Der neue Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman - Michaela Dornberg


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hatte. Nicht auszudenken, was sonst passiert wäre.

      Sie lag in einem Einzelzimmer, und sie lächelte, als sie ihren Besucher erkannte.

      »Hubert, nicht schon wieder Blumen«, sagte sie, »das ist doch nicht nötig, aber schön sind sie. Und eine Zeitschrift hast du auch mitgebracht. Du verwöhnst mich.«

      Er zog sich einen Stuhl an ihr Bett, gab ihr einen Kuss, ehe er sich hinsetzte.

      »Nein, Monika, das hätte ich mal eher tun sollen. Für mich war alles selbstverständlich. Die Frau Doktor hat mir die Augen geöffnet und mich auf die richtige Spur gebracht. Ich habe heute früh mit ihr geredet, und jetzt bin ich hier, weil ich es ihr versprochen habe.«

      »Und der Seeblick?«, erkundigte seine Frau sich sofort.

      »Den mache ich erst heute Abend wieder auf.«

      Das war so ungewöhnlich, so neu.

      »Aber die Gäste, Hubert«, rief sie.

      Er nahm ihre schmale Rechte in seine großen Hände.

      »Seit wir den Gasthof bewirtschaften, haben wir an nichts anderes mehr gedacht, immer nur an den Seeblick, an die Gäste. Dabei sind wir auf der Strecke geblieben und haben es nicht einmal bemerkt. Wir haben niemals an uns gedacht …, dein Zusammenbruch war ein Schock, der mir noch jetzt in den Gliedern sitzt. Ich hätte dich beinahe verloren. Moni, so kann es nicht weitergehen, die Frau Doktor hat recht, wir müssen etwas verändern.«

      Monika Lingen blickte ihren Ehemann ganz erstaunt an. So hatte er in all den Jahren, in denen sie den Gasthof bewirtschafteten, niemals geredet. Für ihn hatte immer nur die Arbeit gezählt, und es war nicht einmal ein Urlaub von wenigstens einer Woche drin gewesen. Nun diese Kehrtwendung.

      »Aber was, Hubert? Was sollen wir verändern?«

      Er zuckte die Achseln.

      »Ich weiß nicht«, sagte er ein wenig hilflos. »Wir haben doch beide schon lange keine Wünsche geäußert, und wenn mal was kam, verlief es schnell im Sande. Wir haben niemals an uns gedacht. Ich denke, das müssen wir wieder lernen, und wir müssen uns ganz ernsthaft überlegen, wie unser Leben weitergehen soll.«

      »Wie bisher, nur ein wenig langsamer«, meinte sie. »Vielleicht machen wir die Restauration erst abends auf. Tagsüber bieten wir nur kleine Gerichte an. Das erspart viel Arbeit. Und die meisten der Gäste, die tagsüber kommen, wollen doch eh nur etwas trinken oder Kaffee und Kuchen bestellen.«

      Er schüttelte den Kopf.

      »Das ist nicht die Lösung. Ich kenne dich. Du würdest wieder herumwuseln wie früher, als sei nichts geschehen. Du bist dem Tod, dank der Frau Doktor Steinfeld, gerade noch von der Schippe gesprungen. Das ist eine Gnade, ein Geschenk des Himmels. Ein solches Glück soll man nicht ein zweites Mal herausfordern.«

      Er beugte sich vor, streichelte ihr Gesicht.

      »Moni, ich liebe dich. Ich möchte dich nicht verlieren, ein Leben ohne dich wäre für mich unvorstellbar.«

      Monika Lingen freute sich über solche Worte. Sie konnte sich nicht daran erinnern, wann er das »Ich liebe dich« zum letzten Mal ausgesprochen hatte.

      Aber sie war auch ein wenig irritiert. Ihr Mann hatte den Schalter so vollkommen umgekippt. Er verhielt sich so anders.

      Ehe sie etwas sagen konnte, wurde angeklopft, die Tür aufgerissen, eine Krankenschwester kam ins Zimmer gestürmt und sagte: »Frau Lingen, der Herr Professor will Sie sehen, und es steht auch noch eine Untersuchung aus, die er Ihnen nicht ersparen kann.«

      Sie wandte sich an Hubert.

      »Tut mir leid, Herr Lingen, dass ich Ihre Frau entführen muss.«

      Dafür hatte er natürlich Verständnis, erhob sich, die Schwester schob einen Rollstuhl ans Bett, und als Monika protestieren wollte und sagte, sie könne allein gehen, wehrte die Schwester ganz entschieden ab.

      »Sie laufen genug herum, aber der Weg zum Untersuchungsraum ist entschieden zu weit. Also, keine Widerrede, meine Liebe.«

      Monika gehorchte und die Schwester war zufrieden.

      Ehe sie gemeinsam das Krankenzimmer verließen und in verschiedene Richtungen gingen, sagte die Schwester: »Herr Lingen, Sie müssen mal ernsthaft mit Ihrer Frau reden und ihr begreiflich machen, dass ein Herzinfarkt nicht auf die leichte Schulter zu nehmen ist.«

      Er versprach es, und er war froh, dass er schon einmal damit angefangen hatte, mit seiner Moni zu reden.

      Es war fünf nach Zwölf, der Zeiger der Uhr ließ sich nicht zurückdrehen, was geschehen war, war geschehen. Aber man konnte ihn anhalten und durch bewusste Lebensführung das Weiterticken in die richtige Bahn bringen.

      Als er zum Aufzug ging, war er niedergeschlagen. Er wusste wirklich nicht, wie alles weitergehen sollte, er wusste nur, dass ihnen ihr Leben derzeit ganz schön um die Ohren flog, seiner Moni und ihm. Wobei er nur einen Warnschuss erhalten hatte, sie aber war getroffen worden, ausgerechnet seine Moni.

      Es musste alles anders werden, das stand fest, und sie würden auch eine Lösung finden.

      Der Aufzug kam, hielt mit einem sanften Ruck an, und er besann sich. Er stieg nicht ein, sondern nahm die Treppe. Das war auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.

      *

      Professor Heribert Bohland war ein anerkannter Herzspezialist, und er war auch nicht einer dieser Halbgötter in Weiß, sondern ein sehr herzlicher Mensch, dem das Wohl der ihm anvertrauten Patienten am Herzen lag.

      Er war sogar schon einige Male mit seiner Familie im Seeblick zum Essen gewesen und war stets ganz begeistert gewesen. Doch er hatte auch mitbekommen, welche Knochenarbeit die nun vor ihm sitzende Frau da leistete.

      Er hatte mit Monika Lingen die Befunde durchgesprochen, auch das Ergebnis der letzten, gerade erfolgten Untersuchung.

      »Frau Lingen, es sieht gut aus. Sie hatten Glück, und wenn Sie gewisse Regeln einhalten, können Sie hundert Jahre alt werden, aber das nur, wenn Sie eine hundertprozentige Kehrtwendung machen. Alles was war, das geht nicht mehr. Sie haben Raubbau mit Ihrer Gesundheit getrieben und auf keines der Warnsignale Ihres Körpers geachtet. Ich will jetzt nicht mit erhobenem Zeigefinger weiterreden, und ich kann Ihnen auch keine Vorschriften machen. Sie sind kein Kind, sondern eine erwachsene Frau. Und Sie sind bei Frau Dr. Steinfeld in den allerbesten Händen, sie ist eine ganz großartige Kollegin. Sie wird alles für Sie tun, Sie müssen sich nur daran halten, was die Frau Doktor Ihnen sagt.«

      Das alles klang nicht ermutigend, aber wenn sie sich an alles hielt und eine Kehrtwendung machte, drohte keine Gefahr. Hundert Jahre konnte sie werden, das wollte sie überhaupt nicht, aber ein paar Jährchen wollte sie schon noch leben, ehrlich gesagt, mehr als nur ein paar Jährchen.

      Sie war nicht dumm und sie war nicht lebensmüde.

      »Ich werde über alles nachdenken«, sagte sie, »zumal mein Mann auch bereits einige Andeutungen machte.«

      Er nickte zufrieden.

      »Ich möchte Sie jetzt noch eine Woche hier behalten, und dann habe ich schon mit einem alten Freund gesprochen, der eine sehr gute Reha-Klinik leitet, in der Sie ganz hervorragend aufgehoben sein werden. Es ist bereits ein Zimmer für Sie reserviert.«

      Er erklärte ihr noch etwas, dann war das Gespräch beendet, der Professor wollte eine Schwester rufen, damit sie zurück in ihr Zimmer gebracht werden konnte. Doch davon wollte Monika nichts wissen.

      »Ich möchte allein zurückgehen, ich verspreche, es ganz langsam zu tun und, wenn erforderlich, unterwegs auch Pausen einzulegen. Ich muss über einiges nachdenken, das kann ich am allerbesten, wenn ich mich dabei bewege.«

      Er war einverstanden.

      »Geht mir auch so«, sagte er, »denken Sie auf jeden Fall auch darüber nach, dass wir nur dieses eine Leben haben.«

      Dann verabschiedete er sich von ihr, sie verließ sein Zimmer und setzte sich


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