Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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getan hat. Die Messe schwelgt in den schärfsten dramatischen Gegensätzen und enthält namentlich Nachtbilder von einer Kühnheit, an die die übrigen Werke aus dieser Zeit nicht entfernt heranreichen, wie die ersten Abschnitte des Kyrie und Agnus, das "Qui tollis" und "Crucifixus". Es muß ein bestimmter, äußerer Anlaß gewesen sein, der diesen Höhenflug des Mozartschen Genius hervorrief; auch die übrigen Sätze verraten das Bestreben, etwas Besonderes zu geben38. Jene vier Sätze sind nicht allein durch die Molltonart, sondern namentlich auch durch den Ausnahmecharakter ihrer Harmonik und Instrumentation – mit Ausnahme des "Qui tollis" fügen sie den Streichern und Oboen noch drei Posaunen hinzu – innerlich miteinander verbunden. Mozart sucht hier ganz offenkundig den hellen Grundton der neapolitanischen Messe durch scharfes Unterstreichen der Nachtseiten des Seelenlebens zu mildern, er tut das aber als richtiger Stürmer und Dränger, der er in diesem Falle ist, in der Weise, daß er vom lyrischen Boden auf den dramatischen übertritt und die menschliche Seelennot bis zu den Qualen ewiger Verdammnis steigert. Gleich das Kyrie beschwört eine solche Szene aus dem Inferno herauf: ein dreimaliger Schrei der ganzen Chormasse mit folgenden Generalpausen, dazwischen ein echt Mozartsches, schicksalsschwer im Dreiklang absteigendes Motiv in den beiden Geigen 39, dem ein dumpfes Schluchzen in den Posaunen und Bratschen antwortet; gleich darauf läuft ein Tremoloschauer durch das Orchester. Dazu die ebenso kühne als herbe Harmonik und vor allem die lapidare Kürze des Ganzen – dieser Anfang mag den Salzburgern gründlich zu denken gegeben haben. Auch der durchweg deklamatorisch und homophon gehaltene Chor "Qui tollis" mit seiner zitternden Triolenbegleitung und dem ruhelosen, seltsam erregenden Baßmotiv weist nach der Oper mit ihren Geisterbeschwörungen hin. Seinen Höhepunkt erreicht dieses dramatische Pathos im "Crucifixus". Dem fremdartigen Ruf der gestopften Trompeten antwortet ein schweres Aufstöhnen des Orchesters, dann erst beginnt auch der Chor, wiederum in kurzen Phrasen, seinen verzweifelten Jammerruf, um erst allmählich in die Ruhe der Resignation hinabzusinken, während zugleich der Trompetenstoß leise verhallt. Und wiederum ganz dramatisch ist es, wenn sich aus dieser Grabesruhe der Solosopran mit dem rollenden Laufe des "Et resurrexit" wie eine Lerche allein in die Lüfte schwingt. Schließlich erweckt auch noch das Agnus Dei den Eindruck einer Szene am Grabe: seine Posaunenmelodie, die mit dumpfer Klage beginnt und später so merkwürdig erregte Triolenmotive aufschießen läßt, kehrt im Verlaufe des Satzes dreimal wieder. Aber auch hier fehlt es nicht an einem scharfen dramatischen Gegensatz: das "miserere" wird vom Chore in langgezogenen Noten angestimmt, während das Saitenorchester plötzlich von einer heftigen Triolenbewegung erfaßt wird.

      Allerdings tragen alle diese düsteren Bilder, deren dramatisches, fast das Theatralische streifendes Gepräge einen so überraschend neuen Zug in Mozarts Messenkomposition hineinbringt, nur einleitenden oder Episodencharakter. Das Wesen der Hauptsätze hat Mozart nicht angetastet, hier bleibt er, von formalen Änderungen abgesehen, durchaus auf neapolitanischem Boden. Vor allem sind die in zweiteiliger Arienform gehaltenen Sologesänge des "Quoniam", "Et in spiritum sanctum", das Sicilianoduett des "Et incarnatus" (abermals eine Szene an der Krippe) u. dgl. rein opernhaft, tändelnd und mit reichlichem Koloraturenflitter behangen. Besonders das "Quoniam" ist auffallend tanzmäßig, halb Menuett, halb Polonäse. Ganz modern ist ferner die Anlehnung des Kyrie-Allegros an den Sonatensatz40, dabei tritt das Streben nach motivischer Geschlossenheit im Orchester noch deutlicher hervor als in der letzten C-Dur-Messe. Kyrie und Christe werden im Allegro noch nicht gesondert behandelt, dagegen fügt ihnen Mozart noch einen besonderen Christe-Satz für Soloquartett hinzu, der zwar seinem Gehalt nach wieder entschieden zu leicht geraten, aber in der Führung und Vertauschung der vier Stimmen sehr geschickt und wirkungsvoll ausgeführt ist41. Danach wird das Allegro wiederholt – abermals ein Übermaß, das auf Sturm und Drang hindeutet. Dagegen entbehrt das Gloria jedes motivischen Zusammenhangs, es besteht aus einer Reihe scharf zugespitzter Gegensätze, die wiederum den Dramatiker am Werke zeigen. Ihm verdanken wir namentlich die merkwürdige Form des "Gratias", das die in dieser Messe besonders beliebte Form einer langsamen Einleitung mit nachfolgendem Allegrosatz aufweist. Auch aus diesen wenigen Textworten, die an und für sich gar nicht dazu auffordern, hat Mozart einen Gegensatz herausgeholt und ihn mit allen Mitteln, namentlich der Harmonik und der Satzart, verschärft. Nie wieder hat er die Worte "propter magnam gloriam tuam" so scharf von dem "gratias agimus tibi" abgetrennt. Nur die Fuge des "Cum sancto spiritu" rollt in breitestem Flusse dahin. Auch sie hat zwar mit dem Tritonussprung ihres Themas und ihrer großen Länge einen revolutionären Stich, bedeutet aber doch in Satzkunst, Aufbau und Ausdruck einen großen Fortschritt gegen früher.

      Dagegen setzt das Credo den Versuch der früheren Messe (K.-V. 66), den ganzen Komplex auch motivisch einheitlich zu gestalten, mit ungleich größerem Geschick fort. Dort war das verbindende Band nach älterer Art noch ein ostinates Baßmotiv gewesen, hier ist es ein energisches Skalenmotiv in den Geigen:

      das im vollen Orchesterglanz im "Et resurrexit", "Et unam" und schließlich am Anfang und Schluß der "Et vitam"-Fuge wiederkehrt. Damit trat Mozart bewußt an ein Problem heran, das ihn von jetzt ab unausgesetzt beschäftigt hat. Bezeichnend ist, daß er es zunächst auf dem orchestralen Wege zu lösen suchte, denn die Selbständigkeit der Instrumente dem Gesang gegenüber ist in dieser Messe mit Ausnahme ganz weniger Partien voll durchgeführt. Trotz jenem durchgehenden Motiv ist aber auch dieses Credo vor allem auf wirksame dramatische Gegensätze angelegt. Sehr geistvoll wird die Schlußfuge im "Et unam sanctam" sowohl durch das Thema als durch die selbständigere Führung der einzelnen Stimmen vorbereitet. Auffallend und entschieden wieder von dramatischem Geiste eingegeben ist das Hineinziehen eines neuen "Osanna" in das Benedictus, wodurch der ganze Satz zum Wechselgesang zwischen einem Vorsänger und dem Chore wird. Und wieder läßt Mozart danach, wie im Kyrie, zum Überfluß das "Osanna" des Sanctus wiederholen.

      Was wohl Padre Martini zu diesem Werke seines Schülers gesagt hätte, das uns auf den Schwingen des Dramatikers und mit den modernsten Mitteln vom Himmel durch die Welt zur Hölle führt? Trotz allen Bedenken hätte er doch auch darin eine Frucht seiner Schule erkennen müssen, nämlich die echt gesangsmäßige Stimmführung, die diese Messe von ihren Salzburger Vorgängerinnen unterscheidet. Aber auch sonst bedeutet sie nach Form und Inhalt einen gewaltigen Fortschritt; wir werden ihren Spuren in ihren Nachfolgerinnen auf Schritt und Tritt wieder begegnen.

      Auch die ersten Litaneien Mozarts stammen aus dieser Periode. Die Litanei ist ein Bittgesang, der, wie die Messe, mit "Kyrie eleison" beginnt und mit "Agnus Dei, miserere nobis" (ohne "dona nobis pacem") schließt, dazwischen steht eine Reihe von Bitten, die je nach der äußeren Veranlassung der Litanei wechseln. Von einer festen Gliederung kann unter diesen Umständen keine Rede sein, auch ist, meistens wenigstens, keine Steigerung beabsichtigt. Musikalisch ist das Ganze als ein Wechselgesang eines Vorbeters (Solisten oder Chores) mit einem Chor gedacht, wobei jener den Gegenstand der Bitte vorbringt und die Heiligen anruft, während dieser sich mit häufig wiederholten Wunschformeln, besonders "ora pro nobis", "miserere nobis", anschließt. Der Refrain spielt deshalb seit alters eine besondere Rolle. Daß die Litanei der musikalischen Behandlung nicht etwa Schwierigkeiten bereitete, sondern ihr im Gegenteil ein ganz eigentümliches Ausdrucksgebiet zu erschließen geeignet war, beweisen die älteren Kompositionen bis auf H. Schütz42; der Verfall zog auch hier, wie in der Messe, mit den Neapolitanern ein.

      Mozarts im Mai 1771 komponierte erste Litanei in B-Dur (K.-V. 109, S. II 1)43 gehört der Gattung der Marienlitanei an (Litaniae Lauretanae). Die musikalischen Muttergottesbilder, die hier gezeichnet wurden, entsprechen seit alters denen der bildenden Kunst: bei aller Hoheit und Reinheit des Grundtons haben sie einen starken Zusatz von Lieblichkeit, häufig von Traulichkeit und schwärmerischer Hingabe, auch volkstümliche Züge schimmern deutlich hindurch. Auch Mozarts Litanei wahrt diesen Grundcharakter; sie ist in der Form äußerst knapp und macht von der Kontrapunktik nur selten Gebrauch. Dagegen geht sie sorgfältig auf den Sinn der Textworte ein, was ohne Zweifel auf den Einfluß Padre Martinis zurückzuführen ist. Auch die Instrumentation, zwei Geigen und Baß, wozu noch beim "Salus" eine Posaune tritt, weist auf die ältere Zeit hin, ebenso die Kreuzung der beiden Violinen. Ein weiterer Vorzug des Werkes ist seine formale Behandlung, die die einzelnen Sätze durch geistvolle Anklänge und Varianten ihrer Hauptgedanken zur


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