Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
zeigt sich auch hier ein merkwürdiges Schwanken zwischen norddeutschen und österreichischen, speziell Wiener Grundsätzen. Die ersten beiden Sonaten haben Finales in Sonatenform, die letzte nach dem Vorbild von Georg Christoph Wagenseils "Divertimenti" für Klavier ein Menuett mit einem Trio in Moll, das Mozart, wie auch sonst häufig, dem Hauptsatz thematisch angliedert46. Fortschrittlich ist endlich auch die Technik dieser Sonaten. Sie steht mit ihrem spielfreudigen Glanz, dem Überschlagen der Hände, den Oktavenbässen und dem wirkungsvollen Registerwechsel nicht allein auf der vollen Höhe D. Scarlattischer Technik, sondern läßt daneben auch neuere, Ph. Em. Bachsche Einflüsse erkennen. Dahin gehört besonders die Verzierungskunst im weitesten Sinne mit ihren Seufzern, Tonumspielungen, Akkordbrechungen47 u. dgl. Man hat gerade auf diese Manieren hin Mozart auch schon der Mannheimer Schule angliedern wollen48. Allein ganz abgesehen davon, daß sich die Mozartsche Anwendung auch aus Bach belegen läßt, können ihm, gleichwie Johann Stamitz selbst, die Anregungen von einer ganz anderen Seite gekommen sein: von der italienischen Buffooper. Gewiß beweisen einzelne Anklänge in diesen Sonaten, daß Mozart die Mannheimer Kunst gekannt hat49. Aber das sind Äußerlichkeiten; von ihrem Hauptmerkmal, dem modernen, revolutionären Geist ist er nicht berührt. Kann man somit trotz aller fortschrittlichen Züge L. Mozart auf diese Sonaten hin gewiß nicht zu den damals Modernsten rechnen, so zeichnen sie sich doch durch einen eigentümlichen, charaktervollen Ton aus, der die aufs Ganze gehende, oft bis zum Eigensinn zähe Art des Mannes getreu widerspiegelt. Sie nehmen von allen seinen Intrumentalwerken, die wir kennen, den höchsten Gedankenflug; ja selbst tief leidenschaftliche und finstere Züge fehlen nicht. Sie offenbaren sich besonders in den plötzlich auftretenden Mollpartien. Derartige überraschende Schatten über ein heiteres Bild gleiten zu lassen, hatte er von Wagenseil und dieser wiederum von Scarlatti gelernt. Während sich bei diesen aber die Szene meist bald wieder aufhellt, verweilt Mozart gerne länger bei derartigen pessimistischen Anwandlungen – ein Zug, der uns nicht allein bei ihm selbst, sondern auch bei seinem großen Sohne noch öfter begegnen wird. Wohlberechnet ist aber auch der Gegensatz zwischen den ernsten und kräftigen ersten Allegros und den von österreichischem Geiste erfüllten Schlußsätzen; in den langsamen Mittelsätzen weiß uns der Komponist freilich am wenigsten Eigenes zu sagen.
Eine willkommene Ergänzung dieses Bildes bieten die sechs Divertimenti für zwei Violinen und Violoncell50, die vermutlich zusammen im Jahre 1760 entstanden sind. Auch sie halten an der Dreisätzigkeit fest. Dem Geiste nach sind sie richtige Divertimenti, d.h. Unterhaltungsmusik im guten Sinne des Wortes, leichtgeschürzt in der Form, volkstümlich im Ton, voll flotter Liebenswürdigkeit und gewürzt durch einen eigentümlichen, mitunter recht mürrischen Humor. Freilich fehlt es daneben auch nicht an trüben, ja pessimistischen Regungen. Mit Ausnahme des ersten Stücks, dessen Schlußmenuett aber dafür ein sehr nachdenkliches Trio in g-Moll aufweist, stehen die langsamen Sätze sämtlich in der Molltonart und auch in den Ecksätzen treten gelegentlich blitzartige Ausbrüche der Leidenschaft an Stellen auf, wo man sie nicht vermutet51. Aber auch Züge inniger Träumerei, die an den Sohn gemahnen, tauchen auf52:
Der innere Bau der Ecksätze ist derselbe wie in den Sonaten, nur ist alles weit knapper gehalten53. Dank dem reizvollen Wechselspiel der beiden nach älterer Art sich noch häufig kreuzenden Violinen stellen die Stücke dem Vortrag äußerst dankbare Aufgaben und sind der Wiederbelebung wohl wert. Mozarts übrige Kammermusik erreicht die Höhe dieser Divertimenti nicht. Seine "Sonate a tre" verraten in Erfindung und Arbeit die Erstlingswerke, in den eigentlichen Trios mit obligatem Klavier dagegen steckt der Triostil noch allzu tief in den Kinderschuhen, obgleich sie die Form weit fortschrittlicher behandeln und auch im einzelnen die Hand ihres Schöpfers deutlich erkennen lassen54.
Ziemlich ungleich ist der Wert von L. Mozarts Konzerten und Sinfonien, die häufig bloßen Gelegenheitscharakter tragen. Besonders deutlich tritt er in den programmatischen Stücken zutage, die wegen ihrer Sonderstellung seinen Namen lange Zeit allein lebendig erhalten haben: in der "Schlittenfahrt", der "Sinfonia burlesca", der "Pastoralsinfonie", dem "Divertimento militare" und der "Bauernhochzeit". Heute wissen wir, daß er damit keineswegs allein stand, daß vielmehr, dank dem französischen Bildungsideal, gerade zu seiner Zeit die Programmusik eine große Beliebtheit bei Publikum und Künstlern genoß. Man braucht nicht erst auf die älteren, wie Froberger, Kerll, Kuhnau und Georg Muffat zurückzugehen; noch später schrieben, von den ständigen Jagd- und Seesturmmusiken abgesehen, Telemann seinen "Don Quixote", Dittersdorf seine "Metamorphosen", Mysliweczek seine Sinfonien über die einzelnen Monate, das Seitenstück zu L. Mozarts Hornwerkkompositionen; vor allem aber hat der junge J. Haydn seine sinfonische Tätigkeit mit derartigen Programmwerken begonnen. Ihre Verwandtschaft mit den dramatischen Pantomimenmusiken, wie sie damals im Süden Meister wie Deller, Rudolph, Starzer, Toeschi und auch Gluck (Don Juan) schrieben55, liegt auf der Hand, und tatsächlich weisen auch bei L. Mozart die Überschriften der "Sinfonia burlesca" (Signor Pantalone, Harlequino) das Werk in diese Reihe. In den anderen Stücken unterscheidet er sich von seinen Genossen hauptsächlich dadurch, daß er statt aller höheren Probleme aus Natur, Sage und Geschichte, gleichwie sein Landsmann Schubart in seinen Liedern, keck hineingreift ins Alltagsleben des niederen Volkes. Handfeste Bauern, fröhliche Jäger, Soldaten mit Trommel- und Pfeifenklang, Postillone, eine muntere Schlittenpartie, das waren Dinge nach seinem Herzen, und vor allem vergißt er dabei auch die derbkomischen Seiten nicht, wie "Das vor Kälte zitternde Frauenzimmer" in der Schlittenfahrt und die "Bedauernis des Jungfernkranzes" in der Bauernhochzeit beweisen. Dem Realismus der Stoffe entsprechen die Mittel: die "Bauernhochzeit" verlangt außer dem ländlichen dreistimmigen Saitenorchester und den Bläsern noch Dudelsack und Radleier, die Pastoralsinfonie ein Kuhhorn, die Schlittenfahrt fünf abgestimmte Glöckchen; die Soldatenmusik stellt dem Saitenorchester ein zweites von Hörnern, Trompeten, Schwegelpfeifen und Trommel gegenüber. Aber auch vor außermusikalischen Wirkungen, wie dem Peitschengeknall in der "Schlittenfahrt" und den Pistolenschüssen in der "Bauernhochzeit" schreckt Mozart nicht zurück. Den stärksten Realismus weist auch in der Ausführung die "Bauernhochzeit" auf. Da wimmelt es von kecken, oft an den Gassenhauer streifenden Volksmelodien, Dudelsackbässen und Juchzern, aber auch parodistische Seitenhiebe auf die Bauernmusik selbst, im Stile von Wolfgangs "Dorfmusikanten" fehlen nicht56. Der Divertimentocharakter ist allen diesen Stücken, von denen nur die Jagd- und Soldatenmusik einen höheren künstlerischen Anlauf nehmen, deutlich aufgeprägt. Auch die übrigen Sinfonien zeigen zur Genüge, wie sehr die Grenzen beider Arten damals noch ineinanderflossen. Die Zahl ihrer Sätze schwankt zwischen zwei und sechs, außerdem verraten Märsche und Tanzsätze verschiedener Art die Nähe der Serenadenmusik. Man sieht, L. Mozart wollte mit seinen Sinfonien keineswegs höher hinaus als mit seinen Divertimenti. Auch in seiner letzten Sinfonie in D-Dur57 nähert er sich zwar mit Rücksicht auf den Geschmack des römischen Publikums auffallend dem italienischen Stil, ist sorgfältiger und breiter in der Ausführung und bringt außerdem noch merkliche Anklänge an die Art des Sohnes58, aber der Kreis der Gesellschaftsmusik wird auch jetzt nicht überschritten. Ja, es zeigt sich ganz deutlich, daß L. Mozart auch in der Praxis ein Anhänger des "Popularen" war59. Am unmittelbarsten wirkt er darum in den Sätzen mit Tanzcharakter, aber auch in den übrigen sorgt er durch Einführung volkstümlicher Themen dafür, daß das Publikum auf seine Rechnung kommt60. Am rückständigsten sind in diesen Sinfonien die Durchführungen61, dagegen zeigt sich, in einigen wenigstens, das Bestreben, Haupt- und Seitenthema in fühlbaren Gegensatz zu bringen62, auch sind die Reprisen nach Wiener Art meist vollständig, manchmal sogar erweitert.
Als Ganzes betrachtet sind L. Mozarts Sinfonien Erzeugnisse einer Übergangskunst, in der jedoch den älteren Stilelementen mehr Platz vergönnt ist als den neuen. Gewiß hat die Mannheimer Sinfonik auch hier ihre Schatten hereingeworfen, aber es handelt sich dabei lediglich um einzelne äußerliche Anklänge und Manieren63, vom eigentlichen Geist Stamitzens ist ebensowenig zu verspüren wie in den Sonaten. Auch in der Besetzung zeigt sich der Charakter der Übergangszeit: die Sinfonien di camera deuten durch ihre Bezifferung noch auf ein begleitendes Cembalo und auf solistische Ausführung hin64,