Der kleine Fürst Jubiläumsbox 6 – Adelsroman. Viola Maybach
es wird, wenn meine Großmutter wieder allein lebt. Sie braucht jemanden, der bei ihr ist und Zeit für sie hat. Wir sitzen manchmal nur da und reden. Das hat ihr gefehlt vorher. Sie will leider unbedingt in ihrem Haus bleiben, sonst könnte man viel leichter eine Lösung finden.«
»Rede noch einmal mit ihr«, riet Sofia.
Sie wurden von Anna und Christian unterbrochen, die neugierig auf den Besuch waren. Anna, die selten ein Blatt vor den Mund nahm, sagte enttäuscht: »Du siehst überhaupt nicht wild aus!«
Charlotta lachte, begrüßte die beiden herzlich und erzählte noch einmal in Kurzform von ihrer gerade erst abgeschlossenen Verwandlung. Dann kramte sie in ihrer Tasche und zog einige Fotos heraus. »Hier, bitte schön. Auf dem Bild da bin ich zehn – und sehe aus wie ein Junge, oder? Und das Bild hier wurde erst vor sechs Wochen aufgenommen. So sah ich aus, bevor ich zu meiner Großmutter gefahren bin.«
»Das bist du?«, rief Anna ungläubig. »Du verkohlst uns, Charlotta!«
»Charly – bitte, sagt Charly zu mir. Dieser Name wenigstens soll mir bleiben, wo sich schon mein Äußeres so verändert hat.«
Auch der kleine Fürst betrachtete die Fotos voller Interesse. »Wieso hast du dich denn auf einmal so verändert?«, fragte er dann. »Normalerweise macht man das doch nur, wenn man verliebt ist.«
Erstaunte Blicke von seiner Tante und seiner Cousine trafen ihn, während Charlotta ihre Verlegenheit hinter einem Lachen zu verstecken suchte.
»Woher weißt du denn solche Dinge?«, erkundigte sich Sofia interessiert. »Ich wusste gar nicht, dass du Experte auf diesem Gebiet bist, Chris.«
Nun war es an Christian, verlegen zu werden, und so fiel es gar nicht mehr auf, dass sich Charlottas Gesichtsfarbe erst nach und nach wieder normalisierte.
»Ich bin kein Experte!«, wehrte er ab. »Ich habe das nur mal irgendwo gelesen.«
»Jedenfalls bin ich nicht verliebt«, erklärte Charlotta endlich. »Ich habe mich meiner Großmutter zuliebe verändert – und weil ich irgendwann, als der Anfang einmal gemacht war, selbst Spaß daran hatte.«
»Und bleibst du jetzt so?«, wollte Anna wissen. »Oder wirst du bald wieder so aussehen?« Bei diesen Worten tippte sie auf das einige Wochen alte Foto.
»Mal sehen, ob ich in alte Gewohnheiten zurückfalle«, meinte Charlotta. »Aber ich glaube es eigentlich nicht. Ich fühle mich nämlich jetzt sehr wohl in meiner Haut.«
Eberhard Hagedorn, der langjährige Butler auf Sternberg, erschien an der Tür.
»Ihr Gepäck ist oben in Suite Nr. 5, Frau von Isebing«, sagte er höflich. »Soll ich für Sie auspacken oder möchten Sie das selbst übernehmen?«
»Vielen Dank, Herr Hagedorn, aber das mache ich selbst«, erklärte Charlotta und stand auf. »Ich würde gern noch ein Bad nehmen, bevor der offizielle Teil des Abends beginnt«, erklärte sie. »So viel Zeit habe ich doch noch?«
»Aber ja«, versicherte die Baronin.
Als Charlotta sich zurückgezogen hatte, ging Sofia ebenfalls nach oben in ihre Privaträume, um sich für den Abend zurechtzumachen.
*
Friedrich umarmte Armin herzlich. »Schön, dich wiederzusehen, Armin.«
»Danke gleichfalls, Fritz. Ich bin auch froh, wieder einmal hier zu sein. Es kommt mir so vor, als wäre Sternberg seit meinem letzten Besuch noch schöner geworden. Kann das sein?«
»Wir mussten einiges machen lassen, und der Park wurde teilweise umgestaltet – aber sonst ist alles wie immer. Lass dein Gepäck im Wagen, Herr Hagedorn wird sich darum kümmern.«
»Ich bin ein bisschen spät«, entschuldigte sich Armin, »das tut mir leid, aber ich bin nicht früh genug weggefahren. Wir konnten uns nicht von unserer Arbeit losreißen, Ludwig von Isebing und ich.«
Friedrich blieb stehen. »Ludwig von Isebing?«, fragte er. »Helenas Sohn? Warst du bei ihm, als wir dich angerufen haben?«
»Ja, hatte ich das nicht erwähnt?«
»Nein. Ich hatte es bei dir zu Hause versucht, und erst als ich dich dort nicht erreicht habe, habe ich es auf deiner Mobilfunknummer probiert. Was hast du denn mit Ludwig von Isebing zu tun?«
Lebhaft fing Armin an zu erzählen, und da sich der Baron sehr für die Pläne interessierte, die Armin und Ludwig schmiedeten, vergaß er zu erwähnen, dass eine von Ludwigs Töchtern an diesem Abend ebenfalls zu den Gästen auf Sternberg gehörte.
So wichtig war das ja auch nicht, schließlich würde Armin sie beim Essen ohnehin sehen. Dieser Ansicht war auch Sofia, als er es ihr wenig später erzählte. »Er kennt sie ja vermutlich gar nicht, Fritz«, sagte sie. »Wenn er erst seit zwei Wochen auf Isebing ist, hat er Charly wohl gar nicht mehr gesehen. So lange ist sie doch bestimmt schon bei Helena. Ach, das wird aber nett, wenn wir die beiden miteinander bekannt machen.«
»Und wer sind nun eigentlich die anderen Gäste?«, erkundigte er sich.
»Annas Freundin Sabrina von Erbach und Konrads Freundin Laura von Wredeburg«, erklärte die Baronin. »Es ist praktisch ein erweitertes Familienessen, mehr Gäste konnte ich nicht einladen, nachdem Helena erwähnt hatte, dass Charly sonst garantiert nicht kommen würde.«
»Warum nicht?«, fragte er erstaunt.
»Sie ist schüchtern, Fritz. Das war sie wohl schon immer, auch als sie noch reichlich ungehörig aufgetreten ist. Helena hat mich noch einmal angerufen, nachdem sie mit Charly gesprochen hatte: Sie musste sie erst überreden, unsere Einladung anzunehmen.«
»Sieh mal an, das hätte ich nicht gedacht. Sie wirkt doch so, als seien solche Einladungen ihr täglich Brot, oder?«
Die Baronin lächelte fein und gab ihrem Mann einen Kuss. »Da siehst du mal, dass man sich auf den äußeren Eindruck nicht verlassen kann, Liebster!«
*
Marianne und Ludwig waren entzückt von Armins Schwester Rosalie – und ebenfalls von der nicht zu übersehenden Tatsache, dass ihr Ältester sich heftig in die reizende junge Frau verliebt hatte.
Auch Peters Geschwister waren angetan von Rosalie, die sich innerhalb kürzester Zeit in der Familie bestens zurechtfand und sich während des Abendessens lebhaft an den Tischgesprächen beteiligte. Die Einzige, die stumm und beleidigt vor sich hin starrte, war Sara. Zwar hatte sie einen kurzen Ausritt mit Armin von Thaden unternommen, aber sie war ihm dabei nicht, wie erhofft, nähergekommen. Und wenig später hatte sie dann erfahren müssen, dass er am Samstagnachmittag abreisen werde, um erst am Sonntag zurückzukehren. So hatte sie sich dieses Wochenende auf dem elterlichen Gut wahrhaftig nicht vorgestellt. Mittlerweile war sie fest entschlossen, seine Rückkehr am kommenden Tag nicht abzuwarten, sondern vorher abzufahren. Vielleicht war er dann wenigstens enttäuscht, sie nicht mehr anzutreffen!
»Was ist dir eigentlich für eine Laus über die Leber gelaufen, Sara?«, fragte Peter in diesem Moment, und es passte ihr gar nicht, dass sich kurzfristig die allgemeine Aufmerksamkeit auf sie richtete.
»Nichts«, antwortete sie knapp und hoffte, er werde sich damit zufriedengeben.
Doch den Gefallen tat er ihr nicht. »So siehst du aber gar nicht aus«, stellte er fest. »Man könnte meinen, du hättest dich über etwas sehr ärgern müssen.«
»Und wenn es so wäre«, fuhr sie ihn an, »dann würde ich jedenfalls nicht mit dir darüber reden.«
»Sara!«, mahnte Marianne. »Peter hat dir nur eine Frage gestellt – es gibt keinen Grund, ihn daraufhin so anzufahren.«
»Er soll mich in Ruhe lassen, mehr verlange ich gar nicht!«, fauchte Sara.
Ludwig sah, dass Thomas bereits den Mund öffnete, um weiteres Öl ins Feuer zu gießen, doch das verhinderte er mit einem warnenden Blick und einer Frage, die er an Rosalie stellte.
Diese antwortete prompt, und damit war die Harmonie am Familientisch,