrochen, und die ersten Leuchtkugeln steigen silbern in die Höhe, während angestrengte Augen ins Vorgelände starren. Eine Ratte raschelt zwischen den über Deckung geworfenen Konservenbüchsen. Eine zweite gesellt sich pfeifend zu ihr, und bald wimmelt es von huschenden Schatten, die den Ruinenkellern des Dorfes oder zerschossenen Stollen entströmen. Die Jagd auf sie bietet eine beliebte Abwechslung in der Öde des Postendienstes. Ein Stückchen Brot wird als Köder ausgelegt und das Gewehr darauf eingerichtet, oder es wird Sprengpulver von Blindgängern in ihre Löcher gestreut und angezündet. Quiekend schießen sie dann mit versengtem Fell hervor. Es sind widerliche, ekelhafte Geschöpfe. Ein greulicher Dunst umwebt ihre schwirrenden Rudel. Ich muß immer an ihre verborgene, leichenschänderische Tätigkeit in den Kellern des Dorfes denken. Auch einige Katzen sind aus den zerstörten Dörfern in die Gräben gezogen; sie lieben die Nähe der Menschen. Ein großer weißer Kater mit zerschossener Vorderpfote geistert häufig im Niemandslande umher und scheint bei beiden Parteien zu verkehren.

      Doch ich sprach ja vom Grabendienst. Man liebt solche Abschweifungen, man wird leicht gesprächig, um die dunkle Nacht und die endlose Zeit zu füllen. Deshalb bin ich auch bei einem bekannten Krieger oder einem anderen Unteroffizier stehen geblieben und lausche mit gespanntem Interesse seinen tausend Nichtigkeiten. Als Fähnrich werde ich auch öfters von dem wachthabenden Offizier, der sich ebenso unbehaglich fühlt, in ein wohlwollendes Gespräch verwickelt. Ja, er wird sogar ganz kameradschaftlich, redet leise und eifrig, kramt Geheimnisse und Wünsche aus. Und ich gehe gern darauf ein, denn auch mich drücken die schweren, schwarzen Wälle des Grabens, auch ich bange nach Wärme, nach irgend etwas Menschlichem in dieser unheimlichen Einsamkeit.

      Das Gespräch wird matter. Wir sind ermüdet. Apathisch lehnen wir an einer Schulterwehr und starren auf die glühende Zigarette des andern . . . .

      Bei Frost trampelt man frierend auf und ab, daß die harte Erde von vielen Tritten erklingt. Sehr oft regnet es, dann steht man traurig mit hochgeschlagenem Mantelkragen unter den Regendächern der Stolleneingänge und lauscht dem gleichförmigen Falle der Tropfen. Hört man die Schritte eines Vorgesetzten auf der nassen Grabensohle, so tritt man rasch hervor, geht weiter, dreht sich plötzlich um,


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