Der neue Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman - Michaela Dornberg


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nicht verlassen.

      Und es lag noch ein weiter Weg vor ihr.

      Ricky, die ihre Freundin besuchte, so oft es ging, bekam noch jetzt eine Gänsehaut, als sie an deren letzten Satz dachte, der so traurig, so hoffnungslos geklungen hatte: »Was soll ich denn dort draußen? Ich habe keine Lust, den anderen Leuten beim Leben zuzusehen.«

      Warum lebte man meistens so vor sich hin und machte sich nicht bewusst, dass jeder Tag der letzte des Lebens sein konnte?

      Warum genoss man seine Tage nicht, ging nicht behutsam mit ihnen um?

      Ricky schreckte zusammen, als jemand sie anhupte, an ihr vorbeizog und ihr, wie frech, sogar einen Vogel zeigte.

      Sie war unaufmerksam gewesen, und das sollte man beim Autofahren nicht sein. Ab sofort fuhr sie konzentriert und umsichtig.

      Sie machte das Autoradio an, leise, leichte Musik ertönte, und als ein Lied gespielt wurde, zu dem sie und Fabian zum ­ersten Mal miteinander getanzt hatten, wurde Ricky schon wieder sentimental, doch diesmal wollte sie es auch sein …

      *

      Sie hatten nicht in das Gespräch zwischen Eltern und Tochter hineinplatzen wollen, doch als Magnus und Teresa von Roth sahen, wie ihre En­kelin fortfuhr, machten sie sich auf den Weg nach nebenan.

      Anfangs waren sie ja skeptisch gewesen, ob es richtig war, ihrer Tochter und Familie so dicht auf die Pelle zu rücken. Doch diese Entscheidung hatten sie niemals bereut, und eine solche Gelegenheit würde sich so schnell auch nicht wieder ergeben.

      Anfangs hatte es nur sechs Häuser gegeben, zwei große und vier kleine und das Herrenhaus der von Riedings auf dem Sonnenhügel, malerisch unterhalb der Felsenburg gelegen, jener geschichtsträchtigen Ruine aus 1495.

      Es war ein Glücksfall gewesen, dass Carlo von Heimberg, ein bekannter Architekt, die Siedlung Erlenried erbaut hatte, mit dreißig wunderschönen Einfamilienhäusern, von denen die von Roths, zum Glück, musste man sagen, eines erworben hatten. Inzwischen waren noch einige Häuser hinzugekommen. Man war wild hinter Bauland her, und sobald ein Grundstück erschlossen war, war es auch schon verkauft, zu horrenden Preisen.

      Der Sonnenwinkel war hochbegehrt, um hier wohnen zu können, nahm man weite Wege bis zum Arbeitsplatz in Kauf, weil hier ganz einfach eine ganz besondere Lebensqualität mit einem sehr hohen Freizeitwert geboten wurde.

      Was neu gebaut wurde war schön, doch nichts kam an die von Carlo Heimberg errichtete Siedlung Erlenried heran, die sogar mehrere Preise gewann.

      Ja, es war gut, dass sie hergezogen waren.

      Magnus von Roth hatte ­liebevoll einen Arm um die Schulter seiner Frau Teresa gelegt, als sie zum Nach­barhaus gingen, das nicht zur­ Neubausiedlung gehörte, sondern schon vorher da gestanden hatte und das mit seinem Walmdach, der großzügigen Bauweise, schon etwas Besonderes war.

      Magnus und Teresa waren schlanke hochgewachsene Menschen, denen man ihr Alter nicht ansah, sie waren fit, was dann liegen mochte, dass sie sich viel bewegten und häufig den Sternsee ­umrundeten, was immerhin zehn Kilometer waren.

      Es war eine geniale Entscheidung der Gemeinde gewesen, den See als Naherholungsgebiet einzustufen und nicht zuzulassen, dass Privathäuser bis direkt ans Seeufer gebaut wurden.

      Eine Bebauung gab es nur am Sonnenwinkel, und die Häuser in erster Reihe, mit Blick zum See, durften erst nach ein paar Metern errichtet werden, die nötig waren, um einen breiten Wander- und Fahrradweg zu ermöglichen, mit Bänken oder sogar Tischen mit Bänken.

      Gebadet werden durfte nur in den beiden Strandbädern, alles andere war verboten, weil es im See gefährliche Unterströmungen gab. Neben einem großen und einem kleinen Restaurant gab es eine Kite- und Surfschule und einen Hochseilgarten zum klettern.

      Motorboote waren verboten, segeln, rudern und paddeln war erlaubt, und man konnte Tretboote mieten und mit denen über das Wasser strampeln, was ganz schön anstrengend war, wenn man mit Wind und Wellen zu kämpfen hatte.

      Aber der See war wundervoll, und Menschen kamen auch von weiter her, um diese Idylle genießen zu können.

      Und das taten die von Roths.

      Sie lasen aber auch viel, waren kulturell interessiert, sie waren geistig fit.

      Bambi sagte immer voller Bewunderung: »Omi und Opi, ihr seid fit wie zwei Turnschuhe.«

      Ja, es ging ihnen gut.

      In ihrem Leben hatte es mehr Tiefen als Höhen gegeben, doch sie hatten sich nie unterkriegen lassen, stets positiv gedacht. Und da hatte Magnus von Roth auch einen Satz parat: »Aus einem Ende entsteht immer ein Anfang.«

      Ja, es ging ihnen gut.

      Sie genossen den Herbst ihres Lebens, das Glück, eine wundervolle Familie zu haben, den Segen sich gefunden zu haben und zu lieben, unverbrüchlich, tief und fest … Haus und Geld waren eine Zugabe, die so­ manches einfacher machte. Doch das war nichts, woran man sich wärmen konnte.

      Sie hatten die Haustür erreicht, Inge, die ihre Eltern schon von Weitem gesehen hatte, hatte sie ihnen geöffnet.

      Sie hatten sich heute schon gesehen, und sie hatten auch schon miteinander telefoniert. Das taten sie jeden Tag.

      Inge wusste, weswegen sie jetzt hier waren, sie wollten über Ricky sprechen.

      Sie kochte einen Darjeeling, weil sie wusste, dass ihre Eltern den nachmittags lieber tranken, weil er bekömmlicher war, zumindest glaubten sie das. Dazu servierte sie ihnen einen selbst gebackenen Zitronenkuchen, von dem sie ihnen den Rest mitgeben würde, weil sie diesen Kuchen liebten.

      Werner war nach Hohenborn gefahren, wo er etwas zu erledigen hatte. Auf dem Rückweg würde er Bambi mitbringen.

      Inge war sich allerdings sicher, dass diese Besorgung nur vorgeschoben war. Werner wollte seiner kleinen Tochter, die so klein nun auch nicht mehr war, eine zweite Busfahrt ersparen.

      Sie würde es auch nicht anders machen.

      Bambi war ein so sonniges, herzerfrischendes, liebevolles Mädchen. Ihr gelang es mühelos, alle um den kleinen Finger zu wickeln.

      Das wussten sie alle, und doch unternahmen sie nichts dagegen, weil sie Bambi über alles liebten.

      Nachdem sie den leckeren Zitronenkuchen gebührend gelobt hatten, wandte Magnus von Roth sich an seine Tochter.

      »Inge, du weißt, dass wir uns aus allem heraushalten, weil wir nicht das Recht haben, uns einzumischen. Das hätte uns nicht gefallen und das würde uns auch heute nicht gefallen, sollte jemand es versuchen. Wir möchten aber gern mit dir über Rickys Pläne sprechen, die wir beide ganz großartig finden und die wir in jeder Hinsicht unterstützen wollen.«

      Er blickte seine Tochter an.

      »Ohne mit ihm gesprochen zu haben, denken wir, dass Werner hocherfreut sein wird, weil er nie begreifen konnte, warum seine Tochter nicht eine akademische Laufbahn eingeschlagen hat. Aber du … nun, du bist ziemlich konservativ und hältst an der Rollenverteilung zwischen den Geschlechtern fest. Was ja auch überhaupt nicht verkehrt ist. Nur … nun, mein Kind, du kannst manchmal unglaublich stur sein, und da kommst du, wie auch äußerlich, ­vollkommen auf meine Mutter, deine Großmutter Henriette. Die konnte tagelang schweigen wie die Taiga, wenn es nicht nach deren Kopf ging.«

      Sofort begehrte Inge auf.

      »Papa, ich bitte dich. Tagelang nichts zu sagen, könnte ich überhaupt nicht durchhalten.«

      Magnus von Roth lachte.

      »Na, das nicht, aber die ­beleidigte Leberwurst spielen kannst du schon, wenngleich das mit zunehmendem Alter immer besser wird. Als kleines Mädchen warst du manchmal unerträglich und hast Mama und mich zur Weißglut gebracht.«

      Inge war in keiner Weise beleidigt. Sie fiel in sein Lachen mit ein.

      »Papa, ich bitte dich, kram keine ollen Kamellen hervor, das alles ist ja wohl nun schon eine ganze Weile her und beinahe nicht mehr wahr.«


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