Der kleine Fürst Jubiläumsbox 6 – Adelsroman. Viola Maybach
habe gearbeitet«, erklärte Rosalie wahrheitsgemäß. »Ich hatte am Freitag überraschend noch einen Auftrag für eine eilige Übersetzung bekommen, und die habe ich am Wochenende gemacht – ich hatte ja leider nichts Besseres vor.«
»Kommen Sie nächstes Mal mit mir nach Isebing? Ich schätze, Ihr Bruder ist dann noch da. Meine Eltern habe ich schon gefragt – ohne Wissen Ihres Bruders selbstverständlich – und sie würden sich sehr freuen, Sie kennenzulernen.«
»Aber wir beide kennen uns doch noch gar nicht«, wandte Rosalie ein.
Peter blieb stehen und sah sie an. »Das wird sich aber bis zum nächsten Wochenende noch ändern!«, erklärte er und nahm sie in die Arme.
»He, was machen Sie denn da?«
Er lachte leise. »Wie würden Sie es denn beschreiben?«
»Sie umarmen mich und…« Weiter kam sie nicht, denn er verschloss ihr den Mund mit einem Kuss. Als er sich von ihr löste, wollte sie etwas sagen, doch mit einem weiteren Kuss hinderte er sie daran – und danach hatte sie kein Bedürfnis mehr zu reden.
Sie überließ sich einfach dem Glück, das so überraschend zu ihr gekommen war.
*
»Hallo!«, sagte Sara zur Armin, als sie am nächsten Wochenende auf Gut Isebing eintraf. »Ich habe schon gehört, dass Sie noch hier sind.«
Er lächelte ihr zu. »Ja, Ihr Vater und ich sind noch nicht ganz fertig geworden mit unseren Plänen, also bleibe ich noch.«
»Es war wahrscheinlich schön ruhig hier – jetzt, wo Charly nicht da ist«, bemerkte Sara in der Hoffnung, ihn zu einer kritischen Bemerkung über ihre jüngere Schwester zu bewegen.
Doch den Gefallen tat er ihr nicht, im Gegenteil. »Ihrem Vater fehlt sie, glaube ich, sehr bei der Arbeit, aber das gibt er nicht zu, weil er froh ist, dass seine Mutter Gesellschaft hat und ihr das offenbar gut tut.«
Das war nicht das, was Sara hatte hören wollen, und so wechselte sie eilig das Thema. »Hätten Sie Lust, mit mir auszureiten – irgendwann an diesem Wochenende? Schließlich können Sie ja nicht immer nur arbeiten.«
»Ich arbeite gern«, erwiderte Armin lächelnd. »Ja, ich würde gern ausreiten, aber das muss ich leider davon abhängig machen, wie Ihr Vater und ich vorankommen – ohne ihn kann ich keine Pläne machen.«
»Oh, keine Sorge, ich rede gleich mit ihm«, sagte Sara und nahm ihre für ein Wochenende beachtlich große Reisetasche aus dem Auto. »Bis später dann!« Sie lief zum Haus, wo sie ihre Eltern begrüßte. »Wir wollen ausreiten, Herr von Thaden und ich«, sagte sie danach zu ihrem Vater. »Es spricht doch nichts dagegen, oder? Er braucht ja auch mal eine Pause, Papa!«
»Natürlich spricht nichts dagegen«, antwortete Ludwig.
Mit hoch gezogenen Augenbrauen sah er Sara nach, die bereits nach oben verschwand, um ihre Sachen auszupacken. »Was sollte das denn?«, fragte er seine Frau. »Meinst du, Armin hat sich bei Sara beschwert, dass er hier zu viel arbeiten muss?«
Marianne schüttelte den Kopf. »Das ist auf Saras Mist gewachsen, da könnte ich wetten«, sagte sie. »Ich glaube, sie hat ein Auge auf ihn geworfen.«
»Auf Armin?«, fragte Ludwig entgeistert. »Die beiden passen doch überhaupt nicht zueinander!«
»Ich glaube nicht, dass Sara das so sieht. Sie findet ihn attraktiv – was er ja auch ist – und so versucht sie, ihn zu erobern. Du kennst doch Sara, sie erprobt ihre weiblichen Reize gern.«
»Noch ein Problem mit einer unserer Töchter«, murmelte Ludwig. »Fehlt nur noch eins mit Anja oder Stephanie…«
»Keine Sorge, da wird nichts passieren«, lächelte Marianne. »Und ich glaube, Armin kann sich selbst ganz gut wehren, überlass das nur ihm.«
»Wehren?«, fragte Ludwig. »Du meinst also nicht, dass er Saras Reizen erliegt?«
»Es sieht bisher jedenfalls nicht danach aus«, erklärte Marianne.
Ludwig, der grenzenloses Vertrauen in die Beobachtungsgabe seiner Frau hatte, verließ halbwegs beruhigt das Haus, um mit Armin ein weiteres Gespräch zu führen – dieses Mal auf einem Spaziergang.
*
Charlotta legte das Telefon zur Seite und dachte nach. Ihr Vater hatte sie angerufen, um ihr mitzuteilen, dass Armin von Thaden noch länger auf Gut Isebing bleiben würde. »Wir sind schon ziemlich weit mit unseren Plänen, Charly, aber eben noch nicht ganz fertig. Und da wir jetzt Nägel mit Köpfen machen wollen…«
Kurz und gut, er hatte es ihr anheimgestellt, ob sie noch bei Helena bleiben oder zurückkehren wollte. Sie hatte nach einer ganzen Woche Abwesenheit mittlerweile großes Heimweh nach Isebing, und sie hätte gern einmal mit Armin von Thaden ein ganz normales Gespräch geführt – eins, in dem sie ihn nicht angriff und er sie nicht mit überheblichem Lächeln übersah, aber dazu würde es wohl sowieso nie kommen, und deshalb konnte sie genauso gut noch hier bleiben, bei ihrer Großmutter. Helena war in der vergangenen Woche regelrecht aufgeblüht, sie hatte gute Laune, scherzte mit den Krankenschwestern und nahm, trotz ihrer Bettlägerigkeit, sogar zu.
Der Arzt war vollkommen verblüfft gewesen bei seinem letzten Besuch. »Wenn das Ihr Werk ist«, hatte er zu Charlotta gesagt, »dann müssen Sie unbedingt hier bleiben! So gut ist es Ihrer Großmutter ja schon seit Jahren nicht mehr gegangen – und das trotz ihres gebrochenen Oberschenkelhalses!«
Sie würde noch bleiben, diese Entscheidung hatte sie schon während des Gesprächs mit ihrem Vater gefällt, und sie war ehrlich genug, sich einzugestehen, dass sie nicht nur aus Liebe zu Helena blieb. Nein, sie hatte, seit sie in Helenas elegantem Stadthaus war, einen neuen Weg beschritten, auf dem sie noch ein wenig sicherer werden wollte. Zunächst war sie durchaus unwillig gewesen, aber mittlerweile trug sie einige von ihren neuen Sachen richtig gern, und es gefiel ihr, wenn sie bemerkte, wie auf der Straße wohlwollende Blicke auf ihr ruhten.
Sehr behutsam hatte zudem Robert Kahrmann es übernommen, ihre Umgangsformen zu verändern. Sie wusste genau, dass er das auf Geheiß ihrer Großmutter tat, und zuerst hatte sie sich einen Spaß daraus gemacht, so zu tun, als verstünde sie ihn nicht. Aber mittlerweile hörte sie auf ihn. Sie bemühte sich, nicht mehr so oft zu fluchen, sie warf sich nicht mehr breitbeinig in einen Sessel, sie lümmelte sich beim Essen nicht mehr quer über den halben Tisch. Es war schon seltsam, dachte sie jetzt, dass ihre Eltern sie seit Jahren vergeblich angefleht hatten, sich an ihre gute Erziehung zu erinnern – und dass sie jetzt hier, bei ihrer Großmutter, plötzlich bereit war, diesen Wunsch zu erfüllen.
Was hatte sich geändert? Sie
wusste es nicht – aber ihr fiel doch auf, dass Armin von Thaden immer öfter durch ihre Gedanken spukte und dass sie sich wünschte, er könnte sie jetzt sehen. Dann würde er immerhin feststellen müssen, dass es nicht nur die grobe und unfreundliche Charly gab, sondern auch noch eine andere, die sich benehmen konnte und bei Bedarf sogar richtig hübsch aussah.
»Charly?« Robert Kahrmann stand in der Tür. »Ihre Großmutter möchte gern mit Ihnen sprechen. Es geht um eine Einladung.«
»Eine Einladung? Für mich? Ich gehe nirgends hin, Robert, ganz bestimmt nicht.«
»Warten Sie es ab«, lächelte er.
Es ging tatsächlich um eine Einladung. »Sofia von Kant hat angerufen«, berichtete Helena ihrer Enkelin.
»Von Schloss Sternberg?«, fragte Charlotta.
»So ist es, ja. Sofia meinte, du brauchtest vielleicht ein wenig Abwechslung von deinem Pflegerinnendasein bei deiner alten Großmutter, und deshalb lädt sie dich zu einem familiären Abendessen nach Sternberg ein. Es kommen nur einige Freunde der Kinder und ein guter Freund von Friedrich – ich habe ihr nämlich gleich gesagt, dass ich dich sicherlich nicht würde überreden können, wenn es um eine größere Einladung ginge.«
»Du kannst mich auch so nicht überreden!«, sagte Charlotta. »Ich will hier bleiben, Omi.«
»Unsinn!«,