Die Väter haben Herlinge gegessen. Gustav Wied

Die Väter haben Herlinge gegessen - Gustav Wied


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und sagte mit seiner bedächtigen Stimme:

      "Mit Verlaub, gnädiger Herr, die Fräuleins sind gewiß weggegangen – spazieren."

      "So–e? Hast du sie gesehen?"

      "Ja ..."

      "Wo sind sie hingegangen?"

      "Sie sind vor einem halben Stündchen nach dem Strandwalde zu gegangen."

      Uldahl wußte, daß Lars log; aber er war froh, daß er die Sache nicht weiter zu verfolgen brauchte.

      "Das hättest du ja gleich sagen können, du Schafskopf! ... Fahr' los! ... zur Station ... Aber ein bißchen fix!"

      Lars zog die Zügel an und der Wagen schwenkte vor der Tür ab.

      Als sie an der Bank vor dem "Asyl" vorüberfuhren, schielte Mamsell Hellmer hinüber um zu sehen, ob die Alten aufstehen und grüßen würden. Aber sie waren verschwunden. Die Bank stand leer.

      Da räkelte sie sich in dem weichen Landauer bequem zurück.

      "Jetzt hätten wir nur noch Vergnügen vor uns!"

      Auch Niels Uldahl lehnte sich erleichtert gegen die Wagenpolster:

      "Jetzt wollen wir heraus und uns einmal gründlich amüsieren, Mathildchen!"

      "Hündin!" erklang es da plötzlich über den Hofplatz wie ein Schrei von einer lauten und gellenden Mädchenstimme – "jetzt fährt Gutsbesitzer Uldahl-Ege fort mit seiner ..."

      Ein Fenster wurde klirrend zugeschlagen. Es klang, als würde die Stimme gleichsam von dem Ton abgehackt.

      ###

      Es war, als ob man auf Havslundegaard zu neuem Leben erwachte, wenn der Gutsbesitzer verreist war.

      Sogar die drei Alten drüben im "Asyl" wurden gleichsam jünger und sicherer. Sie gingen gerader über den Hofplatz, wenn sie zu den Mahlzeiten in die Herrschaftsküche mußten. Und sie lugten nicht scheu und gedrückt zum Turmzimmer im Parterre hinüber, wo der "Brotherr" residierte.

      Nicht daß er ihnen etwa irgendwie zu nahe gekommen wäre; im Gegenteil, er gab ihnen alles, was ihre alten Herzen begehrten: Essen, Kleidung, Obdach und Brennholz. Aber es ging eine böse und schwere Luft von ihm aus. Mamsell Ingwersen behauptete, daß ihr Asthma sich verschlimmere, wenn der Herr zu Hause wäre. Sie sagte, seine Nähe sei zu fühlen, wie wenn im Sommer ein Gewitter unten hinter dem Strandwald läge und brütete, ehe es losbräche; man wüßte nie, was daraus werden könne. – Aber war er dann vom Hofe abwesend, nur für einen Nachmittag in die Stadt gefahren, gleich war auch der Druck gehoben und das Asthma besser.

      Mamsell Ingwersen war 80 Jahre und hatte der Familie Uldahl seit ihrem achten Jahre gedient.

      Sie hatte die ganze Weltgeschichte erlebt, sagte sie; hatte als Gänsemädchen bei dem Vater des Staatsrats auf Egesborg begonnen und als Kammerjungfer der Staatsrätin geendigt. Und saß jetzt als Stiftsdame auf Havslunde.

      Infolge dieses ihres Alters und ihrer Carrière war Mamsell Ingwersen natürlich aus eigener Machtvollkommenheit die vornehmste im Asyl.

      Hinter ihr an Jahren und Rang kam gleich Mamsell Rottböl. Sie war nur 70 Jahre alt und hatte vier Kinder gehabt, die alle gestorben waren. Da hat man sich eben auch das versucht, sagte sie. Sie hatte sich und die Kinder mit Nähen ernährt. Von den Vätern sah sie nämlich nie etwas nach den Katastrophen. Aber sie nähte und nähte. Der "Nähfinger" an ihrer linken Hand war noch ganz schwarz und voller schwarzer Pünktchen von der Nadel. Und die Kinder hatte sie aufgezogen und wollte gerade ein wenig Freude und anderen Nutzen von ihnen haben. Aber da gingen sie hin und starben, eines nach dem anderen, ehe sie noch ihr zwanzigstes Jahr erreicht hatten. Mamsell Rottböl wurde ein bißchen dumm im Kopf von diesen häufigen Todesfällen und sollte ins Armenhaus. Aber da ersparte ihr die brave Frau Uhldahl diese Schmach und gab ihr einen Platz im Asyl.

      Am niedrigsten im Range stand Madame Lurvadt. Sie war 65 und war standesamtlich verheiratet gewesen; worauf sie sich bei gewissen Wortwechseln mit der Rottböl etwas einbildete. Im übrigen hatte sie keinen besonderen Grund auf ihre Ehe zu pochen. Sie war auf den Hof gekommen, um im Garten zu arbeiten, aber da ihr Mann sie schließlich mit Schlägen traktierte und dann auf den Boden warf, während er selbst mit seinen unzüchtigen Weibsleuten im Erdgeschoß rumorte, so hatte Frau Uldahl in ihrer Herzensgüte sich ihrer angenommen und dem Tyrannen verboten, wieder seinen Fuß auf die Schwelle von Havslunde zu setzen.

      Die drei Damen waren also die ehrwürdigen Bewohnerinnen des Asyls.

      ###

      "Ingwersen! Seid Ihr zu Bett?"

      Es wurde angeklopft, die Tür öffnete sich und Frederikke steckte ihren blondlockigen Kopf hinein. Die Asylstube sah um diese Abendstunde seltsam geheimnisvoll aus, groß und nur von einer kleinen Lampe mit niedrigem Fuß erhellt, die auf einem Tisch in der Ecke bei den Fenstern stand. Der erste Eindruck, den der Raum machte, war, daß er zur Leichenstube "bezogen" worden sei. Die weißen Gardinen vor den Fenstern, die weißen Mauern, die weiße Decke und die weißen Betten. Und dann im Halbdunkel inmitten all dieses Weißen die drei dunkelgekleideten Weibchen auf ihren weichen lautlosen Filzschuhen herumwackelnd.

      "Ich sollte fragen, ob ihr Lust hättet, mit uns anderen Kaffee zu trinken?"

      "Ja, aber, Herrje, Frederikchen, wir wollten ja eben schlafen gehen ...!" ertönte es erschreckt von der Ingwersen.

      "Ja, wir wollten eben schlafen gehen, Frederikchen", ... repetierte die Rottböl.

      Sie hatten alle drei die Hauben abgenommen und saßen jetzt jede auf einem Stuhl mit den Haarnadeln im Munde und flochten die "Rattenschwänzchen" für die Nacht.

      Aber Madame Lurvadt, das junge Blut, brachte geschwind ihre Kopfbekleidung wieder an der richtigen Stelle an, stopfte die Flechten in die Höhe und sagte:

      "Können wir so gehen?"

      "Ja gewiß könnt ihr! Beeilt euch nur! Dann laufe ich hinüber und sage, daß ihr kommt ..."

      Der Wahrheit die Ehre – die Alten hatten seit dem Abendessen auf diese Einladung gewartet. Es pflegte stets drüben im Herrschaftsflügel eine Kaffeefête stattzufinden, wenn der Herr verreist war ... Aber zuletzt hatten sie die Hoffnung für diesen Tag ganz aufgegeben; und ohne sich einander mitzuteilen, hatten sie alle drei denselben Gedanken gehabt: daß die Fräuleins es natürlich nicht fertig brächten, heute eine Fête zu geben, nach dem Tort, der ihrer Mutter angetan worden war, daß Mamsell Hellmer ihnen allen vor der Nase im Wagen der Frau vorgefahren kam ...

      Und nun war doch Fräulein Frederikke gekommen und hatte sie eingeladen!

      Fröhlich und eilig hatten sie die Hauben aufgesetzt, die Tücher über die Köpfe gezogen und das Blendlaternchen angezündet.

      "Lurvadt, puste!" kommandierte die Ingwersen.

      Und die Lurvadt pustete die Lampe aus, sie hatte am meisten Atem.

      Und mit Pantinen über den Filzschuhen balancierten nun "die Asyle" im Gänsemarsch über den dunklen Hofplatz.

      Die Ingwersen mit der Blendlaterne an der Tête.

      Diese Kaffeefêten, mit denen die Abreise des Gutsherrn gefeiert wurde, fanden in der Küche statt. Zehn Stühle wurden um den großen, weißgescheuerten Mitteltisch aufgestellt, einer an jedem Ende und vier an jeder Seite. Man hatte seinen bestimmten Platz: Frau Uldahl saß am oberen Tischende; dann kamen die "Fräuleins" und die Mädchen mit den Alten in ihrer Mitte, und ganz unten saß, als einziger Herr, Türk auf seiner Bank neben Fräulein Sophie. – Zwei große Messingkaffeekannen und Schalen mit selbstbereitetem


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