Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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hat, um ihn mit ihr zu verderben, verlangt Judith, festlich geschmückt, aus der Stadt gelassen zu werden; der Chor drückt (in der Ferne) sein Erstaunen darüber aus.

       Im zweiten Teil sucht Ozia dem Achior in einer gründlichen Disputation zu beweisen, daß es nur einen Gott gebe. Da kehrt, im Augenblick der höchsten Not, Judith mit dem abgeschlagenen Haupte des Holofernes zurück und schildert ihre Tat; Achior erklärt sich nunmehr für bekehrt. Carmi berichtet, daß die Assyrer sich nach Holofernes' Tod auf der Flucht selbst aufgerieben hätten. Ein Dankeslied Judiths und des Chores macht den Beschluß.

      Die erhaltene, 15 Nummern auf 382 Seiten enthaltene Originalpartitur62, zeigt Mozart in der ganzen Auffassung seines Stoffes, in manchen modulatorischen und melodischen Zügen63 und in der Benutzung einer gregorianischen Melodie im Schlußchor als Schüler Hasses64, andere Züge dagegen, wie die Arienform mit halbem da capo, die Themengegensätze, die ausschweifenden Koloraturen und die Orchesterbehandlung, stellen das Werk den Jugendopern unmittelbar an die Seite. Daß Mozart sich aber trotzdem in dem Oratorium höhere Ziele steckte als dort, beweist allein schon die Ouvertüre. Sie ist zwar ebenfalls dreisätzig, aber die Ecksätze sind thematisch verbunden, und in beiden kommt neben diesem Hauptgedanken kein anderer auf. Noch wichtiger aber ist die schicksalsschwere, fast trostlose Stimmung dieses Stückes, die auch im Mittelsatz nicht gemildert wird und sich im letzten in wildem Trotz entlädt. Auch die Tonart d-Moll tritt mit ihrer unheimlichen Feierlichkeit erstmals in Mozarts Kunst charakteristisch hervor. Sollte hier die Ouvertüre von Glucks "Alceste" Modell gestanden haben, die in derselben Tonart steht und auch mit ihrem Terzenmotiv der Mozartschen verwandt ist?

      Auch die drei Chöre tragen Ausnahmecharakter. Der erste (4) besteht zwar nur aus drei knappen, refrainartigen Sätzen in Ozias Sologesang, auch sind sie ganz homophon gehalten, aber es steckt in diesen herben Klängen die ganze mühsam verhaltene Verzweiflung des Volkes, und sie drücken zugleich das Siegel unter die breite, hoffnungslose Klage des Solisten. Der ebenfalls homophone Schlußchor des ersten Teils (8) ist weit breiter angelegt. Das Staunen des Volkes über Judiths Unternehmen äußert sich in kurzen, meist deklamatorischen Phrasen, seine Erregung in einer Reihe leidenschaftlicher Orchesterfiguren; die ganze Szene ist mit den Augen des Dramatikers geschaut. Noch stärker tritt dies bei dem letzten Chor (15) zutage. Seinen Kern bildet ein Lobgesang des befreiten Volkes, dazwischen hinein singt Judith von dem Siege über die Feinde. Während sie nun aber ihrem Gefühle einen seltsam erregten, subjektiven Ausdruck gibt, bedient sich der Chor der alten geheiligten Sprache der Kirche mit der Melodie:

      Es ist der zweiteilige Tropus des neunten Kirchentones (tonus peregrinus) zum Psalm "In exitu Israel de Aegypto", derselbe Cantus firmus, der im Requiem zu den Worten "Te decet hymnus" angewendet worden ist65. Viermal wird diese Melodie in immer neuem, wenn auch homophonem Satze, und namentlich mit stets anderer Orchesterbegleitung wiederholt, das vierte Mal, im zweiten Teil etwas verändert, sogar im Tenor. Das Vorbild dazu gab wohl wiederum Hasse, der im Pilgerchor seiner "Santa Elena" den Choral "O Lamm Gottes" verwendet66. Bedeutend vertieft wird die Wirkung dieser Weise aber durch den Gegensatz zu den Zwischengesängen Judiths. Hier strömt die subjektive Empfindung frei dahin, die Melodik neigt sich dem deklamatorischen Stil zu und ergeht sich meist in knappen Phrasen, kurz, der Text ist es, der die Form bestimmt, deshalb tritt das Orchester auch auffallend zurück. So vereinigt Mozart schon in diesem Jugendwerk in ganz eigentümlicher Weise kirchliche Objektivität und subjektiven Gefühlsausdruck. Es sind die ersten Spuren des Geistes, der später das Requiem beherrscht und von der opernhaften Art derartiger Jubelchöre im damaligen Oratorium grell absticht. Freilich kommt auch diese in dem raschen Schlußsatze noch zu ihrem Rechte.

      Auch dem Secco hat Mozart nach Hasses allerdings nicht voll erreichtem Vorbild wieder erhöhte Sorgfalt zugewandt, obwohl ihm der Dichter mitunter, wie bei Achiors Abriß der jüdischen Geschichte, keine leichten Aufgaben stellte. Sehr bezeichnend dafür ist der große Disput, den Ozia und Achior zu Beginn des zweiten Teils über Polytheismus und Monotheismus führen. Er vollzieht sich sehr lebendig und anschaulich in lauter kleinen, scharf zugespitzten Phrasen, hinter denen man fast die Gebärden der beiden zu sehen glaubt. Der eigentliche Höhepunkt der Diskussion67 wird durch einen lebhaften Baßgang eingeführt; ein dreimaliger Baßgang tritt ferner auf, wenn Achior erstmals schwankt, sich aber doch noch nicht für überwunden erklären kann, dabei ist auch die Sequenz68 in Achiors Deklamation von guter Wirkung. Auch im einzelnen weist die Deklamation manchen geistvollen Zug auf, wie z.B. Achiors "Io repugnanza alcuna nel numero non veggo", vor allem aber ist der dozierende Ton Ozias gut getroffen69.

      Die beiden begleiteten Rezitative der Judith sind motivisch einheitlicher als die der Opern, was wohl ebenfalls Hasse zu verdanken ist; sie lassen aber auch zugleich mit ihrem teilweise sehr zugespitzten persönlichen Gepräge Judith als eine Vorgängerin der Giunia im "Silla" erscheinen. Judiths langer Bericht über ihre Tat, eine der spannendsten Szenen Metastasios, hat bei Mozart ein Stück von ganz besonderer Art ins Leben gerufen. Statt des sonst bei ihm üblichen, bunten Motivwechsels erscheinen hier in der Hauptsache lange Streicherakkorde, meist in hoher Lage, die der Sprecherin etwas Entrücktes verleihen. Um so schlagender wirken die kleinen eingestreuten Motive, wie z.B. gleich am Anfang die herrische Frage des Holofernes, dann das unheimliche, katzenartige Aufstehen Judiths (vor "sorgo") und das Zucken des Leichnams ("balzar mi sento").

      Von den Arien ist im Vergleich mit den Opern nur wenig zu sagen. Sie sind formal sorgfältiger und vor allem instrumental reicher und selbständiger bedacht. Mit drei Ausnahmen (2, 12, 13) verlangen sämtliche Nummern mindestens zweierlei Bläser.

      Die Arienmittelteile weisen nach wie vor ein ziemlich altmodisches Gepräge auf, dagegen tritt in den Hauptteilen wenigstens hie und da das Bestreben zutage, die in den Opern gewöhnlich noch rein musikalisch gedachten Themengegensätze70 poetischen Zwecken dienstbar zu machen. Man vergleiche dazu das merkwürdige Synkopenthema in Moll in Judiths Arie (7), das übrigens in Dur an der gleichen Stelle schon in ihrer ersten Arie (5) auftritt, ein Nachhall jener motivischen Einheitsbestrebungen, die wir schon in den Messen getroffen haben. Inhaltlich sind allerdings gerade diese beiden Arien der Hauptperson – es sind bezeichnenderweise Gleichnisarien – ziemlich frostig geraten, und nicht viel anders steht es mit denen des Ozia. Sobald jedoch der Boden des Moralisierens verlassen wird, in den Szenen, in denen die beiden zum Volke sprechen (4, 15), erhebt sich auch Mozarts Gestaltungskraft zu bedeutenderer Höhe. Wie eindringlich und wahr wirkt in Ozias Szene mit dem Volke (4) jedesmal der Choreinsatz, der mit wenig Takten dem Gesange des Solisten eine ganz ungeahnte Steigerung verleiht! Hier sowie in der bereits erwähnten Schlußszene hat Mozart die italienischen Vorbilder nicht allein erreicht, sondern um ein gutes Teil übertroffen. Auch der homophone und wesentlich deklamatorisch gehaltene Schlußchor des ersten Teils (8) ist ein höchst charaktervolles Stück, an dessen Wirkung namentlich auch das Orchester mit seiner herben, rhythmisch straffen Sprache beteiligt ist. Nicht allein das Staunen über Judiths Entschluß kommt darin zum Ausdruck, es ist als ob die Heldentat des Weibes auch in dem verzagten Volke Mut und Kraft aufs neue entzündete.

      Von den Arien der Sekundarier ist die der Amital (13) wegen ihres Seitenthemas im Adagio und ihrer schönen, zerknirschten Coda mit Orgelpunkt bemerkenswert, dagegen schildert Achior, der Vertreter der im Oratorium zugelassenen Baßstimme71, den Unhold Holofernes in einer von jenen dem 18. Jahrhundert so geläufigen, polternden Baßarien (6), die mitunter bis an die Grenze des Humoristischen gehen; sogar Solotrompeten schreibt Mozart hier vor.

      Es ist ein überaus buntes Bild, das diese dramatischen Versuche Mozarts aus seiner Italienerzeit vor unserem Auge entrollen. Biographisch sind sie von höchstem Werte. Sie legen ein weiteres glänzendes Zeugnis ab von der wunderbaren Fähigkeit des Knaben, sich neuen Stilarten sofort anzupassen. Man vergleiche nur einmal den "Mitridate" mit dem "Ascanio" und der "Betulia": sofort ist ihm klar, was die drei sonst so verwandten Gattungen der Oper, der Serenade und des Oratoriums stilistisch voneinander unterscheidet. Aber auch der Mensch und Künstler macht während dieser drei Jahre eine entscheidende Wandlung durch: der Knabe wird zum Manne, und nichts ist genußreicher und menschlich ergreifender,


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