Wolfgang Amadeus Mozart. Hermann Abert

Wolfgang Amadeus Mozart - Hermann  Abert


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Schurig gleichfalls eine merkwürdige Abneigung hat, bei L. Mozart, der hier als ein beschränkter, eigensinniger Philister dargestellt wird, nachdem er bei Jahn und seinem Gefolge noch die Rolle des idealen Vaters eines großen Mannes gespielt hatte. Auch hier wird ein an und für sich richtiger Gedanke maßlos übertrieben, und vor allem fehlt der bei Jahn wie bei L. Mozart äußerst dankbare Versuch, die Geistesart beider aus ihrer Zeit und deren geistigen Strömungen abzuleiten. Das hätte tiefer in die hier vorliegenden Probleme hineingeführt und zugleich vor allzustarker Subjektivität geschützt. Eines hat Schurig jedenfalls mit L. Mozart gemein, nämlich den ausgeprägten rationalistischen Zug, der alles und jedes auf eine bestimmte, klare und möglichst einfache Formel zu bringen und, wo nur immer möglich, scharf zu typisieren sucht; daher erklärt sich auch seine Vorliebe für die beiden Franzosen. Natürlich ist auch seine Beurteilung Wolfgang Mozarts auf diesen Ton gestimmt. Es ist sehr lehrreich, das romantische Mozartbild mit diesem modernen zu vergleichen: jenes hat das Bestreben, alles, auch die unbedeutenden Züge, zu idealisieren und ins Außergewöhnliche zu erheben, dieses sucht im Gegenteil alles auf den Boden des Greifbaren, Faßlichen, kurz der Wirklichkeit zurückzuführen und die frühere Heroenverehrung gründlich zu widerlegen. Mozarts äußere Schicksale und zum großen Teil auch sein Charakter erscheinen hier unter dem Gesichtspunkt des Alltäglichen, seine Bildung mehr als bescheiden und überhaupt sein Ideenkreis so einfach und primitiv wie nur möglich. Eine solche nüchterne Betrachtung berührt in der heutigen Zeit eines hysterischen Personenkultes zunächst sehr wohltuend, in manchem, wie z.B. der kräftigen Frontstellung gegen die anscheinend unausrottbare, sentimentale Berliner Legende, wirkt sie klärend und befreiend, in anderem dagegen, wie in der unbewiesenen, sensationellen Geschichte von der Verführung Mozarts durch Konstanze, schießt sie wieder weit übers Ziel hinaus. Im allgemeinen ist freilich sehr die Frage, ob dieses neue Mozartbild eines Mannes, der als moderner Geist auf seine Vorurteilsfreiheit besonders stolz ist, nicht doch wieder eine Verengerung unseres geistigen Horizontes Mozart gegenüber bedeutet, ob wir nicht für die alten, abgelegten Vorurteile neue eingetauscht haben. Sind wir wirklich dazu berechtigt, bei einem schöpferischen Menschen wie Mozart unsere eigene "Wirklichkeit" wiederfinden zu wollen? Das Leben eines Genies verläuft doch in einer ganz anderen Sphäre und unter anderen Formen als das des Nichtkünstlers, es ist durchaus nicht so einfach, wie dieser es sich nach seinen eigenen Maßstäben vorstellt. Schon die Berichte von Mozarts Zeitgenossen sind mit Vorsicht aufzufassen, denn die meisten von ihnen geben ein idealisiertes Bild dessen, was die Verfasser selbst zu sein glaubten oder wünschten. Nur wo sie nackte Tatsachen geben, sind sie unbedingt zuverlässig, aber gerade hier stehen wir stets an der äußersten Peripherie des Mozartschen Lebenskreises. Den ganzen Künstler aber werden wir nur so weit verstehen können, als unsere Fähigkeit reicht, sein Werk wirklich zu erleben, darüber sollte uns keine kritische Fertigkeit und kein Kennertum hinwegtäuschen. Und hier liegt die Hauptschwäche der Schurigschen Biographie; sie ist das Werk desselben ästhetischen Intellektualismus, der vor dem Kriege bei uns in jeder Art von Kunstschriftstellerei im Schwange war. Daher rührt der rationalistische Grundzug ebenso wie der weltmännische, kühle und selbstsichere Ton, alles Eigenschaften, die in letzter Linie von den Franzosen herstammen. Tatsächlich erstreckt sich jenes "Vasallenverhältnis" Schurigs gegenüber den Franzosen weit über die Ergebnisse von Wyzewa und Saint-Foix hinaus in die gesamte Tendenz, Methode und Darstellungsweise seines Buches hinein. Der eigentlichen Biographie sind einige sehr dankenswerte Kapitel hinzugefügt, wie z.B. über den Stammbaum der Familie usw. und besonders über Mozarts Verwandte und Nachkommen.

      Ganz andere Ziele verfolgt das Buch von Josef Kreitmaier S.J., W.A. Mozart, Eine Charakterzeichnung des großen Meisters nach den literarischen Quellen, Düsseldorf, Schwann 1919. Auch Kreitmaier wendet sich gegen die früheren Versuche, Mozart auch als Menschen zu idealisieren, findet aber auch so noch "Edles und Liebenswürdiges genug" an ihm, wenn es auch freilich ohne die Kunst Mozarts nicht genügt hätte, seinen Namen auf die Nachwelt zu bringen. Das Bild, das er entwirft, berührt durch seine Besonnenheit, Wärme und seinen volkstümlichen Ton sehr sympathisch; daß der gute Katholik Mozart besonders und mitunter über Gebühr hervorgehoben wird, erklärt sich aus dem Bekenntnis des Verfassers. Einen Versuch, Mozarts Persönlichkeit aus seinen Werken abzuleiten, die doch die primärsten Äußerungen seines Wesens waren, macht freilich auch er nicht, obwohl gerade für Mozarts religiöse Anschauungen aus den Jugendmessen und ihrer eigentümlichen Auffassung der einzelnen Meßsätze viel zu gewinnen gewesen wäre.

      In neuester Zeit mehren sich, zum Teil im Anschluß an Erörterungen über die Ästhetik der Oper als solche, die Untersuchungen über Mozart als Opernkomponisten, und zwar von den verschiedensten Seiten. Da hat zunächst H. Goldschmidt in seiner Musikästhetik des 18. Jahrhunderts (Zürich und Leipzig 1915) den Versuch gemacht, die gesamten musikästhetischen Grundsätze des 18. Jahrhunderts kritisch zu beleuchten und in ihren verschiedenen Wandlungen darzustellen. Er ist um so freudiger zu begrüßen, als Vorarbeiten dazu kaum vorhanden waren. Und doch handelt es sich hier um eine besonders empfindliche Lücke, denn die Musikästhetik des 18. Jahrhunderts hat vor der modernen den einen großen Vorzug voraus, daß sie sich durchaus auf dem Boden der musikalischen Praxis bewegt und nicht durch Spekulation, sondern durch Abstraktion von der zeitgenössischen Kunst zu ihren Ergebnissen gelangt. Goldschmidts Buch ist aber auch deshalb für Mozart wichtig, weil es gerade auf die Oper besonders genau eingeht. Hier baut er aus der Lehre der Zeit selbst eine Opernästhetik auf, die auf alle die damals so brennenden Fragen, wie die nach dem Anteil des Verstandes und der Phantasie im musikalischen Drama, nach dem Verhältnis zwischen italienischer und französischer Oper und endlich nach der Eigentümlichkeit der Gluckschen Kunst, ein neues Licht wirft und auch dem ästhetischen Urteil über Mozart sehr zugute kommt.

      Von einer ganz anderen Seite, nämlich der philosophischen, tritt H. Cohen in seiner Schrift Die dramatische Idee in Mozarts Operntexten (Berlin 1916) an Mozart heran. Der Gegensatz gegen die Opernästhetiker des 18. Jahrhunderts ist insofern ganz deutlich, als Cohen die musikalisch-formale Seite nicht allein fast ganz übergeht, sondern offenbar überhaupt kein Verständnis dafür hat. Die italienischen Arienanfänge, die er bei der Entführung und Zauberflöte den deutschen beifügt, beweisen klar, daß ihm z.B. der stilistische Unterschied zwischen opera buffa und Singspiel nicht aufgegangen ist. Auch die Seitenhiebe auf Wagner fordern zu scharfer Kritik heraus. Vor allem aber sollte man Behauptungen, wie daß die Oper aus dem Oratorium oder das deutsche Lied aus der Arie der Pamina entstanden sei, heutzutage wirklich nicht mehr drucken lassen. Trotz alledem und trotz der merkwürdigen Vermengung von Ästhetik und Ethik stecken in der Schrift eine Reihe trefflicher und fruchtbarer Gedanken. Sie ist die geistvollste Ausführung der alten Parallele Mozart-Shakespeare. Die Ausführungen über das Verhältnis von Tragik und Humor bei Mozart sowie über seine geniale Art der Kontrastfiguren, auch z.B. über die Stellung von Così fan tutte, sind in höchstem Grade anregend und machen auch den Musikforscher auf ein Gebiet aufmerksam, an dem er nur zu häufig achtlos vorbeigegangen ist. Allerdings ergeben sich auch hier mitunter recht seltsame Konstruktionen, wie z.B. die Verteidigung Don Giovannis gegen den Vorwurf der Unsittlichkeit oder die Gretchenrolle der Elvira, beides Dinge, die ebenso unmozartisch als unshakespearisch sind.

      Nach dem Philosophen hat sich zu guter Letzt auch noch der Bühnenpraktiker vernehmen lassen: Ernst Lert in dem Buche Mozart auf dem Theater (Berlin 1918). Lert ist durch seine Inszenierung der Mozartschen Opern in Leipzig zu seinen Untersuchungen geführt worden, die ein erfreuliches Zeichen für den frischen Hauch sind, der in neuerer Zeit die Darstellung der Mozartschen Opern wieder zu beleben beginnt. Hat man doch viel zu lange den Ballast einer recht fragwürdigen und unmozartschen Tradition auf unseren Bühnen mit herumgeschleppt. Lert weiß aber wohl, daß es mit dem Bühnentechnischen allein nicht getan ist, sondern daß alle derartigen Untersuchungen von selbst in das Herz von Mozarts dramatischer Kunst führen. Man hatte Mozart als Inszenator und Regisseur bisher nur nebenbei gewürdigt, Lert stellt gerade diese Seite in den Mittelpunkt seiner Darstellung, und sie ergibt sich dabei als viel wichtiger, als man gemeinhin annimmt. Auch für die theatergeschichtliche Untersuchung der verschiedenen Opernformen zu Mozarts Zeit und des Zusammenhangs ihres Stils mit dem gesprochenen Drama ist ihm die Mozartforschung zu Danke verpflichtet, während der spezifisch musikhistorische Teil verschiedene Lücken, gewagte Hypothesen und Irrtümer aufweist. Der Schluß des Werkes bringt für die einzelnen Opern (mit Ausnahme


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