Das Paradies der Damen. Emile Zola

Das Paradies der Damen - Emile Zola


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Haus keine Beschäftigung hat, werden wir ihm zeigen, daß sie bei uns nur anzuklopfen braucht, um aufgenommen zu werden. Sagen Sie ihm, daß ich ihn hochachte und daß er nicht über mich ungehalten sein dürfe; die veränderten Verhältnisse im Handel sind an allem schuld. Und sagen Sie ihm auch, daß er verloren ist, wenn er an seinen lächerlichen alten Gewohnheiten eigensinnig festhält.«

      Denise war ganz blaß geworden. Dieser Herr war also Mouret! Niemand hatte seinen Namen genannt, aber er selbst hatte sich als der Chef zu erkennen gegeben. Sie begriff jetzt, warum der junge Mann einen so tiefen Eindruck auf sie gemacht hatte, zuerst auf der Straße, dann in der Seidenabteilung und jetzt wieder. Dieser Eindruck, den sie sich nicht zu erklären vermochte, lastete immer schwerer auf ihrem Herzen. Alle Geschichten, die der Onkel ihr erzählt hatte, kehrten in ihre Erinnerung zurück und ließen Mouret noch ungewöhnlicher erscheinen, umgaben ihn mit einer Legende, machten aus ihm den Meister der schrecklichen Maschinerie dieses Warenhauses, von deren Rädern sie sich seit dem Morgen erfaßt fühlte. Hinter seinem hübschen Kopf mit dem wohlgepflegten Bart und den schönen goldbraunen Augen meinte sie seine tote Frau, diese Frau Hedouin zu sehen, mit deren Blut das Haus gebaut war. Da packte sie wieder ein unklares Gefühl der Furcht.

      Mittlerweile hatte Frau Aurélie die Liste zugeklappt. Sie brauchte nur eine einzige Verkäuferin, und es waren schon zehn vorgemerkt. Allein sie wollte zu sehr dem Chef gefällig sein, als daß sie noch länger gezögert hätte. Sie meinte nur, die Sache müsse ihren üblichen Gang gehen; der Inspektor Jouve werde Erkundigungen einholen, ihr berichten, und dann werde sie ihren Entschluß fassen.

      »Es ist gut, Fräulein«, sagte sie endlich majestätisch. »Man wird Ihnen die Entscheidung schriftlich mitteilen.«

      Denise stand noch immer verwirrt und unbeweglich da. Sie wußte nicht, wie sie von all diesen Leuten fortkommen sollte; endlich dankte sie Frau Aurélie und ging mit einem Gruß an Mouret und Bourdoncle vorüber. Diese beschäftigten sich übrigens längst nicht mehr mit ihr und vergaßen, den Gruß zu erwidern. Claire machte eine mürrische Geste zu Marguerite hinüber, wie um vorauszusagen, daß die neue Verkäuferin in dieser Abteilung keinen angenehmen Stand haben werde. Denise fühlte ohne Zweifel die Gleichgültigkeit und das Unbehagen, das sie zurückgelassen hatte, denn sie stieg ebenso verlegen die Treppe hinab, wie sie heraufgekommen war, die Beute einer seltsamen Beklemmung und ganz ungewiß, ob sie sich freuen oder ärgern sollte, daß sie hierhergekommen war. Durfte sie auf diese Stelle zählen? In ihrem Unbehagen, das sie daran hinderte, alles genau abzuwägen, vermochte sie sich diese Frage nicht zu beantworten. Von all ihren verschiedenen Empfindungen blieben zwei zurück und verdrängten allmählich alle übrigen: der tiefe Eindruck, den Mouret auf sie gemacht hatte, ein Eindruck, der an Furcht streifte, und die Liebenswürdigkeit Hutins, die sie jetzt noch mit Dankbarkeit erfüllte. Als sie das Geschäft verließ, suchte sie den jungen Mann, um ihm wenigstens mit einem Blick noch einmal zu danken; zu ihrem größten Kummer konnte sie ihn nicht entdecken.

      »Nun, Fräulein, haben Sie Glück gehabt?« fragte sie eine Stimme, als sie endlich auf der Straße anlangte.

      Sie wandte sich um und erkannte den großen, blassen, schlaksigen Jüngling, der sie am Morgen schon angesprochen hatte. Auch er kam aus dem »Paradies der Damen« und schien noch bestürzter als sie, noch verwirrter durch das Verhör, dem er sich hatte unterziehen müssen.

      »Mein Gott, ich weiß es nicht einmal«, erwiderte sie.

      »Genauso geht's mir auch. Die haben eine seltsame Art da drinnen, einen auszufragen und anzusehen ...«

      Wieder standen sie einander gegenüber, und da sie nicht wußten, wie sie sich verabschieden sollten, erröteten sie abermals. Um doch wenigstens etwas zu sagen, fragte der junge Mann in seiner linkischen und biederen Art:

      »Wie heißen Sie, Fräulein?«

      »Denise Baudu.«

      »Und ich heiße Henri Deloche«, stellte nun auch er sich vor. Da lächelten beide. Im Gedanken an die Gleichartigkeit ihrer Lage gaben sie einander die Hand.

      »Viel Glück!«

      »Ja, viel Glück!«

      Drittes Kapitel

      Jeden Samstag von vier bis sechs Uhr hielt Frau Desforges für ihre nächsten Bekannten eine Tasse Tee und etwas Gebäck bereit. Ihre Wohnung lag im dritten Stock an der Ecke Rue de Rivoli und Rue d'Alger; die Fenster der beiden Salons gingen auf die Tuilerien hinaus.

      Diesen Samstag war auch Mouret gekommen; als der Diener ihn in den großen Salon führen wollte, sah er durch eine offene Tür Frau Desforges gerade in den kleinen Salon gehen. Sie blieb stehen, als sie ihn bemerkte, er trat bei ihr ein und begrüßte sie sehr förmlich. Als der Diener aber die Tür geschlossen hatte, ergriff er lebhaft die Hand der jungen Frau und küßte sie zärtlich.

      »Gib acht, es ist schon jemand da!« flüsterte sie und deutete auf die Tür des großen Salons. »Ich wollte nur diesen Fächer holen, um ihn den Damen zu zeigen.«

      Allein er behielt ihre Hand in der seinen und fragte:

      »Wird er kommen?«

      »Sicher«, erwiderte sie; »er hat es mir versprochen.«

      Sie sprachen von Baron Hartmann, dem Direktor der Immobilienbank. Frau Desforges, Tochter eines Staatsrates, war die Witwe eines Börsenspekulanten, der ihr ein Vermögen hinterlassen hatte, das von den einen überschätzt, von anderen ganz geleugnet wurde. Man erzählte sich, daß sie noch bei Lebzeiten ihres Gatten sich Baron Hartmann gegenüber recht erkenntlich gezeigt habe, da seine finanziellen Ratschläge dem Ehepaar Desforges vielfach nützlich gewesen seien. Später, nach dem Tode des Gatten, hatte das Verhältnis weiterbestanden, aber immer ganz im verschwiegenen, ohne jede Unklugheit, ohne Aufsehen. Frau Desforges vermied es, Gegenstand irgendwelchen Geredes zu werden, und war darum auch in den besseren Bürgerkreisen, denen sie entstammte, gern gesehen. Selbst heute noch, da die Leidenschaft des Bankiers, eines feinfühligen Mannes, sich in väterliches Wohlwollen gewandelt hatte – selbst heute noch bewies sie, wenn sie sich Liebhaber hielt, was er stillschweigend duldete, bei ihren Herzensromanen einen so feinen Sinn für gesellschaftliches Maß, daß der Schein stets gewahrt blieb und niemand es gewagt hätte, laut an ihrer Ehrbarkeit zu zweifeln. Sie war Mouret bei gemeinsamen Bekannten begegnet und hatte ihn anfangs kaum beachtet; später hatte sie, von seinen heftigen Liebeswerbungen überwunden, sich ihm hingegeben; und während es ihm offenbar immer mehr darum zu tun war, durch sie den Baron auf seine Seite zu bringen, faßte sie allmählich eine wahre und tiefe Leidenschaft für ihn. Sie liebte ihn mit der Glut der fünfunddreißigjährigen Frau, die nur neunundzwanzig Jahre eingesteht und in fortwährender Angst lebt, den weit jüngeren Geliebten zu verlieren.

      »Ist er bereits informiert?« fragte Mouret wieder.

      »Nein, Sie müssen ihm die Sache selbst erklären«, sagte Frau Desforges, ihn diesmal nicht duzend.

      Sie schaute ihn an und dachte, er müsse doch recht ahnungslos sein, da er ihr eine solche Rolle dem Baron gegenüber zuwies, in dem er offenbar nur einen alten Freund seiner Geliebten sah. Mouret hielt noch immer ihre Hand, nannte sie seine gute Henriette, und sie fühlte ihr Herz weich werden. Sie bot ihm stumm die Lippen; dann flüsterte sie:

      »Still! Sie warten auf mich ... Lassen Sie mich vorausgehen.«

      Aus dem großen Salon drangen leise Stimmen, noch gedämpft durch die Vorhänge und Teppiche. Sie öffnete die Tür, ließ beide Flügel offen und reichte den Fächer einer der vier Damen, die in der Mitte des Salons saßen.

      »Da haben Sie ihn; ich konnte


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