Der neue Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman. Michaela Dornberg

Der neue Sonnenwinkel Staffel 1 – Familienroman - Michaela Dornberg


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er hätte nicht so bereitwillig auf alles verzichtet. Wäre sie nicht so großzügig gewesen, hätte er um jeden Teller gestritten.

      Sie schaute ihn an.

      »Weg«, sagte sie kurz und knapp, ehe sie sich wieder ihrer Arbeit zuwandte und ihn einfach ignorierte.

      Er blieb noch eine kurze Weile unschlüssig stehen, dann drehte er sich abrupt um und verschwand.

      Roberta hatte keine Ahnung, ob er jetzt das Haus verlassen würde. Es konnte durchaus sein, dass er aus lauter Angst, sie könne etwas mitnehmen, was nicht vereinbart war, alles kontrollieren würde.

      Es interessierte sie nicht.

      Das Haus war verkauft, den Erlös würden sie teilen, obschon es in erster Linie von dem Geld bezahlt worden war, das sie geerbt hatte.

      Sollte er glücklich werden, mit dem Geld, mit dem Inventar des Hauses, mit der Praxis.

      Sie fragte sich allerdings, was er mit all den Möbeln, Bildern und sonstigen Einrichtungsgegenständen, mit all dem Geschirr, dem Porzellan, den Gläsern, dem Silber machen wollte, das er sich unter den Nagel gerissen hatte, in seiner abstoßenden Gier.

      Das musste nicht wirklich ihre Sorge sein. Irgendwann hörte Roberta das Zuschlagen der Haustür. Er war gegangen, ohne sich zu verabschieden. Damit konnte sie allerdings leben. Je weniger sie ihn sah, umso besser. Von alldem, was sie einmal für ihn empfunden hatte, war nichts mehr geblieben. Er hatte alles zerstört, wenigstens bei ihr, in ihr. Ob er sie je geliebt hatte, das bezweifelte sie mittlerweile. Es hatte ihm gefallen, dass sie ihn bewundert hatte, weil er so anders war, als die Männer, die sie vorher gekannt hatte. Und natürlich hatte er sehr schnell festgestellt, dass sie so etwas wie ein Lotteriegewinn war: klug, zielstrebig und nicht ganz arm. Und gut aussehend war sie auch.

      Er hatte sich nicht in ihr getäuscht, sie hatte all seine Träume erfüllt. Ohne sie hätte er überhaupt nichts erreicht.

      Mit einem mittelmäßigen Examen kam man nicht weit. Und ohne sie hätte er jetzt auch keinen Doktortitel, denn sie hatte seine Arbeit mehr oder weniger geschrieben.

      Aus …

      Vorbei …

      Es würde ihn einholen. Für Max und seine Zukunft, ob in privater oder beruflicher Hinsicht, hatte Roberta kein gutes Gefühl.

      Max hatte nie ernsthaft gearbeitet, sich nie ernsthaft um etwas bemüht, sondern das Leben, ganz besonders sein Liebesleben, stets als ein Spiel betrachtet.

      In der Praxis spielte er den Chef, dem der weiße Arztkittel besonders gut stand, und bei besonders attraktiven Patientinnen spielte er den Charmeur und baggerte sie an.

      Gutachten schreiben, Abrechnungen, Zahlungen, Verhandlungen, das alles waren für ihn böhmische Dörfer, das hatte er stets auf sie abgewälzt. Und was Verantwortung bedeutete, da hatte er gerade mal eine Ahnung davon, wie man das Wort schrieb.

      Sie wünschte ihm nichts Schlechtes, doch die Praxis war eine Nummer zu groß für ihn. Das würde ihm um die Ohren fliegen. Roberta wusste es. Man musste keine hellseherischen Fähigkeiten haben, um das vorauszusehen.

      Die Patienten, die sie behandelt hatte, und das waren viele, blieben größtenteils jetzt schon weg.

      Sie könnte jetzt triumphieren, doch davon war Roberta weit entfernt.

      Es war einfach nur traurig, diesen Untergang vorauszusehen.

      Sie stellte eine weitere Kiste mit Bekleidungsstücken auf den Stapel, mit dem Nicki machen konnte, was sie wollte. Roberta wollte mit leichtem Gepäck in ihr neues Leben starten, und das in jeder Hinsicht.

      Auch wenn sie augenblicklich ringsum nichts weiter als Trümmer sah, freute sie sich. Sie war eine Kämpferin, sie würde es schaffen, sie würde durchkommen.

      Aus diesem Gefühl heraus rief sie Enno Riedel an, um sich für die Chance, die sie durch ihn bekam, zu bedanken.

      »Hey, Roberta«, widersprach er sofort, »wenn sich hier jemand bedanken muss, dann ich. Ich kann, ohne ein schlechtes Gewissen haben zu müssen, nach Philadelphia reisen. Für mich erfüllt sich ein Traum. Aber ich weiß, dass es dir im Sonnenwinkel gut gefallen wird. Als Großstadtpflanze musst du dich erst mal an diese himmlische Ruhe und den Frieden ringsum gewöhnen. Aber glaub mir, daran gewöhnt man sich schnell.«

      Sie besprachen noch ein paar Details, die die Praxis betrafen. Da musste zunächst nichts verändert werden. Das Haus war ausgeräumt, frisch gestrichen. Enno würde mit seiner Familie die Nacht in einem Hotel in der Nähe des Flughafens verbringen, und wenn sie im Sonnenwinkel eintraf, dann würden sie im Flieger bereits eine ziemliche Strecke zurückgelegt haben.

      Alles war gesagt.

      »Enno, ich wünsche dir, Amelie und den Kindern viel Glück in Amerika. Du kannst dich ja mal melden.«

      Das versprach er, dann sagte er: »Und du vergiss Max. Er hat­ nicht zu dir gepasst, und wir haben uns alle sehr ge­wundert, warum du ausgerechnet ihn geheiratet hast. Da gab es noch ein paar andere Bewerber um deine Hand, mit denen du mehr Glück gehabt hättest.«

      Das wusste Roberta, doch damals hatte sie keinen anderen Mann außer Max gewollt.

      Und dafür hatte sie einen hohen Preis bezahlt.

      Das alte Sprichwort – wer nicht hören will, muss fühlen – würde sie heute glatt unterschreiben.

      Sie verabschiedeten sich voneinander, und Roberta wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Es gab noch viel zu tun.

      Gutachten schreiben,Inge Auerbach wollte ihren Mann gerade fragen, ob er auch einen Kaffee trinken wollte, als draußen das Gartentor quietschte, sich eilige Schritte dem Haus näherten, die Haustür aufgerissen wurde und Ricky hereingestürmt kam, ihrer Mutter um den Hals fiel und lachend rief: »Mami, wolltest du gerade zu meinem Empfang den roten Teppich ausrollen?«

      Sie deutete auf den roten Samt, den ihre Mutter in der Hand hatte.

      Inge fiel in das Lachen mit ein, erklärte, dass sie aus dem Stoff für Bambi ein Prinzessinnenkleid für eine Schulaufführung nähen wollte, dann erkundigte sie sich: »Ist was passiert, Ricky?«

      Angelockt durch das Lachen kam der Professor aus seinem Arbeitszimmer, sah seine Tochter und begrüßte sie herzlich. Die beiden verstanden sich gut, Ricky war schon immer ein Papakind gewesen, was nicht bedeutete, das sie ihre Mutter weniger liebte. Sie hatte ihren Vater früher einfach nur leichter um den Finger wickeln können.

      »Papi, ehe du mich jetzt auch noch fragst ob etwas passiert ist, sage ich nein. ­Alles ist in bester Ordnung. Ich war nur gerade bei meinen Schwiegereltern, weil Rosmarie unbedingt etwas von meiner selbstgemachten Himbeermarmelade haben wollte. Und Ihr kennt sie, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hat, dann muss es sofort geschehen. Sie ist jetzt glücklich, und Ihr und Omi und Opi bekommt natürlich auch ein Gläschen. Bei den Großeltern war ich schon. Hier ist also euer Glas, und über einen Kaffee würde ich mich sehr freuen. Ich habe euch nämlich etwas zu sagen.«

      »Hast du es den Rückerts auch schon erzählt?«, erkundigte Inge sich. Sie und Rosmarie und Heinz Rückert verstanden sich ganz hervorragend. Sie waren sogar miteinander befreundet. Doch eine gewisse Rivalität gab es schon, was die Kinder und Enkel anging.

      Da war Rosmarie ziemlich schmerzfrei, sie glaubte, sich das nehmen zu dürfen, was ihr als Mutter, Schwiegermutter und Oma zustand. Und das gefiel keinem so richtig. Ricky und Jörg hielten sich da zurück, aber Fabian und Stella hatten ihrer Mutter schon einige Male ihre Meinung gesagt, was stets zur Folge hatte, dass Rosmarie sich dann für einige Tage nicht blicken ließ und auch nicht anrief.

      »Nein, Mama, die Rückerts wissen es nicht«, antwortete Ricky. »Omi und Opi habe ich es gerade erzählt, und nun seid ihr an der Reihe … bekomme ich jetzt den Kaffee?«

      Inge verschwand in der Küche, Ricky holte Tassen aus dem Schrank und ging damit hinaus auf die Terrasse. Man musste das schöne Wetter einfach ausnutzen, ganz besonders, da bekannt war, dass das nächste Tief schon im Anzug war.

      Wenig


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