Die Väter haben Herlinge gegessen. Gustav Wied
der Wagen!"
Und die Mädchen stürzten wieder an die Fenster...
Aber es war nur ein Arbeitswagen, der auf dem gepflasterten Wege zwischen dem Vorwerk und dem Burghof daherrumpelte.
"Weiß eine von euch, wo Mutter steckt?" fragte Sophie dann.
"Sie hat sich wohl in die Kapelle eingeschlossen."
"Daß sie das Leben aushalten kann!"
"Sie kann es, weil sie eine Heldin ist!"
"Sie lebt für uns Kinder!"
"... Aber da drüben steht sie ja!" rief Frederikke plötzlich.
"Wo? Wo?" ertönte es von den andern.
"Hinter der Gardine in der Plättstube."
"Ja, wahrhaftig! ... Laßt das – nicht so herüberstarren! ... Ja, es wäre Sünde, wenn sie entdeckte, daß wir sie gesehen haben!" Die Augen der kleinen Sophie flammten.
"Ich könnte Vater totschlagen," sagte sie.
Frederikke deutete eifrig mit dem Finger hinaus:
"Und seht mal, da steht Olga hinter den Fliederbüschen!"
"Und Ane hat die Brauhaustür angelehnt!" ergänzte Anna.
"Und seht mal, den Gärtner der schleicht drüben unter den Akazienbäumen umher!"
"Und da kommen die drei Alten aus dem Asyl!"
"Die haben keine Angst!"
"Nein, denn die halten es mit Mutter!"
"Das tut wohl der ganze Hof!" nickte Sophie.
Im selben Augenblick erklang das Knallen einer Peitsche und das Stampfen von Pferdehufen.
"Da ist der Wagen!"
Die Mädchen standen einen Augenblick in atemloser Spannung.
"Bei Gott im Himmel, sie sitzt da!" entfuhr es dann Anna.
"Und im Landauer! In Mutters eigenem Wagen!" ergänzte Charlotte.
"Und er ist herabgelassen!" erklang es entrüstet von Frederikke.
Aber die kleine Sophie sprang außer sich auf einen Stuhl:
"Ich reiße das Fenster auf," sagte sie, ihre Lippen bebten, und die Stimme war belegt von nicht mehr einzudämmendem Weinen. "Ich reiße das Fenster auf und rufe ihr nach: Hündin!"
"Aber bist du denn verrückt, Mädel!" Anna riß die Schwester vom Stuhl herunter und vom Fenster fort, dessen Flügel sie schon geöffnet und zurückgestoßen hatte, daß sie klirrend gegen die Mauer flogen. "Du weißt doch, daß Mutter das nachher bloß ausbaden muß!"
Sophie riß sich los und wollte wieder vorstürzen, und als sie von den andern zurückgehalten wurde, da warf sie sich mit dem Gesicht nach unten vor ihnen auf den Fußboden und brach in ein hysterisches Schluchzen aus.
Der Landauer hatte indessen das Hauptportal erreicht, und der Kutscher knallte wieder laut mit der Peitsche.
Auf dem Rücksitz des Wagens saß "die Hündin" aufgetakelt und ausstaffiert, einen federgeschmückten Hut mit Rosen und flatternden Bändern auf dem Kopf. Die kleinen, stechenden, schwarzen Augen in dem recht hübschen Gesicht fuhren unablässig an den Fenstern und Türen des Hauptgebäudes hin und her, während die dicken behandschuhten Finger nervös an den Spitzen des übertrieben eleganten Umhanges zupften und ihre fetten, sackigen Wangen röter und röter wurden.
So saß sie ein paar Minuten und wartete, immer erregter infolge der Situation.
Das war wieder einer seiner gewöhnlichen närrischen Einfälle, daß sie hier vorrollen und ihn abholen sollte, während er hätte zum Wirtschaftsgebäude fahren und sie mitnehmen müssen. Hier saß sie, allen Leuten auf dem Gut zum Gelächter ...! Und es sähe ihm ähnlich, wenn er selbst hinter dem Fenster stünde und sie auslachte!
In ihrer Erregung kam es ihr vor, als höre sie es ringsum aus den halbdunklen Ecken und Winkeln des Gebäudes murmeln und kichern. Und plötzlich entdeckte sie auf der Bank dort vor dem "Asyl" die drei Alten, die eifrig gestikulierend die Köpfe zusammensteckten und flüsterten.
Satan auch, daß sie nicht kurz und bündig nein gesagt hatte, als er vorschlug, daß der Wagen mit ihr hierauf fahren solle ...!
Die Sonne war allmählich hinter den Linden im Park versunken. Die Schatten auf dem Hofplatz wurden länger und länger. Das große rote Gebäude, das jetzt im Abenddämmer einen fast blauschwarzen Ton bekam, lag wie ausgestorben. Nicht ein Laut war zu hören, nur hin und wieder ertönte ein leises klagendes Pfeifen von den offenstehenden Fenstern im ersten Stock, das vom Zugwind schwach hin und her bewegt wurde ...
Ein Flug Saatkrähen und Raben ließ sich krächzend und lärmend auf dem Turmdach nieder.
Das Frauenzimmer im Wagen fuhr zusammen und richtete seinen derben Körper auf: "Lars, der Herr hat uns gewiß nicht gehört. Knall' noch 'mal mit der Peitsche!"
Der Kutscher rührte sich nicht.
Da stieß sie in rasender Wut mit dem Absatz gegen den Wagenboden, daß es schallte:
"Kann Er nicht hören, Er Schafskopf, wenn man mit ihm redet! Noch 'mal knallen, sag' ich!"
Aber ohne sich zu rühren und ohne Ordre zu parieren brummte der Kutscher träge und widerwillig, als koste es ihm eine Überwindung, den Mund zu öffnen:
"Immer sachte, Mamsellchen Hellmer; der Herr zeigt sich schon, wenn es ihm paßt ..."
###
Bald darauf wurde die Tür geöffnet, und der Gutsbesitzer Herr Niels Uldahl-Ege, trat heraus. Er war ein kleiner, magerer Mann, mit wohlgepflegtem weißem Haar und Bart; hübsch und fein anzusehen, aber mit ein paar großen wasserblauen, unzuverlässigen Augen.
"Ist das eine Art, mich hier den ganzen Hof zum Gelächter sitzen und warten zu lassen!" keifte das Frauenzimmer im Wagen augenblicklich los.
Er blinzelte nervös mit den Augen:
"Na na, Mathilde, du sitzest ja ganz gut ... und ich komme ja schon. Hast du auch den Koffer nicht vergessen?"
"Nein, der steht bei Lars."
Uldahl sah sich schnell und scheu um. Dann stieg er in den Wagen und setzte sich neben seine Dame. Er nahm dort nicht viel Raum ein.
Plötzlich packte ihn die Mamsell hart am Arm. "Sieh mal, sieh mal," sagte sie und deutete zu den Fenstern der Plättstube im östlichen Flügel hinüber – "da drüben steht deine Frau! Grüße sie!"
Es blitzte im Blick des Gutsbesitzers böse auf, und er nahm tief und zermoniell seinen Hut ab. Gleichzeitig bekam er einen seiner kleinen pikanten Einfälle: Die liebe Familie sollte noch mehr gedemütigt werden; die Töchter hatte er doch noch so einigermaßen unter der Fuchtel.
"Anna!" rief er zum Fenster des eisten Stockes empor. "Anna und ihr andern Mädels, kommt herunter und sagt hübsch Adieu zu Vater und der guten Mamsell Hellmer!"
Die Mamsell lachte höhnisch.
"Hach, die werden sich schön hüten!"
Niels Uldahls Gesicht wurde dunkelrot.
"Anna!" brüllte er dann, außerstande sich zu beherrschen, "komm' augenblicklich herunter und bring' deine