Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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in den späteren Werken die Finales in Rondoform auftreten.

      Dagegen war Sammartini einer der fortschrittlichsten Instrumentationskünstler des damaligen Italiens. Auch hier ist der Einfluß des Buffostiles unverkennbar. In seinem Orchester herrscht eine außerordentliche Beweglichkeit der einzelnen Stimmen, allerdings mit Ausnahme der Bläser, die mit ihrer verstärkenden und solistischen Tätigkeit über den älteren Brauch nicht wesentlich hinauskommen. Dagegen entfalten die Streicher, von denen die beiden Geigen sich nach älterer Art noch häufig kreuzen und die Bratschen oft selbständig behandelt sind, ein buntes und oft ziemlich aufgeregtes Leben, namentlich auf Grund teils spitzer und herausfordernder, teils rauschender und glänzender Figuren, die lebhaft an die Buffooper gemahnen. Sie lassen sich bei Sammartinis Schüler Gluck bis in die Sechzehntelfiguren der Iphigenienouvertüre hinein verfolgen, wie denn überhaupt Glucks erste italienische Opern an Anklängen an seinen Lehrer besonders reich sind100.

      Der bedeutendste Kopf unter den damaligen italienischen Instrumentalisten war aber G. Tartini (1692–1770), über den uns freilich seine Landsleute noch eine eingehende Monographie schuldig sind. Sein leidenschaftliches, revolutionäres Naturell hat ihn von Anfang an in die Reihen des Fortschritts geführt. Auch seine Sinfonien stehen mit ihrem teils an Eindrücke aus Natur und Leben anknüpfenden, teils wild leidenschaftlichen Ideengehalt dem älteren Sinfonietypus meilenfern. P. Locatelli (1693–1774) ist besonders der Viersätzigkeit seiner Trauersinfonie halber hier zu nennen. Endlich ist auch Chr. Bach, wie gezeigt wurde, in dieser italienischen Umgebung groß geworden.

      Unter den jüngeren Meistern ist im Hinblick auf Mozart besonders L. Boccherini (1743–1805) zu nennen, der erste dieser italienischen Künstler, bei dem sich unzweideutig Spuren deutschen Einflusses, zuerst der Mannheimer, dann Haydns, feststellen lassen. Der Grundton seiner Kunst ist allerdings italienisch geblieben, wie namentlich der immer wieder durchbrechende empfindsame Zug beweist. Unter deutschem Einfluß ist aber sein Talent doch immer ernster und in der Arbeit sorgfältiger geworden. Was die Sinfonie anbelangt, so hat er als Schlußsatz das Rondo besonders bevorzugt und ist hierin auch für den jungen Mozart wichtig geworden.

      Während aber diese italienische Instrumentalmusik trotz allen verheißungsvollen Ansätzen doch schließlich neben der Oper nicht zu gleichem Rechte gelangt ist, kam die Sinfonie in Deutschland rasch zu ungeahnter Blüte. Sie wurde hier noch weit mehr als in Italien von der Gunst des großen Publikums getragen. Denn neben den Fürsten und Adligen beteiligten sich im 18. Jahrhundert auch die Studenten und der Bürgerstand in zahllosen Liebhabervereinen (collegia musica) an ihrer Pflege. Die Produktion an Sinfonien schwoll ungeheuer an, trotzdem vermochte das Angebot oft kaum der Nachfrage zu genügen. Zum ersten Male wurden jetzt die früher nur handschriftlich verbreiteten Sinfonien in Stimmen gedruckt und fanden bei den Verlegern reißenden Absatz. Für die Komposition aber wurden Wien, Mannheim und Berlin die Hauptmittelpunkte.

      Von der Wiener Sinfonikerschule war bereits ausführlich die Rede (S. 119 ff.); sie versuchte der neuen Forderung nach Naturwahrheit hauptsächlich durch die starke Zufuhr volkstümlicher Elemente zu genügen, aber doch auch dabei in ihrem Orchestersatz die Strenge der älteren Kunst herüberzuretten. Wesentlich anders ist dagegen der Anteil, den die Mannheimer Schule unter der Führung des genialen Johann Stamitz101 (1717–1757) an der Weiterentwicklung der deutschen Sinfonie nahm. Zwar hat sie mit der Wiener im Gegensatz zu den Norddeutschen die Ursprünglichkeit und Volksfreundlichkeit der Ideen gemein, stammte doch Stamitz selbst aus Böhmen. Aber das ist lange nicht der wichtigste Teil ihrer Neuerungen, die von dem einen Teil der Zeitgenossen überschwenglich gepriesen, von dem andern, namentlich den Norddeutschen, als nicht stilrein getadelt wurden, allerorts aber das größte Aufsehen erregten.

      Joh. Stamitz ist von allen seinen Mitbewerbern nicht allein das ursprünglichste Talent, sondern auch zugleich der Meister, der die neuen künstlerischen Aufgaben am klarsten erkannte und am folgerichtigsten löste.

      Die Stilwandlung, welche die beiden klassischen Gipfel der deutschen Tonkunst, den sächsisch-thüringischen und den österreichischen, trennt, ist im Grunde genommen das Ergebnis einer ganz anderen Art künstlerischen Empfindens überhaupt. Ihren ersten Vertretern kam sie zugleich als die höhere, "natürlichere" vor; tatsächlich kann es sich dabei freilich weder um Aufstieg oder Niedergang handeln, sondern um eine grundsätzlich neue Kunst, in der sich ein anderes Welt- und Lebensgefühl widerspiegelt. Die ältere Klassik Corellis, Bachs, Händels war eine Kunst der vollkommenen Proportionen gewesen. Jede ihrer Schöpfungen besteht aus in sich geschlossenen, fertigen Teilen, jedes Thema, ja fast jedes Motiv führt ein für sich befriedigendes, selbständiges Dasein, es ist der Träger einer bestimmten Stimmung, die in seinem Verlaufe wohl mannigfach abschattiert wird, aber in ihrem Grundcharakter stets dieselbe bleibt102. Beabsichtigen diese Meister einen Stimmungsumschlag, so bringen sie ihn durch ein neues, ebenfalls in sich geschlossenes Thema zum Ausdruck. So herrscht in dieser Kunst die vollkommenste Ordnung, ein abgerundetes Bild folgt auf das andere, es wird nie eine neue Stimmung angeschlagen, ehe die alte vollständig erschöpft ist. Noch J. Haydn gehört nach dieser Richtung hin, trotz den weit moderneren Ausdrucksmitteln, in diese ältere Reihe. Die neue Kunst dagegen empfindet ganz anders. Ihr kommt es nicht auf das in allen einzelnen Teilen Vollendete, Begrenzte, Ruhende, sondern auf das Bewegte, Werdende, über sich selbst hinaus Weisende an, auf das, was R. Wagner einmal treffend die Kunst des Übergangs nennt. Nicht fertige Stimmungen will sie geben, sondern deren Entwicklung, nicht einen ruhig ausströmenden Affekt, sondern einen fluktuierenden, mit Spannungen und Entladungen und vor allem mit plötzlichen Umschlägen. Gegensätze, die früher zwei verschiedenen Themen anvertraut gewesen waren, prallen jetzt unvermutet innerhalb desselben Themas aufeinander, an die Stelle der festen Gestalten tritt die wechselnde Erscheinung, an Stelle der Ruhe die Bewegung. Diese neue Art der "durchbrochenen" Stimmungen ist es, die uns die neue Kunst als soviel "moderner" erscheinen läßt. Sie ist das treue Spiegelbild jener durch Rousseaus Lehre tief erregten Welt und gleicht in ihrem bewußt revolutionären Auftreten dem gleichzeitigen Sturm und Drang in der Literatur. Auch hat sich die Entwicklung natürlich nicht mit einem Schlage vollzogen, sondern sendet ihre Wurzeln weit in die ältere Zeit hinein, innerhalb deren z.B. Händel der neuen Art am nächsten steht. Ihr erster bewußter und konsequenter Verfechter ist Stamitz mit seinen Mannheimern gewesen, ihr erster Klassiker aber eben Mozart, und zwar nicht allein dank seinem alle Vorläufer weit überragenden musikalischen Genie, sondern vor allem deshalb, weil sie der seinem neuen Weltbilde entsprechende künstlerische Ausdruck war, jener Auffassung, die in der menschlichen Seele eine Einheit der verschiedensten, beständig wechselnden und sich durchkreuzenden Kräfte erblickt. Daß dies tief in seiner Seele begründet lag, haben wir bereits bei seinem allerersten Sinfoniethema gesehen; es war darum ganz natürlich, daß er sich immer wieder gerade zu den Mannheimern hingezogen fühlte.

      Freilich, in letzter Linie ging der reife Mozart auch über diese Vorbilder um so weit hinaus, als er ihnen eben als künstlerische Persönlichkeit überlegen war. Es ging den Mannheimern nicht anders als so manchen Vorkämpfern neuer Richtungen: sie berauschten sich selbst an den neuen Phänomenen, die aus ihren Händen hervorgingen, und verwechselten nicht selten die Wirkung mit der Ursache. Das ist der Grund, warum sie verhältnismäßig rasch äußerlicher Manier verfielen. Aber auch dem genialen J. Stamitz selbst merkt man deutlich an, daß er bewußt Revolution macht, daß Sturm und Drang sein Lebenselement ist. Er liebt den plötzlichen, bunten Wechsel der Erscheinungen als solchen; das Impulsive, Sprunghafte, Überraschende, Genialische bildet den Hauptreiz seiner Kunst. So hat er nicht allein gegensätzliche, vor allem sentimentale Züge in die raschen Sätze eingeführt, wobei die Italiener tüchtig vorgearbeitet hatten, sondern auch die Thematik überhaupt erweitert und umgestaltet. Schon in seinen sechs Orchestertrios op. 1 fällt auf, daß die Hauptthemen ihrer ersten Sätze, obwohl sie die Haupttonart nachdrücklich festhalten, außergewöhnlich breit ausgesponnen und außerdem in gegensätzliche Abschnitte gegliedert sind. Aber auch mit dem vollständigen Umschlag des Affekts im Seitenthema ist es nicht genug, vielmehr pflegt Stamitz, statt in der üblichen knappen Art zum Schluß zu kommen, gerade hier mit besonderen Überraschungen aufzuwarten. Seine Seitenthemen bilden nämlich nicht bloß einen Gegensatz zu den Hauptthemen, sondern erhalten selbst wieder einen solchen durch ein weiteres, drittes


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