Die Väter haben Herlinge gegessen. Gustav Wied
saß Lina Reimers neben ihm. Die wildesten Gerüchte über diese Affäre liefen um. Aber endlich befestigte sich die Version, daß Uldahl dem Krugwirt die Frau für bare zehntausend Kronen abgekauft hätte. – Und als der Exgemahl nach einem halben Jahre den Krug verkaufte und nach Amerika reiste, war man fest davon überzeugt, daß die Sache sich so verhielt.
Und so hat Reimers mit der Sage nichts mehr zu schaffen ...
Um diese Zeit, also vor reichlichen zwanzig Jahren, lebten und regierten noch der alte Staatsrat und seine ausländische Frau auf dem Stammsitz des Geschlechtes, Egesborg.
Der Sohn Franz, der Jüngste, hatte Kragholm und Niels hockte auf einem kleineren Hofe, Thorsminde, da er ja als der Älteste den Hauptbesitz übernehmen sollte, wenn die Eltern starben –
Hier auf Thorsminde etablierte Niels sofort Madame Reimers als seine Gattin zur rasenden Erbitterung der Familie. Aber daraus machten die Liebenden sich wenig. Sie erzeugten mitsammen zwei Töchter, und Niels schrieb, sobald er nur den Fuß vor die Tür gesetzt hatte, die glühendsten Briefe an seine Line. Und als die gesetzliche Frist nach der Scheidung verstrichen war, verheiratete er sich standesamtlich mit ihr.
Und nun geschah es, daß Madame Lina Reimers, die bisher von der Familie geradezu verleugnet, da sie endlich auf Egesborg als Frau Niels Uldahl präsentiert wurde, gleich alle für sich gewann, durch ihre Schönheit, ihre Sanftmut und ihr seltsames, großes naives Herz, das kein Falsch kannte. –
Das waren die glücklichsten Jahre in Lines und Niels' Zusammenleben. Uldahl, dessen langer Junggesellenstand eine ununterbrochene Orgie von Trunk, Spiel und Weibern gewesen war, hielt sich zu Hause und freute sich seiner Frau. Und mit ihr war Ordnung und Sparsamkeit ins Haus gekommen. Keine wilden Zechgelage mehr, wo der Wein floß und die Geldscheine flogen, und die erschreckten Dienstmädchen spät nachts bleich hinter den abgeschlossenen Kammertüren saßen. – Jetzt waren Poker und Bakkarat vom L'hombre abgelöst worden, wobei die Verlustlisten freilich auch mehrere Ellen lang sein konnten, das aber doch nie so weit ausartete, daß man "Kopf oder Schrift" um einen Prämienstier oder eine Haushälterin spielte. Die Spieltische waren ins Wohnzimmer hineingebracht worden, und dort saß in der Sofaecke die stattliche Frau des Hauses und ließ ihre klaren blauen Augen vom Strickzeug oder Nähzeug zu den Herren bei den Punschgläsern hinüberwandern und ermahnte zum Frieden und zur Versöhnung, wenn sie zuweilen zusammengerieten und auf die grünüberzogenen Mahagonitische schlugen, daß die Jetons in die Höhe flogen.
"Na, na, Heine, Gutsbesitzerchen, schonen Sie die Möbel! ..."
Und Gutsbesitzer Heine sprang vom Stuhl auf, bog seinen klobigen Körper zum Sofa hinüber und sagte:
"Meine Gnädige ... alles für die Damen!" Und das Spiel wurde in Ruhe fortgesetzt, bis zur nächsten Explosion.
Um elf Uhr zog sich die Hausfrau zurück, während die Herren Spalier bildeten und sich verneigten. Und wenn sich die Tür hinter ihr geschlossen hatte, fiel es nicht einem von ihnen ein, ein saftiges Wort vorzubringen, obwohl sie ihr alle in Gedanken weiterfolgten – bis auf ihr Lager.
Nur der Ehemann konnte zuweilen irgend eine obscöne Bemerkung fallen lassen im schadenfrohen Triumph darüber, daß sie gerade seine Bettgenossin war.
Aber da schlug Gutsbesitzer Heine wieder auf den Tisch:
"Halt's Maul, Uldahl!"
Und Gutsbesitzer Torsen und Kammerjunker Frölich bekamen womöglich noch rötere Köpfe und Hälse, wie vorher, und sagten:
"Du bist ein Schwein, Niels!"
– – – Aber geradezu rührend wurde das Wesen dieser halbgezähmten Bären, wenn spät nachts ihre Wagen vor der Tür vorfuhren; sie schalten die Kutscher aus, weil die Wagenräder zu stark auf den Pflastersteinen lärmten und weil die Pferde stampften und unruhig waren. Und draußen im Entree, das auf Thorsminde unmittelbar an das Schlafzimmer stieß, schlichen sie herum und sprachen flüsternd miteinander und stolperten über ihre eigenen schwankenden Beine, um Frau Line nicht zu wecken ... "da drinnen".
Und ihre Augen waren voller Sehnsucht und Cognac, wenn sie auf die geschlossene Schlafzimmertür blickten...
Denn das war das Merkwürdige bei Frau Uldahl, daß sie trotz ihrer blonden Ruhe und ihrer ganzen keuschen, ein wenig lässigen Erscheinung gerade auf die Sinne dieser Männer eine stark erotische Wirkung übte. Sie sahen in ihr wahrscheinlich den Typus jenes reinen, weißen Weibes, vor dem sie einst im ersten furchtsamen Erwachen ihrer Mannheit im Traume gekniet hatten. Und nun sahen sie plötzlich nach einem Leben in Brunst und Enttäuschung den Gegenstand der Träume leibhaftig vor ihren Augen wandeln.
Daher wohl zugleich ihr Respekt und ihr Begehren. –
Auch Niels Uldahl hegte selbst in den Jahren, in denen er am wildesten und bösartigsten gegen seine Gattin raste, immer noch einen gewissen mystischen Respekt vor ihr ... einen Respekt freilich, der ihn reizte und aufregte, und die verbissene Raffiniertheit seiner Bösartigkeit noch erhöhte.
Aber in der Zeit auf Thorsminde ging alles noch ruhig und gut. Und als das Paar später nach dem Tode des Staatsrats und seiner Frau nach Havslundegaard übersiedelte, lebte es auch hier in den ersten Jahren einigermaßen verträglich. Frau Line gebar ihrem Manne im ganzen sieben Töchter, von denen die drei ältesten in zartester Jugend starben, während die anderen allmählich zu blühenden und blondlockigen jungen Weibchen heranwuchsen, wie es einst ihre Mutter gewesen, als Niels Uldahl sie am Morgen der Zeiten im Apfelgarten des Husumer Kruges gesehen hatte.
Nur Fräulein Sophie war, wie gesagt, dunkelhaarig und braunäugig. Mamsell Ingwersen sagte, daß sie ihrer Großmutter, der Staatsrätin gliche, die ja "irgendwo da unten in der Wärme" geboren worden war.
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Es gab im Park von Havslunde, wo dieser sich bis auf ungefähr dreihundert Ellen zum Strande hinunterdehnte, eine große halbkreisförmige Lichtung, genannt der "Baderasen". – Wenn man oben auf der hohen Steintreppe des Gartensaales stand und über die Brücke des Burggrabens blickte, dann sah man die Lichtung bei sonnigem Wetter wie einen goldgrünen Teppich am Ende der langen Lindenallee liegen. Und hinter dem Teppich wieder lag ein schmaler Streifen leuchtenden weißen Sandes, und dann kam die Bucht mit ihren blaugrauen Wogen ...
Hier hinunter verlegte Frau Line an Sommervormittagen nach dem Frühstück ihre ganze Kinderstube mit deren Inventar von Ammen, Kinderwagen, Wiegen, Kindern und Spielzeug.
Es war ein Gewimmel wie von einer Völkerwanderung, wenn der Zug durch die Lindenallee ging. Und wenn man hier unten auf dem Rasen sein Lager aufschlug, wurde der Laut von Stimmen, Gelächter und Tumult weit über die Wasser der Bucht hinausgetragen ...
Auf einer hochlehnigen weißgestrichenen Sprossenbank, die im Laufe der Zeit von den Mädels "Platz der Gnädigen" genannt wurde, saßen dann Frau Line und Mamsell Rottböl mit einem Stapel Kinderzeug zwischen sich und nähten, stopften und besserten aus, während die Kindermädchen und die größeren Kinder im Sonnenschein spielten und die Ammen im Schatten unter den Bäumen mit den Wiegen beschäftigt waren. Denn es kam vor, daß man auf Havslunde in diesen Jahren zwei Säuglinge auf einmal zu versehen hatte, eines fast nur reichliche neun Monate älter als das andere ...
Wenn Frau Uldahl hier auf ihrer Bank in der Mitte ihrer Kinder saß, umgeben vom sicheren und schirmenden Schutz des Parkes und Gutes, so war sie vollständig zufrieden und glücklich. Und in solchen Stunden empfand sie, wie in ihr eine tiefe Dankbarkeit emporwuchs gegen den Mann, der sie all dessen hatte teilhaftig werden lassen, der sie, gerade sie, zur Begleiterin seines Lebens erwählt und treu zu ihr gehalten hatte in den Jahren, als alle gegen sie standen und offen und im Verborgenen daran gearbeitet hatten, ihn von ihr fortzuziehen... Und wenn sie ihm deshalb ohne irgend eine Art von Weigerung ihre Arme öffnete und sich seinen heißen und ungezähmten Sinnen bereitwillig zu überlassen schien, so geschah es für sie eher, um eine Dankesschuld abzutragen, als etwa gerade deswegen, weil ihr Blut in vollem Einklang mit dem seinen flammte