Das Paradies der Damen. Emile Zola
»Kommen Sie, Herr Mouret, gehen Sie durch den kleinen Salon; das ist weniger feierlich.«
Mouret begrüßte die Damen, die er sämtlich kannte.
»Gar nicht übel, diese Chantillyspitze!« rief Frau Bourdelais, die den Fächer in der Hand hatte.
Sie war eine kleine, blonde Frau von dreißig Jahren, mit einer schmalen Nase und lebhaften Augen, eine Schulfreundin Henriettes; ihr Mann war Abteilungsleiter im Finanzministerium. Sie entstammte einer alten bürgerlichen Familie, versah ihr Hauswesen selbst und erzog ihre drei Kinder mit Rührigkeit und Anmut, zugleich mit einem ungewöhnlichen Sinn für alles Praktische.
»Fünfundzwanzig Franken hast du für die Spitzen gezahlt?« fragte sie weiter, während sie jede Masche sorgfältig prüfte.
»Und du sagst, du hast sie in Luc gekauft, von einer Arbeiterin aus der Gegend? ... Das ist nicht teuer. Aber du hast doch auch den Fächer dazu arbeiten lassen?!«
»Gewiß«, erwiderte Frau Desforges. »Das kostete zweihundert Franken.«
Frau Bourdelais lachte. Das nannte Henriette einen günstigen Kauf! Zweihundert Franken für eine einfache Elfenbeinarbeit mit Namenszug! Für hundertzwanzig Franken konnte man so etwas fix und fertig kaufen!
Inzwischen ging der Fächer von Hand zu Hand. Frau Guibal würdigte ihn kaum eines Blickes. Sie war eine große, hagere Frau mit rötlichen Haaren; in ihrem gleichgültigen Gesicht saßen zwei graue Augen, aus denen die krasse Selbstsucht funkelte. Man sah sie niemals in der Gesellschaft ihres Mannes, eines bekannten Rechtsanwaltes, der, wie man sich erzählte, auch seinerseits ein freies Leben voller Vergnügungen führte.
»Oh«, flüsterte sie und gab den Fächer an Frau von Boves weiter, »ich habe in meinem Leben keine zwei Fächer gekauft; man bekommt ohnedies mehr als genug geschenkt.«
Die Gräfin erwiderte mit feinem Sport:
»Sie können sich glücklich schätzen, meine Teure, daß Sie einen so galanten Gatten haben.«
Frau von Boves, in Begleitung ihrer erwachsenen Tochter Blanche erschienen, hatte die Vierzig hinter sich. Sie war eine gute Erscheinung mit einem vollen, regelmäßigen Gesicht und großen, schmachtenden Augen. Unvermittelt wandte sie sich an Mouret:
»Sagen Sie uns doch Ihre Meinung: Ist das zu teuer, zweihundert Franken für das Gestell?«
Mouret stand unter den fünf Frauen und lächelte beifällig zu allem, was sie interessierte. Er nahm den Fächer in die Hand, besichtigte ihn eine Weile und war eben im Begriff zu antworten, als der Diener die Tür öffnete und meldete:
»Frau Marty!«
Eine magere, häßliche, blatternarbige, mit auffallend gesuchter Eleganz gekleidete Frau trat ein. Ihr Alter war schwer zu bestimmen; ihre fünfunddreißig Jahre konnten ebensogut für dreißig wie für vierzig gelten, je nachdem wie sie sich gerade gab. An ihrer rechten Hand hing eine rote Ledertasche, die sie nicht ablegen wollte.
»Verzeihen Sie, teuerste gnädige Frau, daß ich mit meiner Tasche eintrete«, sagte sie zu Frau Desforges. »Denken Sie sich: auf dem Weg zu Ihnen bin ich einen Augenblick ins ›Paradies der Damen‹ hineingegangen, und wieder einmal habe ich mich zu allerlei Torheiten verleiten lassen.«
Als sie Mourets Anwesenheit bemerkte, fuhr sie lachend fort: »Ich sagte das nicht, um für Sie Reklame zu machen, denn ich wußte nicht, daß Sie hier sind. ... Sie haben jetzt wirklich ganz außerordentlich schöne Spitzen.«
Man kannte Frau Marty und ihren Hang zum Geldausgeben; man wußte, daß sie keiner Versuchung widerstehen konnte. Sie war von strengster Ehrbarkeit, unnahbar für jeden fremden Mann, dagegen weich und haltlos vor dem winzigsten Endchen Stoff. Sie war die Tochter eines kleinen Beamten und ruinierte jetzt ihren Gatten, einen Lehrer am Bonaparte-Gymnasium, der sein Gehalt von sechstausend Franken durch Privatstunden verdoppeln mußte, um den fortwährend wachsenden Anforderungen seines Haushalts genügen zu können.
Ohne ihre Tasche zu öffnen, begann sie von ihrer vierzehnjährigen Tochter Valentine zu sprechen, der kostspieligsten Ausgeburt ihrer eigenen Gefallsucht. Sie kleidete sie wie sich selbst in allen Einzelheiten nach der neuesten Mode.
»Sie wissen doch, im Augenblick werden die Kleider der jungen Mädchen mit Spitzen garniert«, sagte sie. »Und als ich da eine recht hübsche Valenciennesspitze sah ...«
Angesichts der allgemeinen Neugierde entschloß sie sich endlich, die Tasche zu öffnen. Die Damen reckten die Hälse, um besser zu sehen. Da vernahm man inmitten erwartungsvollen Schweigens die Klingel im Vorzimmer.
»Das ist mein Mann«, sagte Frau Marty sehr verlegen. »Er sollte mich nach der Schule hier abholen.«
Sie hatte ihre Tasche rasch wieder geschlossen und mit einer unwillkürlichen Bewegung unter den Sessel geschoben. Die Damen lachten. Sie errötete über ihre Hast, nahm die Tasche wieder auf ihre Knie und meinte, die Männer verstünden so manches nicht und brauchten auch nicht alles zu wissen.
»Herr von Boves, Herr von Vallagnosc«, meldete der Diener. Das gab eine allgemeine Überraschung. Frau von Boves hatte nicht damit gerechnet, ihren Gatten hier zu treffen. Herr von Boves, ein gutaussehender Mann mit Schnurr- und Knebelbart und vornehmer, militärischer Haltung, in den Tuilerien sehr beliebt, küßte Frau Desforges die Hand. Dann trat er beiseite, damit sein Begleiter, ein großer, etwas verlebter junger Mann von vornehmem Auftreten, die Dame des Hauses begrüßen könne. Aber kaum war das Gespräch wieder etwas in Fluß geraten, als zwei Ausrufe ertönten:
»Wie, du bist's, Paul!«
»Schau an, Octave!«
Mouret und Vallagnosc drückten einander die Hände. Frau Desforges ihrerseits war sehr überrascht. Wie, die Herren kannten sich? Aber gewiß, sie waren ja zusammen in Plassans zur Schule gegangen, und es war offenbar nur ein Zufall, daß sie einander bei Frau Desforges noch nicht begegnet waren.
Während der Diener den Tee brachte und die Damen enger zusammenrückten, gingen die beiden nach nebenan in den kleinen Salon.
Ihre ganze Jugend erwachte wieder, die alte Schule in Plassans mit ihren beiden Höfen, den feuchten Klassenräumen, dem Speisesaal, wo es so viel Kabeljau gegeben hatte, und dem Schlafsaal, wo die Kissen von Bett zu Bett geflogen waren, sobald der Aufseher schnarchte. Paul, der aus einer alten Juristenfamilie stammte, war stets einer der besten Schüler gewesen, vom Klassenlehrer, der ihm eine große Zukunft prophezeite, allen als Vorbild hingestellt, während Octave, immer einer der Letzten, außerhalb der Schule den wildesten Vergnügungen nachging. Trotz der Verschiedenheit ihrer Naturen hatte sich eine sehr enge Kameradschaft zwischen beiden herausgebildet, die bis zu ihrer Prüfung dauerte, die der eine ruhmvoll, der andere schlecht und recht erst nach zwei mißlungenen Versuchen bestand. Dann hatte das Leben sie auseinandergebracht, und jetzt fanden sie sich nach einem Zeitraum von zehn Jahren verändert und älter geworden wieder.
»Und was hast du aus dir gemacht?« fragte Mouret.
»Ach, gar nichts.«
Trotz der Freude des Wiedersehens hatte Vallagnosc seine Blasiertheit beibehalten. Ein wenig erstaunt über diese Antwort, fragte sein Freund noch einmal:
»Aber du tust doch irgend etwas – was tust du denn?«
»Nichts«, erwiderte der andere trocken.
Octave lachte; nichts