Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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jede Spur selbständiger kontrapunktischer Stimmführung fehlt. Das Ganze ist vorwiegend deklamatorisch gehalten und ganz unverkennbar der kirchlichen Psalmodie nachgebildet, bei der angehängten Doxologie tritt die alte liturgische Gloriamelodie unverhüllt auf. Die Harmonie ist ebenso einfach als ausdrucksvoll; es herrscht ein echt kirchlicher Gebetston in dem Stück, der unmittelbar zum Herzen spricht; schön ist namentlich der Aufschwung des Gloria und das allmähliche Zurücksinken in den stillen Ernst des Anfangs zum Schluß. Endlich dürfte auch die Motette Justum deduxit dominus (K.-V. 326, S. III. 29) ihrem ganzen Stile nach in diese Zeit gehören.

      Zu den kirchlichen Kompositionen zählen endlich auch noch die Sonaten für zwei Violinen, Baß und begleitende Orgel, deren Reihe sich in Mozarts Schaffen bis in das Jahr 1780 hineinzieht. Aus Mozarts Brief an Padre Martini (S. 251) wissen wir, daß in Salzburg zwischen Epistel und Evangelium eine Sonate vorgetragen wurde, bis Erzbischof Hieronymus im Jahre 1783 ein Graduale an ihre Stelle setzte. Wir haben also hier dem Brauche nach einen Absenker der alten Kirchensonate ("sonata da chiesa" im Unterschied von der "sonata da camera") vor uns, für die uns aus der älteren Zeit klassische Beispiele von Corelli, Dall' Abaco u.a. vorliegen. Freilich zeigen Mozarts Beiträge, daß der alte kirchliche Ernst aus dieser Gattung längst verschwunden war. Sie sind weder der Stimmung nach feierlich oder andächtig, noch von strengerer Schreibart. Der Schwerpunkt liegt auf den Saiteninstrumenten, der Orgel fällt wie in alter Zeit nur die Rolle des die Harmonie stützenden und füllenden Begleiters zu. Wo sie selbständiger bedacht erscheint, hat Mozart eben nur ihren Part sorgfältiger "ausgesetzt", von einer obligaten Rolle ist auch hier keine Rede.

      Mozarts erstes datiertes Werk stammt aus dem Jahre 1775, indessen hat die neueste Forschung, teils aus dem Charakter der Handschrift und der Wahl des Notenformats, das für die Bestimmung der Werke eine große, wenn auch nicht immer ausschlaggebende Bedeutung besitzt, teils aus stilistischen Gründen mit ziemlicher Sicherheit nachgewiesen, daß die fünf Sonaten (K.-V. 67–69 und 144–145, S. XXIII. 1–5) in die hier behandelte Periode fallen61, und zwar die drei ersten in ihre erste, die zwei folgenden in ihre zweite Hälfte62. Gemeinsam ist ihnen allen die Einsätzigkeit, in Form des ersten Sonatensatzes mit einer aus zwei gegensätzlichen Themen und Schlußgruppe bestehenden Themengruppe, ganz kurzer Durchführung und zuerst getreuer, später veränderter Reprise. Ihrem Charakter nach passen sie durchaus in das Bild der damaligen Kirchenmusik: die Thematik ist teils pomphaft rhetorisch im Sinne der neapolitanischen Opernsinfonie, teils anmutig und liebenswürdig, in beiden Fällen aber unkirchlich und entspricht durchaus der landläufigen Kammermusik der Zeit. Auch speziell Mozartsche Züge sind verhältnismäßig selten, wie z.B. die Schlußgruppe in K.-V. 145 mit ihrem Gegensatz von unwirschem Aufbrausen und kleinlautem Rückzug:

      Für die Beurteilung von Mozarts Salzburger Kirchenmusik im allgemeinen ist zu berücksichtigen, daß ihm im Gegensatz zu den meisten seiner Zeitgenossen ein wohlgeschulter, in langjähriger Tradition ausgebildeter Chor zur Verfügung stand. Dieser Tatsache, aus der schon Eberlin beträchtlichen Nutzen gezogen hatte, haben wir es zu verdanken, daß auch Mozart, so große Zugeständnisse er dem Sologesang und der Instrumentalmusik auch machte, doch die alte herrschende Stellung des Chores in der Kirchenmusik nicht angetastet hat. Hätte er für einen damaligen Durchschnittschor mit einer oder zwei Sopranstimmen schreiben müssen, so hätten auch in seinen Messen usw. Solisten und Instrumente unfehlbar das Heft an sich gerissen. So aber hatte er einen Chor vor sich, der den höchsten Ansprüchen gewachsen war. Diese Gunst der Umstände kam ihm später in Mannheim deutlich zum Bewußtsein, denn er schreibt am 4. November 1777 dem Vater, er getraue sich dort keine seiner Messen aufzuführen, da die Gesangsstimmen über alle Maßen schlecht seien, und man deshalb hauptsächlich für die Instrumente schreiben müsse63. Freilich ist Jahn im Irrtum, wenn er bemerkt, Mozart habe unter diesen Umständen von Anfang an durchaus gesangsmäßige Chorsätze geschrieben64. Das trifft nur sehr bedingt zu, vor allem auf die unter Padre Martinis Einfluß entstandenen Werke. Im allgemeinen jedoch ist sein Gesangsstil, wie in den weltlichen, so auch in den kirchlichen Werken stark instrumental gefärbt, und das hat seinen natürlichen Grund darin, daß Mozarts Hauptgebiet auch jetzt noch nach wie vor die Instrumentalmusik war. Gewiß dürfen seine eigenen Gesangsleistungen nicht unterschätzt werden, aber trotzdem war ihre Wirkung nicht so stark, daß sie den instrumentalen Strömungen seiner Jugendjahre das Gleichgewicht gehalten hätten. Die Anschauung von Mozart als dem geborenen Gesangsgenie ist eines jener von der Romantik aufgebrachten, idealistischen Märchen, die vor den Tatsachen nicht standhalten; der Ausgleich begann sich zwar damals anzubahnen, vollendet wurde er aber erst in späterer Zeit.

      Die Solostimmen sind, genau wie in der Oper, mit Rücksicht auf die vorhandenen Kräfte behandelt. Frau Haydn und Meißner, neben denen auch Maria Anna Braunhofer und Jos. Spitzeder als Solisten genannt werden, besaßen eine nicht verächtliche virtuosenmäßige Bildung, leisteten jedoch nichts Außerordentliches, das den Komponisten zu neuen und eigentümlichen Schöpfungen veranlaßt hätte. Ihre Partien sind bis in die Verzierungen hinein ausgeschrieben und nur die Schlußkadenzen ihrer freien Ausführung überlassen. Auch die dynamischen Vorschriften sind häufiger als in den früheren Werken.

      Über die Ausführung des Akkompagnements durch die Orgel gibt L. Mozarts Bericht (S. 245) Auskunft. Sein Hauptträger war die Seitenorgel am Altar rechter Hand, wo die Solisten und Bässe standen; wenn es "völlig ging", d.h. wenn der Chor hinzutrat, spielte auch noch die untere Chororgel, die einen Violone (Kontrabaß) zur Seite hatte, mit. Die große Orgel dagegen trat nur bei festlichen Gelegenheiten zum Präludieren, d.h. als Soloinstrument in Tätigkeit. Bei modernen Aufführungen, wo für gewöhnlich keine zwei Orgeln verfügbar sind, wird man deshalb die Orgel den Chören vorbehalten und das durchgehende Akkompagnement dem Harmonium oder Cembalo anvertrauen. Die Baßstimme ist in allen Kirchenwerken mit Ausnahme der Sonaten, mitunter von Leopolds Hand, sorgfältig beziffert. Zur Unterstützung des Chores dienten drei vom Stadttürmer gestellte Posaunen, die in den Tuttisätzen die drei unteren Chorstimmen verstärkten; in den Partituren sind ihre Stimmen meist gar nicht vermerkt, sondern nur die Stellen, wo sie zu schweigen haben. Dieser feierliche Posaunenklang war ein uralter, bis in die Jugendzeit der Instrumentalmusik zurückreichender Brauch. Solistisch treten die Posaunen bei Mozart dagegen nur sehr selten hervor.

      Trompeten und Pauken pflegten beim feierlichen Hochamt in Tätigkeit zu treten. Mozart kennt gleich seinem Vater sowohl das alte Clarino-Blasen, das uns von Bach her bekannt ist, als die gewöhnliche und die Prinzipaltrompete, deren Tonvorrat sich auf die Töne egc beschränkt65. Der Bericht Leopolds, daß in der Domkirche Oboe und Flöte selten, das Horn aber gar nie gehört worden sei, trifft bereits auf Wolfgangs Zeit nicht mehr zu. Je näher er dem modernsten, opernhaften Kirchenstil rückt, desto häufiger treten auch diese Instrumente auf66, wenn auch zunächst noch zurückhaltender behandelt als in den Opern und vor allem nicht mit Soli bedacht. Klarinetten fehlen noch ganz, dagegen erwähnt bereits Leopold vier Fagottisten, die nach altem Brauche in Sätzen mit Bläserbesetzung den Baß verstärkten. Ihre große Anzahl gemahnt wiederum an die alte chorische Bläserbesetzung und an das gegenüber dem heutigen Brauch merklich verschiedene Verhältnis von Streichern und Bläsern. Auch in der Behandlung der Streicher nähert sich Mozart mehr und mehr dem modernen Opernstil: die archaisierenden Stücke, wie die Marienlitanei, halten sich noch an die alte Dreistimmigkeit, wobei sich die beiden Violinen häufig kreuzen und die Bratschen mit den Bässen gehen, die übrigen behandeln die Viola mit steigender Selbständigkeit. Die – übrigens in schwächerem Maße auch bei Leopold vorhandene – Vorliebe für rauschende und schwirrende Geigenbegleitungen67, die den Eindruck besonderer Fülle hervorrufen, mag durch die Raumverhältnisse des Domes begünstigt worden sein, sie gehören aber grundsätzlich doch auch zum theatralischen Kirchenstil der Neapolitaner. Einen sehr wichtigen Bericht über die Ausführung einer Messe M. Haydns enthält ein Brief Leopolds vom 1. November 177768, wo es heißt:

       Mir gefiel alles außerordentlich wohl, weil 6 Oboisten, 3 Contrabaß, 2 Fagötte und der Kastrat ... dabei waren. Ferlendis und Sandmayr hatten die Solooboen. Der Oboist beim Lodron, ein gewisser Student, dann der Durnermeister69 und


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