Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
sie ausführlich, schrieb ihm auch, daß der Erzbischof ihm die Ehre angetan, bei Tafel zu sagen, er hätte nicht geglaubt, daß der Haydn so etwas zu machen imstande sei; er sollte anstatt Bier nichts als Burgunder trinken, und ihm als Belohnung – 6 Krontaler habe auszahlen lassen (30. September und 6. Oktober 1777)17. Aber wenn er ihm sagt: "Hr. Haydn ist ein Mann, dem Du seine Verdienste in der Musik nicht absprechen wirst" (24. September 1778)18, so hat er seine Kirchenmusik im Sinne, und diese schrieb sich Wolfgang zu seinem Studium ab. Von Wien aus erbittet er sich (4. Januar 1783) "auf kleinem Papier blau eingebundene Kontrapunkte von Eberlin und etwelche Sachen von Haydn dabei"19, und schreibt kurz darauf (12. März 1783): "Das ›Tres sunt‹ (M. Haydns) muß von meiner Hand in Partitur geschrieben sein." Er ließ sich diese Sachen für die sonntäglichen Aufführungen bei van Swieten schicken und erbat sich dafür auch die neuesten Fugen Mich. Haydns: "Das ›Lauda Sion‹", schreibt er (12. März 1783), "möchte gar zu gern hören lassen – die Fuge ›In te Domine speravi‹ hat allen Beifall erhalten, wie auch das ›Ave Maria‹ und ›Tenebrae20‹". Im Nachlaß Mozarts finden sich auch noch zwei Fugen "Pignus futurae gloriae" aus Litaneien M. Haydns, von Mozarts Hand abgeschrieben (Anh. K.-V. 239, 240).
In der Geschichte der katholischen Kirchenmusik, namentlich ihres Hauptstückes, der Messe, bedeutet das Eingreifen der Neapolitaner einen raschen Abstieg von glorreicher Höhe21. Stilistisch kennzeichnet sich diese Periode dadurch, daß sich neben dem Chorgesang und auf seine Kosten mehr und mehr der Sologesang vordrängt und auch der Anteil der Instrumente vergrößert und weiter ausgebaut wird. Nun sind ja diese Mittel an und für sich so wenig unkirchlich, wie der mehrstimmige Chorgesang von Hause aus kirchlich ist. Es hat eine Zeit gegeben, wo man in dem Sologesang als dem Entfeßler der Persönlichkeit ohne weiteres den geborenen Feind der wahren Kirchenmusik erblickte, während die A-cappella-Musik mit ihrem "unpersönlichen" Gepräge als allein kirchlich galt. Das ist indessen eine höchst einseitige Ansicht. Die Josquin, Palestrina, Lassus haben der Kunst ihrer Zeit so gut den Stempel ihrer Persönlichkeit aufgedrückt wie nur ein späterer großer Meister, und es heißt die Grundlagen alles künstlerischen Schaffens überhaupt verkennen, wenn man erst in der Entstehung des begleiteten Sologesangs die Geburtsstunde der Individualität in der Tonkunst erblickt. Nur soviel ist richtig, daß jene Meister mit ihrem persönlichen Empfinden niemals die Grenzen des kirchlichen Allgemeingefühls überschreiten, sondern sich nur als berufene Sprecher dieser Allgemeinheit betrachten, in der festen Überzeugung, daß dieser Rahmen für die Entfaltung des Persönlichen noch Raum genug biete. So gelang es ihnen, das Hauptproblem aller Kirchenmusik, die Vereinigung von Kirchlichkeit und Volkstümlichkeit, in einer für ihre Zeit vollkommenen Weise zu lösen. Getragen waren sie dabei von jener Erneuerung des kirchlichen Geistes im allgemeinen, die ihren äußeren Ausdruck im Tridentiner Konzil fand.
Allerdings lag nach dem Aufkommen des Sologesanges für die Komponisten die Versuchung allzu nahe, mit ihrer eigenen, subjektiven Empfindung aus dem kirchlichen Allgemeingefühl herauszutreten. Bestand doch das Hauptziel der Florentiner Hellenisten eben darin, die Form eines Satzes vollständig frei aus dem Text und seinen einzelnen Worten und Gedanken heraus zu entwickeln. Aber die Folgezeit hat deutlich bewiesen, daß die Kirchenmusik von dieser Kunst an und für sich nichts zu fürchten hatte, sobald sie nur Meister fand, die sich über den Ernst ihrer Aufgabe wirklich im klaren waren; ja im Protestantismus, dessen Drang nach Betätigung persönlicher Glaubensüberzeugung der neue Stil allerdings besonders entgegenkam, hat er sogar eine neue, großartige Blüte hervorgerufen, freilich nicht auf dem Gebiet der Messe, sondern in der neuen Form der Kantate.
Die Messe nahm im 17. Jahrhundert zwar die Orchestermusik auf, mit dem Sologesang hielt man dagegen noch zurück. Seine Zeit kam erst mit den Neapolitanern, und zwar war seine Einführung nicht etwa die Folge einer Erstarkung des kirchlichen Geistes, der nach einem neuen, subjektiveren Ausdruck gerungen hätte, sondern im Gegenteil einer Schwächung des religiösen Gefühls, einer zunehmenden Verwirrung in den Grundbegriffen der Kirchenmusik. Das beweist der wachsende Einfluß, der dabei dem Opernstile zufiel. Nicht der Sologesang als solcher brachte den Verfall, sondern die unkirchliche Art seiner Verwendung, und diese steht mit der Zersetzung des religiösen Lebens in Italien während des 18. Jahrhunderts in engem Zusammenhang. Vor allem versagte die berufene Hüterin der Kirchenmusik, die Geistlichkeit: sie war allen Tridentiner Verfügungen zum Trotz verweltlicht und großenteils entsittlicht. In den Schulen aber herrschten die klugen Jesuiten, die das religiöse Leben des Volkes nach ihren eigenen Machtansprüchen lenkten; der eigentliche Träger der geistigen Kultur endlich, der Adel, dessen Dasein ebenfalls ganz in weltlichen Machtfragen aufging, gab sich mit rein äußerlicher Erfüllung seiner kirchlichen Pflichten zufrieden und deckte seine geistigen Bedürfnisse, wenn er haupt solche hatte, weit eher mit philosophischer als mit religiöser Beschäftigung. Es war darum kein Wunder, daß auch die Kirchenmusik in diesen Niedergang des religiösen Lebens mit hineingerissen wurde; die Spuren davon sind in Italien bis auf den heutigen Tag nicht völlig getilgt worden.
Das Grundübel war, daß weder die Kirche noch ihre musikalischen Diener dem an der Oper entwickelten Stil gegenüber die Kraft zur Kritik mehr fanden, sondern ihn immer unbedenklicher übernahmen. Schon bei ernsteren Musikern, wie Durante und Leo, zeigen sich Spuren dieses Geistes, der dann in verstärktem Maße die nächste Generation, die von J.A. Hasse, ergriff. Er beraubte die Kirchenmusik zweier Haupteigenschaften, ohne die sie ihrer Aufgabe niemals gerecht zu werden vermag, der Männlichkeit und der Mystik. Die weiche Empfindelei des Jahrhunderts nahm jetzt auch von der Messe Besitz, sodaß sie sich nur noch selten kräftigere Töne abzuringen vermochte; wo solche noch versucht werden, tragen sie nur zu oft, wie in der Oper, das Gepräge eines teils grellen, teils hohlen und gespreizten Pathos. Zugleich zog der Koloraturenflitter der Oper in die Kirchenmusik ein, der hier natürlich noch zu weit ärgeren Zerrbildern führen mußte als dort. Aber auch das Erhabene und Übersinnliche fand in dieser Kunst kaum eine Stätte mehr. Die Komponisten bringen dafür weder die Begeisterung, noch die mystische Innigkeit mehr auf, sie ziehen es ins Alltägliche herab und verkehren mit ihrem Gott oft in einem philiströs-gemütlichen, ja fidelen Ton, der alles eher als kirchlich ist. Von der "Gemütlichkeit" bis zur Gedankenlosigkeit ist aber nur ein Schritt: man komponierte schließlich drauf los, ohne sich um den Inhalt der Worte überhaupt zu kümmern, und verkehrte so den Hauptgrundsatz des Renaissancestils in sein gerades Gegenteil.
Besonders litt in dieser Zeit der Chorgesang. Welcher Zuwachs an Ausdrucksmöglichkeiten der Kirchenmusik durch eine sinngemäße Verbindung von Chor- und Sologesang erstehen konnte, lehren die klassischen Werke dieser Art, man denke nur z.B. an die tiefsinnige Art und Weise, wie Bach in der h-Moll-Messe dadurch die geschichtliche und die persönliche Seite des christlichen Glaubens zur Darstellung bringt. Die Neapolitaner selbst dagegen, besonders die späteren, haben sich dieser Vorteile selbst begeben, indem sie den Chorgesang zwar nicht ganz ausmerzten, aber doch so wenig sorgfältig behandelten, daß von der alten Würde kaum noch etwas übrig blieb. Die Erinnerung an die alte Bedeutung der Kontrapunktik wirkte zwar auch jetzt noch in den ständigen Chorfugen nach, aber diese Fugen sind farblos in ihren Themen und trocken in der Ausführung; an die Stelle des reichen organischen Lebens ist das tote Handwerk getreten, und viele davon sind lediglich die Erzeugnisse eines gedankenlosen Klebens an einem kaum mehr verstandenen Brauch.
Auch dieser Mangel hing großenteils mit der Lockerung der allgemeinen kirchlichen Organisation zusammen. Die Geistlichkeit ließ die Kirchenchöre mehr und mehr verfallen22; ihre Stärke schmolz erschreckend zusammen und ihre Leistungen waren dementsprechend, so daß an einzelnen Orten die Gemeinde vor dem Figuralgesang aus der Kirche lief23. Anständig besetzte Chöre wie in Salzburg und München gehörten zu den Ausnahmen. Es war unter diesen Umständen nur natürlich, wenn die Komponisten in ihren Messen den Hauptnachdruck auf den Sologesang legten, bei dem, wie in der Oper, die Kastraten eine steigende Rolle spielten. Außerdem aber wurden jetzt die Instrumente immer selbständiger herangezogen.
Hierfür lag bereits eine alte Tradition vor. Die alte Kirchensonate war, ebenso wie ein großer Teil der Kirchenkonzerte (noch Corellis Concerti grossi gehören hierher), für den Vortrag im Gottesdienst bestimmt gewesen. Nachdem sie sich jedoch in Form und Charakter mehr und mehr der Kammermusik angeschlossen hatte, nahmen Sonaten in der neueren Form,