Das Paradies der Damen. Emile Zola

Das Paradies der Damen - Emile Zola


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Bündel betrachtete, das sie neben sich auf den Boden gelegt hatte, fügte sie hinzu:

      »Ich habe den Koffer auf dem Bahnhof gelassen.«

      Sie errötete, denn ihr wurde nun klar, daß man den Leuten nicht in dieser Weise mit der Tür ins Haus fallen durfte. Schon in der Eisenbahn hatte sie gleich nach der Abfahrt von Valognes Gewissensbisse empfunden; darum hatte sie auch ihren Koffer auf dem Bahnhof zurückgelassen und den Kindern vor der Stadt draußen ein Frühstück geben lassen.

      »Nun wollen wir einmal kurz und in aller Offenheit miteinander reden«, sagte Baudu mit einemmal. »Ich habe dir geschrieben, das ist wahr. Aber seither ist fast ein Jahr verflossen, und das Geschäft ging sehr schlecht, mein Kind...«

      Er hielt inne, von einem Gefühl erfaßt, das er sich nicht anmerken lassen wollte. Frau Baudu und Geneviève schlugen die Augen nieder.

      »Es ist eine schwere Zeit, die vorübergehen wird«, fuhr der Onkel fort. »Da habe ich keine Sorge... Aber ich mußte mein Personal einschränken; es sind nur noch drei Angestellte da, und dies ist keineswegs der geeignete Zeitpunkt, jemand vierten einzustellen. Kurz: ich kann dich nicht ins Haus nehmen, wie ich es dir versprochen habe, mein armes Kind.«

      Ganz blaß und bestürzt hatte Denise zugehört.

      »Schon recht, Onkel!« stotterte sie endlich mühsam. »Ich werde mich bemühen, anderswo unterzukommen.«

      Die Baudus waren keine schlechten Menschen. Aber sie klagten ständig darüber, daß sie niemals Glück gehabt hätten. Als das Geschäft noch gut ging, hatten sie fünf Söhne zu erziehen gehabt, von denen drei in jungen Jahren gestorben waren; der vierte war ein Taugenichts geworden, der fünfte als Hauptmann nach Mexiko gegangen. So blieb ihnen nur Geneviève. Alle Kinder hatten viel Geld gekostet, und den letzten Rest seines Kapitals hatte Baudu an den Kauf eines alten Hauses in Rambouillet gewendet, von wo seine Frau herstammte. Jetzt ärgerte er sich, daß ihm diese drei Kinder so ins Haus hereingeschneit kamen.

      »Man muß sich doch anmelden«, sagte er, verdrossen über seine eigene Härte. »Du hättest mir einen Brief schicken können, und ich hätte dir geantwortet, daß ihr besser bleibt, wo ihr seid. Als dein Vater starb, habe ich dir freilich geschrieben, was man bei solchen Gelegenheiten schreibt. Und nun fallt ihr mir so unvermutet ins Haus, ohne vorher ein Wort zu sagen ...«

      Jean war blaß geworden. Denise drückte Pépé an sich; zwei schwere Tränen fielen auf ihre Hände, und sie wiederholte:

      »Lassen Sie nur, Onkel; wir gehen schon.«

      Es entstand ein verlegenes Schweigen. Dann sagte er in mürrischem Ton:

      »Ich will euch ja nicht vor die Tür setzen. Da ihr einmal hier seid, werdet ihr bei uns übernachten; dann werden wir weitersehen.«

      Frau Baudu und Genevieve entnahmen jetzt aus einem Blick des Familienoberhauptes, daß sie sich um die Sache kümmern dürften. Alles wurde geregelt. Mit Jean brauche man sich nicht weiter zu beschäftigen, hieß es, da er ja schon am folgenden Tag in die Lehre gehen wolle. Pépé wäre bei Frau Gras sehr gut aufgehoben, einer alten Frau, die in der Rue des Orties eine geräumige Erdgeschoßwohnung besaß und Kinder unter zehn Jahren für vierzig Franken monatlich in volle Verpflegung nahm. Denise bemerkte, sie habe genügend Geld, um für den ersten Monat die Pension zu bezahlen. Es handelte sich also bloß darum, sie selbst unterzubringen.

      »Hat nicht Vinçard eine Verkäuferin gesucht?« fragte Genevieve.

      »Richtig, das ist wahr!« rief Baudu. »Wir wollen nach dem Essen zu ihm gehen. Man muß das Eisen schmieden, solange es heiß ist.«

      Diese Familienberatung war durch keine Kundschaft gestört worden. Der Laden blieb leer und finster. Die beiden Gehilfen und die Verkäuferin im Hintergrund setzten unter Flüstern und Tuscheln ihre Arbeit fort. Doch jetzt traten drei Damen ein, und Denise blieb mit dem Kind allein. Sie küßte Pépé, tief betrübt bei dem Gedanken an die bevorstehende Trennung. Anschmiegsam wie ein Kätzchen barg der Kleine schweigend seinen Kopf an der Brust der Schwester. Als Frau Baudu und Genevieve zurückkamen, erklärten sie Pépé für sehr artig, und Denise versicherte, daß er niemals Lärm mache, daß er ganze Tage still und ruhig bleibe und nur nach Zärtlichkeit verlange. Bis zum Essen sprachen die drei Frauen von diesem und jenem, von Kindern, von der Hauswirtschaft, vom Leben in Paris und in der Provinz; das Gespräch floß in kurzen, allgemeinen Sätzen dahin wie unter Verwandten, die einander noch nicht genau kennen und verlegen sind. Jean stand unbeweglich auf der Schwelle und beobachtete das Treiben auf der Straße; von Zeit zu Zeit lächelte er den vorübergehenden Mädchen zu.

      Um zehn Uhr kam ein Dienstmädchen. Gewöhnlich wurde um diese Stunde für Herrn Baudu, Geneviève und den ersten Gehilfen der Tisch gedeckt. Um elf Uhr aßen Frau Baudu, der zweite Gehilfe und die Verkäuferin.

      »Die Suppe ist aufgetragen!« rief der Onkel Denise zu.

      Als in dem kleinen Speisezimmer, das an den Laden stieß, alles bei Tisch saß, rief er nach dem ersten Gehilfen, der noch auf sich warten ließ.

      »Colomban!«

      Der junge Mann entschuldigte sich, er habe die Flanelle fertig einräumen wollen. Er war mit seinen fünfundzwanzig Jahren körperlich kräftig, aber schwerfällig und hatte verschmitzte Gesichtszüge. In seinem biederen Gesicht mit dem großen, weichen Mund saßen zwei Augen, in denen die Schlauheit funkelte.

      »Ach was, alles zu seiner Zeit!« sagte Baudu, der ein Stück kalten Kalbsbraten zerlegte mit der Vorsicht und Geschicklichkeit des geübten Hausvaters, der jede Portion mit dem Auge auf ein Quentchen abzuwägen weiß.

      Er gab jedem seinen Anteil und schnitt sogar das Brot vor.

      »Aber du ißt ja nicht, mein Kind?« meinte er nach einer Weile zu Denise. »Da wir jetzt Zeit haben zu plaudern: sag, warum hast du dich denn in Valognes nicht verheiratet?«

      »Oh, Onkel! Wo denken Sie hin? Ich mich verheiraten!... Und die Kleinen?«

      Sie fand den Gedanken so seltsam, daß sie darüber lachte. Und dann – welcher Mann würde sie auch zur Frau nehmen, sie, die keinen Sou besaß, schmächtig war wie eine Drossel und nicht einmal hübsch? Nein, nein; sie würde sich niemals verheiraten; sie hatte genug mit den beiden Kindern.

      »Das ist nicht richtig«, sagte der Onkel. »Eine Frau braucht immer einen Mann. Wenn du einen braven Mann gefunden hättest, lägst du nicht mit deinen Brüdern auf der Straße wie die Zigeuner.«

      Er hielt inne, um mit ebensoviel Sparsamkeit wie Gerechtigkeit eine Schüssel Kartoffeln mit Speck aufzuteilen, die das Dienstmädchen gebracht hatte. Dann fuhr er fort, während er mit dem Löffel auf Colomban und Geneviève zeigte:

      »Schau, die zwei werden im Frühjahr heiraten, wenn das Geschäft im Winter gut läuft.«

      So war es Tradition im Haus. Der Gründer, Aristide Finet, hatte seine Tochter Desirée seinem ersten Gehilfen Hauchecorne zur Frau gegeben; Baudu, der mit sieben Franken in der Tasche in das Geschäft eingetreten war, hatte Elisabeth, die Tochter Hauchecornes, geheiratet, und er war entschlossen, seine Tochter Geneviève samt dem Tuchladen seinem Angestellten Colomban zu überlassen, sobald nur die Geschäfte eine Wendung zum Besseren nehmen würden. Die Sache war seit drei Jahren abgemacht; er schob die Heirat nur eines Bedenkens wegen hinaus: in seiner eigensinnigen Rechtschaffenheit wollte er das Geschäft, das er blühend übernommen hatte, seinem Nachfolger nicht in schlechterem Stand übergeben.

      Denise beobachtete Colomban und Geneviève. Sie saßen bei Tisch nebeneinander,


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