Das Paradies der Damen. Emile Zola
sage das alles nicht, um dir die Lust zu vergällen«, meinte er schließlich, zu Denise gewandt. »Wenn es dir etwas nützt, in dieses Haus einzutreten, dann tu es nur. Ich will dich nicht zurückhalten. Aber ich frage dich, die du doch auch etwas vom Geschäft verstehst, ob es einen Sinn hat, daß ein einfaches Modewarenhaus alles mögliche feilbietet? Früher, als es noch einen rechtschaffenen Handel gab, verstand man unter Modewaren einfach Stoffe und weiter nichts. Heute denken diese Leute nur daran, auf Kosten anderer alles an sich zu reißen. Das ganze Stadtviertel jammert schon darüber. Dieser Mouret richtet sie alle zugrunde. Ich selbst habe bisher nicht allzu sehr zu klagen. Er schadet mir, das ist sicher; aber er führt vorläufig nur Damenstoffe, leichtere für Kleider und schwere für Mäntel. Herrenartikel dagegen kauft man immer noch bei mir, Samt für Jagdanzüge, Livreestoffe und dergleichen; ganz zu schweigen von Flanellen und Wolltuchen, in denen er wohl schwerlich so gut sortiert ist wie ich. Aber er fordert mich heraus; gerade vor unserer Tür, mitten in seiner Tuchauslage prahlt er mit seinen buntesten Konfektionsartikeln wie ein Jahrmarktschreier, um die jungen Mädchen damit zu ködern. Auf Ehre, ich würde mich schämen, zu solchen Mitteln zu greifen. Seit nahezu hundert Jahren ist mein Geschäft bekannt, und ich habe es nicht nötig, an meiner Tür solchen Köder für Maulaffen auszuhängen. Solange ich lebe, bleibt der ›Vieil Elbeuf‹ so, wie ich ihn übernommen habe, mit seinen vier Auslagen rechts und links und sonst nichts!«
Seine Erregung griff allmählich auf die ganze Familie über. Nach kurzem Stillschweigen erlaubte sich Geneviève die Bemerkung:
»Unsere Kunden bleiben uns treu, Papa. Wir dürfen die Hoffnung nicht aufgeben ... Heute waren Frau Desforges und Frau von Boves wieder da. Ich erwarte auch Frau Marty, die sich Flanellstoffe ansehen wollte.«
»Und ich«, erklärte Colomban, »habe gestern von Frau Bourdelais einen Auftrag bekommen. Allerdings hat sie dabei einen englischen Cheviot erwähnt, der da drüben um zehn Sous billiger zu haben ist als bei uns.«
»Wenn man bedenkt«, sagte Frau Baudu mit ihrer kraftlosen Stimme vor sich hin, »daß wir dieses Haus gekannt haben, als es noch nicht größer war als eine Hutschachtel ... Ja, meine liebe Denise, als die Brüder Deleuze es gründeten, bestand es aus einem Wandschrank, in dem kaum fünf Ballen Stoff Platz hatten, und einer einzigen Auslage nach der Rue Neuve-Saint-Augustin. Der Laden war so klein, daß man sich darin gerade umdrehen konnte. Und damals war der ›Vieil Elbeuf‹ schon sechzig Jahre alt und sah genauso aus wie heute ... Ja, das hat sich alles geändert, sehr geändert!«
Sie schüttelte den Kopf, außerstande, dieses Drama zu begreifen. Sie war im »Vieil Elbeuf« geboren, sie liebte dieses Haus bis in seine feuchten Wände, lebte nur für es und durch es. Einst war es ihr Ruhm gewesen, das mächtigste im ganzen Stadtviertel; dann hatte sie zusehen müssen, wie die Konkurrenz gegenüber allmählich emporwuchs, anfangs mißachtet, später an Bedeutung dem eigenen Unternehmen gleich und nun eine immer gefährlichere Bedrohung. Sie ging am Abstieg ihres Hauses selber langsam zugrunde, sie fühlte, an dem Tag, an dem das Geschäft schließen mußte, würde es auch mit ihr zu Ende sein.
Erneut herrschte Stillschweigen. Baudu trommelte mit den Fingern auf dem Wachstuch des Tisches einen Marsch. Er fühlte sich müde, bedauerte fast, in dieser Weise wieder einmal sein Herz erleichtert zu haben.
»Unnützes Gerede!« rief er endlich. »Um zu einem Ende zu kommen: tu, was du für richtig hältst. Wir haben dir die Verhältnisse erklärt, das ist alles. Schließlich ist es deine Sache.«
Er drängte sie mit seinem Blick zu einer entschiedenen Antwort. Aber Denise, die durch diese Einzelheiten keineswegs abgeschreckt war, sondern sich nur noch mehr für das »Paradies der Damen« interessierte, begnügte sich damit, zu sagen:
»Kommt Zeit, kommt Rat, Onkel.«
Sie sprachen davon, bald zu Bett zu gehen, weil die Kinder müde seien. Da es aber erst sechs Uhr war, wollte sie selbst noch ein Weilchen im Laden bleiben. Die Nacht war hereingebrochen; draußen fiel seit einiger Zeit ein feiner, dichter Regen.
Denise gab der Versuchung nach und trat in die Tür. Der Anblick, den das »Paradies der Damen« in dieser späten Abendstunde bot, nahm das Mädchen vollends gefangen. In dieser großen Stadt, die im strömenden Regen schwarz und stumm dalag, in diesem ihr unbekannten Paris erstrahlte das Warenhaus wie ein Leuchtfeuer, es schien alles Licht und alles Leben der Stadt in sich zu vereinigen.
Als Denise sich umwandte, sah sie, daß die Baudus erneut hinter ihr standen. Es zog sie unwillkürlich immer wieder vor dieses Schauspiel, das ihnen doch das Herz brach. Geneviève war sehr blaß; sie hatte beobachtet, daß Colomban abermals die vor den Fenstern vorbeihuschenden Schatten der Verkäuferinnen im Zwischenstock betrachtete; und während Baudu vor verhaltener Wut fast erstickte, hatten sich die Augen Frau Baudus still mit Tränen gefüllt.
»Nicht wahr, du stellst dich morgen drüben vor?« fragte der Tuchhändler endlich seine Nichte, von der Ungewißheit verzehrt und doch zugleich in dem sicheren Gefühl, daß sie dem ›Paradies der Damen‹ bereits verfallen sei wie alle anderen.
Sie zögerte etwas, dann sagte sie sanft:
»Ja, Onkel, wenn es Sie nicht zu hart ankommt.«
Zweites Kapitel
Am folgenden Tag um halb acht Uhr morgens fand sich Denise vor dem »Paradies der Damen« ein. Sie wollte sich dort vorstellen und anschließend Jean zu seinem Lehrherrn bringen, der weit weg im Faubourg du Temple wohnte. Da sie gewohnt war, zeitig aufzustehen, war sie zu früh dran; die Angestellten kamen selber erst spärlich an, und da sie sich lächerlich zu machen fürchtete, ging sie noch eine kleine Weile auf und ab.
Es wehte ein kalter Wind, der das Pflaster bereits getrocknet hatte. Aus allen Straßen kamen jetzt eiligen Schrittes die Angestellten, den Kragen hochgeschlagen, die Hände in den Taschen, gleichsam überrascht von diesem ersten Winterschauer. Die meisten gingen allein und verschwanden im Hintergrund des Warenhauses, ohne mit ihren Kollegen ein Wort zu wechseln oder sie auch nur anzublicken. Andere kamen zu zweien oder dreien; in lebhaftes Gespräch vertieft, nahmen sie die ganze Breite des Bürgersteigs ein. Und alle warfen, bevor sie eintraten, mit der gleichen Handbewegung den Rest ihrer Zigarre oder Zigarette in den Rinnstein.
Denise bemerkte, daß mehrere der Männer sie im Vorübergehen anblickten. Da nahm ihre Schüchternheit noch zu. Sie fühlte nicht mehr die Kraft, ihnen zu folgen, und beschloß zu warten, bis der Strom der Angestellten versiegte. Sie errötete bei dem Gedanken, unter der Tür zwischen all diesen Männern hin- und hergestoßen zu werden. Um den Blicken zu entgehen, machte sie langsam die Runde um die Place Gaillon.
Als sie zurückkam, fand sie vor dem »Paradies der Damen« einen langen, blassen, schlaksigen Jüngling, der gleich ihr seit einer Viertelstunde hier zu warten schien.
»Fräulein«, fragte er sie endlich mit stotternder Stimme, »sind Sie vielleicht Verkäuferin hier in diesem Haus?«
Sie war so verblüfft darüber, von einem ihr unbekannten jungen Mann angesprochen zu werden, daß sie nicht sogleich antwortete.
»Ich möchte nämlich gern hier unterkommen«, fuhr er noch verlegener fort, »und ich dachte, daß Sie mir vielleicht Auskunft geben könnten.«
»Ich würde Ihnen gern helfen«, antwortete sie endlich; »aber es geht mir wie Ihnen; ich will mich auch vorstellen.«
»Ach so! Ganz recht!« sagte er, völlig außer Fassung.
Nun erröteten sie alle beide; schweigend und schüchtern standen sie einander gegenüber, gerührt durch die Ähnlichkeit ihrer Lage und doch zu zaghaft, um sich gegenseitig laut einen guten