Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
zum Überfluß manchmal noch mit sf bezeichneten Synkopen (S. 92, 117, 140 der Part.), und in der Mollarie (12) auf das ganz in Moll getauchte da capo. Diese Neigung, in Mollsätzen bei der Wiederholung alle das erste Mal noch zugelassenen freundlicheren Bilder zu verbannen und dadurch den düsteren Mollcharakter noch zu steigern, ist echt Mozartisch; sie beherrscht später auch seine Instrumentalmusik bis in die große g-Moll-Sinfonie von 1788 hinein.
Im Innern der Arien verlieren die Mittelsätze ihr bisheriges knappes und altmodisches Gepräge und nähern sich mehr dem Charakter von Durchführungen, worin man wohl mit Recht wieder den Einfluß der Instrumental-, besonders der Konzertmusik erblicken darf49. Auf ihre Rechnung gehören auch die ausgedehnten Anfangsritornelle, die mitunter auffallend dem Anfangstutti eines Violinkonzertes gleichen. Überhaupt ist der Anteil des Orchesters wieder sehr bedeutend, wenn auch lange nicht so anspruchsvoll und manchmal erdrückend wie in den bisherigen Werken. Mozart hat auch in dieser Hinsicht gelernt: sein Orchester bleibt trotz allem Reichtum schmiegsam und klar, es erschließt zwar keine solchen Abgründe des Seelenlebens wie im "Silla", aber es hält dafür auch mit seinen Gedanken weit sparsamer Haus. Dazu ist die Singstimme weit freier und gesangsmäßiger geführt. Für italienische Begriffe freilich ist das richige Verhältnis beider auch hier noch nicht erreicht.
Das aus einem Andante und einem dreiteiligen Allegro mit Coda bestehende Duett Elisas und Amintas (7) gehört mit seinem innigen und schwärmerischen Ausdruck und seinem Rokokozierrat zum Besten in dieser Oper; von Piccinni50 ist der hübsche und der Situation durchaus entsprechende Einfall angeregt, Melodie und Begleitungsfiguren des Andantes mit verändertem Rhythmus im Allegro wiederkehren zu lassen. Das Finale (14) besteht aus drei Chorstrophen, zwischen denen kleine homophone Zwiegesänge eingelegt sind.
Die Ouvertüre unterscheidet sich von allen ihren Vorgängern sowohl durch ihre Tonart (C-Dur), als namentlich durch ihre einsätzige Form, die am Schlusse mit einer ganz neuen Melodie von prachtvoller Kantabilität in die erste Szene hinüberleitet. Das ist französischer Brauch, dem übrigens auch Gluck lange vor der "Alceste" gehuldigt hatte51. Der Satz, der sonst keine innere Beziehung zum Drama selbst hat52, ist einfach zweiteilig, ohne eigentliche Durchführung, ein freies, aber durch das Vorherrschen des durch alle Stimmen dahinwandernden Hauptthemas53 sehr einheitliches Spiel; das eigentliche Seitenthema wird im zweiten Teil zugunsten jenes neuen Gedankens unterdrückt.
Diesen Opern mag zum Schluß das 1771 entstandene Oratorium "La Betulia liberata", Text von Metastasio (K.-V. 118, S. IV. 1 mit Spittas R.-B.), angereiht werden, da das neapolitanische Oratorium, dem es angehört, sich in seiner äußeren Form zwar nicht in allen, aber doch in den Hauptzügen mit der opera seria deckt.
Wie in der Oper, so haben auch im Oratorium54 die beiden Dichter Zeno und Metastasio reformierend eingegriffen. Hier wie dort galt es, den eingerissenen dichterischen Verfall zu steuern, denn auch das Oratorium, das sich von der Bibel weg mehr und mehr der Heiligengeschichte zugewandt hatte, war allmählich in den Strudel abenteuerlicher Sensationslust hineingezogen worden, der die Oper in der venezianischen Zeit zu einem Zerrbild des antiken Ideals gemacht hatte. Jetzt griffen jene Dichter wieder auf die Bibel, besonders auf das Alte Testament zurück – an das Neue traute man sich von jeher wegen der geheiligten Person Christi nicht recht heran – und suchten das Oratorium auch sonst mit einem geläuterten, sittlichen und religiösen Gehalt zu erfüllen. An Händels gewaltige Art, ganze Völker zu Helden des Oratoriums zu machen, darf man dabei freilich nicht denken. Auch als Oratoriendichter sind jene Poeten die richtigen Rationalisten; sie dichten nicht aus innerem Erleben heraus, sondern ersinnen zuerst ihre neuen Gesetze und schaffen darnach dann ihre Werke. Der Belehrung und Erbauung hat sich das Dichterische schlankweg unterzuordnen, das zeigt sich bis in die uns manchmal seltsam anmutenden theologischen, philosophischen und moralischen Unterhaltungen hinein, die die Helden miteinander pflegen. Aber innerhalb dieser Grenzen haben Zeno und besonders der auch hier weit phantasievollere Metastasio doch Werke geschaffen, die ihren Ruhm bis weit ins 19. Jahrhundert hinein begreiflich erscheinen lassen. Ja, Metastasios Oratorien stehen in mancher Beziehung sogar über seinen Opern55. Der lehrhafte Zweck verträgt sich mit ihnen besser als mit jenen, dafür macht sich der heroische Kothurn der Helden weniger aufdringlich bemerkbar und vollends das Liebesintrigenspiel fällt ganz weg. So kommen die inneren Konflikte der Helden, so eng begrenzt auch hier ihr Kreis ist, mehr zu ihrem Recht. Der meisterhaft geführte Dialog und das glänzende sprachliche Gewand geben den Opern nichts nach, und besonderes Lob verdient bei Metastasio die Kunst, trotz der fehlenden szenischen Aktion die einzelnen Charaktere plastisch hervortreten zu lassen.
Am deutlichsten ist der lehrhafte Zweck in den Stücken, in denen der Kampf weltlicher und geistlicher Gewalt und der selbstverständliche Sieg der geistlichen geschildert wird; Mozarts "Davidde penitente" von 1785 gehört hierher. Eine zweite Klasse, darunter unsere "Betulia", offenbart Gottes Macht und Stärke in den Heldentaten eines Weibes, das Seitenstück zu den beliebten Heroinenopern, und eine dritte, deren Hauptwerk Zenos "Tobia" ist, nimmt sich fast aus wie eine Vorwegnahme des späteren bürgerlichen Familien- und Rührstücks.
Im Gegensatz zur Oper hatte das neapolitanische Oratorium nur zwei Akte mit sechs bis sieben Arien; am Anfang oder Schluß jedes Aktes stand ein Chor, der gelegentlich auch an anderen Stellen eingefügt wurde. Neben dem Chore wurde jedoch, wiederum im Unterschied von der Oper ein besonderer Wert auf Ensembles, begleitete Rezitative und kunstvollere Führung des Orchesters gelegt. Im übrigen aber ist der Formenschatz des neapolitanischen Oratoriums derselbe wie in der opera seria: Secco und begleitetes Rezitativ und Da-capo-Arie56. Auch die verschiedenen Wandlungen des Geschmacks hat das Oratorium zwar mitgemacht, die auffälligsten Entgleisungen jedoch vermieden. War doch auch das Oratorium bestellte Arbeit, die mitunter in kurzer Frist erledigt werden mußte. Vor allem ist es aber den Gefahren des Gesangsvirtuosentums ebensowenig entgangen wie die Oper.
Bald nach Scarlatti erreichte das neapolitanische Oratorium in L. Leo57 einen Höhepunkt, der von den Italienern im einzelnen wohl noch erreicht, aber im ganzen nicht mehr überboten wurde. In Deutschland war der Hauptvertreter der Gattung wiederum J.A. Hasse58, den sich nunmehr auch der junge Mozart an Stelle des alten Eberlin59 zum Vorbild nahm. Die Vorzüge der Hassischen Kunst60 sind den Oratorien kaum minder zu eigen als den Opern: Überwiegen des Gesanglichen, Klarheit und Durchsichtigkeit des Stils, aristokratische Zurückhaltung im Leidenschaftlichen und dabei doch ein sicherer dramatischer Blick, der an seinen Stoffen sofort das Wesentliche herausgreift und Nebensachen und Spielereien überhaupt nicht kennt.
Die Sage von Judith ist in der oft komponierten61 "Betulia liberata" in folgender Art behandelt. Die handelnden Personen (interlocutori) sind:
Ozia, principe di Betulia.
Giuditta, vedova di Manasse.
Amital, nobile donna Israelita.
Achior, principe degli Ammoniti.
Cabri, capi del popolo.
Carmi, capi del popolo.
Coro degli abitanti di Betulia.
Unter die verzweifelten Einwohner der von Holofernes aufs äußerste bedrängten Stadt Betulia tritt Judith und schilt ihren Kleinmut. Ihre Gleichnisarie (5) mag als Beispiel für den Stil dieser Poesie gelten:
Del pari infeconda
d'un fiume è la sponda,
se torbido eccede,
se manca d'umor.
Si acquista baldanza
per troppo speranza,
si perde la fede
per troppo rumor.
Sie verkündet, daß sie einen großen Entschluß gefaßt habe, den sie aber noch geheimhalten müsse, unterdessen sollten sich alle zum Gebet vereinigen. Nach der