Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert
in der Musik für Lieblingsspiele hatte: auf diese Frage ist nichts zu beantworten: denn sobald er mit der Musik sich abzugeben anfing, waren alle seine Sinne für alle übrigen Geschäfte soviel als todt94, und selbst die Kindereyen und Tändelspiele mußten, wenn sie für ihn interessant seyn sollten, von der Musik begleitet werden; wenn wir, Er und Ich, Spielzeuge zum Tändeln von einem Zimmer ins andere trugen, mußte allemal derjenige von uns, so leer ging, einen Marsch dazu singen und geigen. Vor dieser Zeit aber, eh er die Musik anfieng, war er für jede Kinderey, die mit ein bischen Witz gewürzt war, so empfänglich, daß er darüber Essen und Trinken und alles andere vergessen konnte. Ich ward ihm daher, weil ich, wie Sie wissen, mich mit ihm abgab, so äußerst lieb, daß er mich oft zehnmal an einem Tage fragte, ob ich ihn lieb hätte und wenn ich es zuweilen, auch nur zum Spaß verneinte, stunden ihm gleich die hellichten Zähren im Auge, so zärtlich und so wohlwollend war sein gutes Herzchen."
"Zweite Frage, wie er sich als Kind gegen die Großen benahm, wenn sie sein Talent und Kunst in der Musik bewunderten?"
"Wahrhaftig, da verrieth er nichts weniger als Stolz oder Ehrfurcht95: denn diese hätte er nie besser befriedigen können, als wenn er Leuten, die die Musik wenig oder gar nicht verstanden, vorgespielt hätte, aber er wollte nie spielen, außer seine Zuhörer waren große Musikkenner, oder man mußte ihn wenigstens betrügen, und sie dafür ausgeben."
"Dritte Frage, welche wissenschaftliche Beschäftigung liebte er am meisten?"
"Antw. Hierinfalls ließ er sich leiten, es war ihm fast Einerley, was man ihm zu lernen gab, er wollte nur lernen und ließ die Wahl seinem innigst geliebten Papa96, welches Feld er ihm zu bearbeiten auftrug, es schien, als hätte er es verstanden, daß er in der Welt keinen Lehrmeister noch minder Erzieher, wie seinen unvergeßlichen Herrn Vater hätte finden können."
"Was man ihm immer zu lernen gab, dem hieng er so ganz an, daß er alles Übrige, auch sogar die Musik, auf die Seite setzte, z.B. als er Rechnen lernte, war Tisch, Sessel, Wände, ja sogar der Fußboden voll Ziffern mit der Kreide überschrieben"97.
"Vierte Frage, was er für Eigenschaften, Maximen, Tagesordnung, Eigenheiten, Neigung zum Guten oder Bösen hatte?"
"Antw. Er war voll Feuer, seine Neigung hieng jedem Gegenstand sehr leicht an; ich denke, daß er im Ermangelungsfalle einer so vortheilhaft guten Erziehung, wie er hatte, der ruchloseste Bösewicht hätte werden können, so empfänglich war er für jeden Reitz, dessen Güte oder Schädlichkeit er zu prüfen noch nicht im Stande war."
"Einige sonderbare Wunderwürdigkeiten von seinem vier- bis fünfjährigen Alter, auf deren Wahrhaftigkeit ich schwören könnte."
"Einmal ging ich mit Hrn. Papa nach dem Donnerstagamt zu Ihnen nach Hause, wir trafen den vierjährigen Wolfgangerl in der Beschäftigung mit der Feder an."
"Papa: was machst Du?"
"Wolfg.: ein Concert fürs Clavier, der erste Theil ist bald fertig."
"Papa: laß sehen."
"Wolfg.: ist noch nicht fertig."
"Papa: laß sehen, daß muß was sauberes seyn."
"Der Papa nahm ihms weg, und zeigte mir ein Geschmiere von Noten, die meistentheils über ausgewischte Dintendolken geschrieben waren (NB. der kleine Wolfgangerl tauchte die Feder aus Unverstand allemal bis auf den Grund des Dintenfasses ein, daher mußte ihm, sobald er damit aufs Papier kam, ein Dintendolken entfallen, aber er war gleich entschlossen, fuhr mit der flachen Hand darüber hin, und wischte es auseinander, und schrieb wieder darauf fort), wir lachten anfänglich über dieses scheinbare galimathias, aber der Papa fing hernach seine Betrachtungen über die Hauptsache, über die Noten, über die composition an, er hing lange Zeit steif mit seiner Betrachtung an dem Blatte, endlich fielen zwei Thränen, Thränen der Bewunderung und Freude aus seinen Augen. Sehen Sie, Hr. Schachtner, sagte er, wie alles richtig und regelmäßig gesetzt ist, nur ists nicht zu brauchen, weil es so außerordentlich schwer ist, daß es kein Mensch zu spielen im Stande wäre. Der Wolfgangerl fiel ein: Drum ists ein Concert, man muß so lange exercieren, bis man es treffen kann, sehen Sie, so muß es gehn. Er spielte, konnte aber auch just soviel herausbringen, daß wir kennen konnten, wo er aus wollte. Er hatte damals den Begriff, daß Concert spielen und Mirakel wirken einerley sein müsse."
"Noch Eins."
"Gnädige Frau! Sie wissen sich zu erinnern, daß ich eine sehr gute Geige habe, die weiland Wolfgangerl wegen seinem sanften und vollen Ton immer Buttergeige nannte. Einmals, bald nachdem Sie von Wien zurückkamen [Anfang 1763], geigte er darauf und konnte meine Geige nicht genug loben; nach ein oder zween Tagen kam ich wieder ihn zu besuchen, und traf ihn als er sich eben mit seiner eigenen Geige unterhielt an, sogleich sprach er: Was macht Ihre Buttergeige? geigte dann wieder in seiner Phantasie fort, endlich dachte er ein bischen nach, und sagte zu mir: Hr. Schachtner, Ihre Geige ist um einen halben Viertelton tiefer gestimmt als meine da, wenn Sie sie doch so gestimmt ließen, wie sie war, als ich das letztemal daraufspielte. Ich lachte darüber, aber Papa, der das außerordentliche Tönegefühl und Gedächtniß dieses Kinds kannte, bat mich meine Geige zu hohlen, und zu sehen, ob er recht hätte. Ich thats, und richtig wars98."
"Einige Zeit vor diesem, die nächsten Tage, als Sie von Wien zurückkamen, und Wolfgang eine kleine Geige, die er als Geschenk zu Wien kriegte99, mitbrachte, kam unser ehemalige sehr gute Geiger Hr. Wentzl seel., der ein Anfänger in der Composition war, er brachte 6 Trio mit, die er in Abwesenheit des Hrn. Papa verfertigt hatte, und bat Hrn. Papa um seine Erinnerung hierüber. Wir spielten diese Trio, und der Papa spielte mit der Viola den Baß, der Wentzl das erste Violin, und ich sollte das zweite spielen. Wolfgangerl bat, daß er das zweite Violin spielen dürfte, der Papa aber verwieß ihm seine närrische Bitte, weil er noch nicht die geringste Anweisung in der Violin hatte, und der Papa glaubte, daß er nicht im mindesten zu leisten im Stande wäre. Wolfgang sagte: Um ein zweites Violin zu spielen braucht man es ja wohl nicht erst gelernt zu haben, und als Papa darauf bestand, daß er gleich fortgehen und uns nicht weiter beunruhigen sollte, fing Wolfgang an bitterlich zu weinen und trollte sich mit seinem Geigerl weg. Ich bat, daß man ihn mit mir möchte spielen lassen; endlich sagte Papa: Geig mit Hrn. Schachtner, aber so stille, daß man dich nicht hört, sonst mußt Du fort. Das geschah, Wolfgang geigte mit mir. Bald bemerkte ich mit Erstaunen, daß ich da ganz überflüssig seye; ich legte still meine Geige weg und sah Ihren Hrn. Papa an, dem bei dieser Scene die Thränen der Bewunderung und des Trostes über die Wangen rollten; und so spielte er alle 6 Trio. Als wir fertig waren, wurde Wolfgang durch unsern Beyfall so kühn, daß er behauptete auch das erste Violin spielen zu können. Wir machten zum Spaß einen Versuch, und wir mußten uns fast zu Tode lachen, als er auch dieß, wiewohl mit lauter unrechten und unregelmäßigen Applicaturen doch so spielte, daß er doch nie ganz stecken blieb."
"Zum Beschluß. Von Zärtlichkeit und Feinheit seines Gehörs."
"Fast bis in sein zehntes Jahr hatte er eine unbezwingliche Furcht vor der Trompete, wenn sie allein, ohne andere Musik geblasen wurde; wenn man ihm eine Trompete nur vorhielt, war es ebensoviel als wenn man ihm eine geladene Pistole aufs Herz setzte. Papa wollte ihm diese kindische Furcht benehmen, und befahl mir einmal trotz seines Weigerns ihm entgegen zu blasen, aber mein Gott! hätte ich mich nicht dazu verleiten lassen. Wolfgangerl hörte kaum den schmetternden Ton, ward er bleich und begann zur Erde zu sinken, und hätte ich länger angehalten, er hätte sicher das Fraise (Krämpfe) bekommen."
"Dieses ist beyläufig womit ich auf die gestellten Fragen dienen kann, verzeihen Sie mir mein schlechtes Geschmier, ich bin geschlagen genug, daß ichs nicht besser kann. Ich bin mit geziemend schuldigster Hochschätzung und Ehrfurcht
Salzburg den 24. April 1792
Euer Gnaden
Ergebenster Diener
Andreas Schachtner
Hochfürstl. Hoftrompeter."
Ein