ALTE WUNDEN (Die Ritter des Vatikan 6). Rick Jones
um und sah ihm fest in die Augen. Dort konnte er tief in dem Mann etwas schwelen sehen; ein kleiner Funke unleugbarer Wut, der ihm verriet, dass Seth sehr gewalttätig werden konnte. »Es spielt keine Rolle«, erklärte er ihm. »Denn eines Tages wird dieser Mann vor Gott stehen, und an diesem Tag werden ihm die Dinge, die er dieser Kirche genommen hat, nichts mehr nützen.«
Nicht, wenn ich ihn zuerst erwische, dachte Kimball. Manchen Menschen muss man nun mal eine Lektion erteilen.
Pater Donavan streckte seine Hand aus und legte sie behutsam auf Kimballs Arm. »Ist schon gut, Seth … alles wird wieder in Ordnung kommen.« Aber das würde es nicht, denn Pater Donavan konnte den Funken glühenden Zorns deutlich sehen. Wie ein Stück Kohle, das nicht aufhören wollte, zu glimmen, pulsierte es in Kimballs Augen … eine reine, unverfälschte Wut, die diesen Mann kontrollierte und nicht umgekehrt. Pater Donavan erkannte, dass Seth diese Sache äußerst persönlich nahm. Intuitiv erahnte er die rohen Emotionen des Mannes, als er dessen Arm tätschelte. »Lass es gut sein«, sagte er leise. »Bitte, Seth. Lass es gut sein.«
Aber ein Mann wie Kimball war dazu nicht in der Lage.
Nicht heute, und auch an keinem anderen Tag. Niemals.
Er würde diese Kirche beschützen!
Kapitel 5
Bensenville, New Mexiko
Drei Tage nach dem Einbruch in das Galveston National Laboratory
10:44 Uhr
Fünfundzwanzig Meilen nördlich der mexikanischen Grenze gab es eine kleine Stadt, die man nur mit Allradantrieb erreichen konnte, und in der ein ausgetrockneter Springbrunnen auf die gleiche Weise den Mittelpunkt einer Ansiedlung bildete wie ein Musikpavillon in einem Dorf.
Eine Staubwolke hinter sich herziehend, bahnte sich ein Jeep seinen Weg durch die Wüstenlandschaft. Als er die Mitte der Stadt erreicht hatte, parkte der Fahrer den Wagen neben einem alten Pick-up-Truck, der noch die alten, ausladenden Kotflügel besaß. Auf der hinteren Stoßstange war ein Aufkleber, auf dem Mutter, Kanonen und Bier zu lesen war.
Der Fremde stieg aus seinem Jeep, blieb einen Moment lang stehen und betrachtete abwertend die Stadt, die eher einem staubigen Feldlager glich. Hinter ihm wehten die Schöße seines langen Ledermantels in der sanften Brise. Er war etwa einen Meter neunzig groß und schlank und hatte breite Schultern und ein kantiges Gesicht, welches sich besonders in seinem Kinn und der gebogenen Nase ausdrückte. Seine Augen hinter den stark getönten Brillengläsern ähnelten obsidianfarbenem Glas und waren dunkel und durchdringend.
Der Mann sah zu der grellen heißen Sonne hinauf und drehte sich dann zu dem Springbrunnen um, der einstmals bestimmt als Schmuckstück errichtet worden war, um der Stadt einen gewissen Reiz zu verleihen, sich aber über die Jahre hinweg immer mehr mit Sand gefüllt hatte. Oben auf dem Springbrunnen hockte ein Rabe, der den Fremden aus seinen schwarzen und scheinbar seelenlosen Augen gleichgültig musterte.
Der Mann entfernte sich von seinem Jeep und betrat eine kleine Bar, auf deren ausgeblichenem Schild neben der Aufschrift Jimmy Ray’s das Logo irgendeiner Flasche, wahrscheinlich ein sündhaft teurer Schnaps, zu sehen war, der in ein Martini-Glas gegossen wurde. Das Etablissement war von einem Blechdach bedeckt, das über die Jahre verrostet war, aber farblich zu den ebenfalls angerosteten Blechwänden passte.
Als er eintrat, drehte ein einzelner Deckenventilator langsam seine Runden, ohne jedoch viel mehr zu tun, als die heiße stickige Luft in dem Raum zu verteilen. In der Mitte der Bar saßen drei Männer – Brüder, ihrem Äußeren nach zu urteilen. Mechaniker, die alles reparierten, was mit Diesel angetrieben wurde, was in Bensenville so ziemlich alles war, was vier Räder besaß.
Der Fremde, der einige prüfende Blicke der Brüder und des Barkeepers auf sich zog, setzte sich am anderen Ende der Bar an einen Tisch, auf dem eine kleine Jukebox stand, wie man sie normalerweise nur in einem Diner aus den Fünfzigerjahren zu sehen bekam. Eine von der Sorte, die drei Songs für einen Vierteldollar abspielen konnte. Der Preis hatte sich offenbar nicht geändert, genauso wenig wie die Lieder – Country-Oldies von Musikern, von denen der Mann vielleicht ein oder zwei Mal in seinem Leben gehört hatte, für gewöhnlich als Frage in einer Quizshow.
Der Barkeeper kam nun zu seinem Tisch, wischte sich seine Hände an seiner Schürze ab und fragte: »Kann ich etwas für Sie tun, Mister?«
»Ja, ich nehme ein Corona.«
»Tut mir leid, aber wir führen keines dieser neumodischen französischen Biere in diesem Etablissement.«
Wohl eher mexikanisch. »In Ordnung«, sagte der Fremde. »Was haben Sie denn dann im Angebot?«
»Nun, wir haben Miller Lite, Mister.«
Als der Barkeeper die Aufzählung nicht fortführte, hakte der Fremde nach. »Und weiter?«
»Nichts weiter. Miller Lite ist alles, was wir haben.«
Der Fremde verzog keine Miene, auch wenn er die dürftige Auswahl kaum fassen konnte. »Haben Sie Coke?«
»So etwas ähnliches«, antwortete der Barkeeper.
»Pepsi?«
»So etwas Ähnliches.«
Was für ein Laden ist das denn hier?, fragte sich der Fremde. »Dann nehme ich eben, was Sie dahaben«, sagte er.
Nachdem der Barkeeper wieder hinter seinem Tresen verschwunden war, deutete der Größte der drei Brüder mit einem eher anklagend als freundlich wirkenden Finger auf ihn und fragte: »Sind Sie auf der Durchreise?«
Der Fremde nickte. »Könnte man so sagen, ja.«
»Okay, dann werd ich Ihnen jetzt mal was erklär’n …«
Erklär’n? Der Fremde hasste den Redneck-Slang dieser Typen schon jetzt.
»Da Sie hier ja fremd sind … in dieser Bar gilt die Faustregel, dass jeder Neuankömmling eine Runde Bier ausgeben muss.«
»Nun ja, aber ich bin kein Neuankömmling. Ich bin nur auf der Durchreise, das ist alles.«
Das Gesicht des großen Mannes nahm daraufhin einen etwas bedrohlicheren Ausdruck an. »Das is aber nich gerade sehr freundlich. Wir bewirten in dieser Stadt niemanden, der unfreundlich ist.« Der Mann richtete sich zu seiner vollen Größe auf, mindestens zwei Meter. Er war augenscheinlich sehr stark, was wahrscheinlich von den Motoren kam, die er sein Leben lang gestemmt hatte. Aber der Fremde wusste, dass dieser Mann für ihn keine Bedrohung darstellte, egal, wie groß er auch war.
»Hey, ich will keinen Ärger hier, Billy-Joe«, rief der Barkeeper nun.
Der große Mann drehte sich zu dem Barkeeper um und starrte ihn finster an. »Du hältst dich da raus, Jimmy Ray. Das geht dich nichts an.«
»Doch, das tut es, wenn es sich dabei um meinen Laden handelt«, erklärte der Barmann und stellte ein Glas Cola vor dem Fremden ab. »Das macht dann fünf Dollar. Trinkgeld nicht mit eingerechnet.«
Der Fremde zog einen Zehn-Dollar-Schein aus einem großen Bündel Geldscheine und drückte ihn dem Barkeeper in die Hand. »Behalten Sie den Rest«, sagte er.
Der Barkeeper entfernte sich. Den Brüdern war nicht entgangen, dass der Fremde über sehr viel Bargeld verfügte.
»Mir scheint es so, dass sie genug haben, um freundlich zu sein und uns ne Runde Bier zu spendieren.« Der große Mann trat jetzt einen Schritt vor, und seine beiden Brüder, die genauso riesig waren wie er, sprangen ebenfalls auf.
Der Fremde konnte sich eine Konfrontation nicht leisten, vor allem nicht jetzt, wo er so etwas Wichtiges in seiner Tasche mit sich herumtrug, also setzte er ein falsches Lächeln auf und der große Mann blieb sofort stehen. »Wissen Sie was«, sagte der Fremde an den Barkeeper gewandt, »wie wäre es mit einer Runde Bier für diese netten jungen Herren hier?«
Der Barkeeper