Das Paradies der Damen. Emile Zola
stand er ganz verlegen da. Denise war tief errötet. Sie würde es niemals wagen, dachte sie, in dieses große Warenhaus einzutreten, aber der Gedanke erfüllte sie doch mit Stolz.
»Warum denn nicht?« fragte Robineau überrascht. »Das wäre doch für das junge Fräulein recht günstig? Ich rate ihr, sich morgen bei der Direktrice, Frau Aurélie, vorzustellen. Es kann ihr ja nichts Schlimmeres passieren, als daß sie nicht angenommen wird.«
Um seinen Ärger zu vertuschen, verlor sich der Tuchhändler in allerlei verworrenes Gerede. Er kenne Frau Aurélie, meinte er, oder vielmehr ihren Mann, den Kassierer Lhomme, dem doch ein Omnibus den rechten Arm abgefahren habe. Dann kam er ganz unvermittelt wieder auf Denise zu sprechen.
»Es ist übrigens ihre Sache«, sagte er; »sie kann tun, was sie will.«
Mit einem Gruß verließ er den Laden. Vinçard begleitete ihn bis zur Tür und drückte ihm nochmals sein Bedauern aus. Denise war schüchtern mitten im Laden stehengeblieben und wartete begierig auf nähere Auskünfte von Robineau. Allein sie wagte kein Wort hervorzubringen, grüßte endlich und sagte:
»Vielen Dank, mein Herr.«
Auf der Straße eilte Baudu, wie von seinen Gedanken getrieben, rasch fort und zwang seine Nichte, fast zu laufen. In der Rue de la Michodière wollte er eben in seinen Laden treten, als ein benachbarter Kaufmann, der auf der Schwelle seines Geschäftes stand, ihn durch einen Wink herbeirief. Denise blieb stehen, um auf ihn zu warten.
»Was gibt's, Vater Bourras?« fragte der Tuchhändler.
Bourras war ein hochgewachsener Greis mit einem Prophetenkopf, langem Haar und Bart und durchdringenden Augen unter den dichten, buschigen Brauen. Er betrieb einen Handel in Spazierstöcken und Regenschirmen, übernahm auch Ausbesserungen und drechselte sogar Regenschirmgriffe, was ihm im Stadtviertel den Ruf eines Künstlers eingetragen hatte. Denise betrachtete erstaunt sein Haus. Es war ein altes Gebäude, eingekeilt zwischen dem »Paradies der Damen« und einem großen Haus im Stil Ludwigs XIV. Man konnte sich gar nicht erklären, wie es in diesen schmalen Spalt hineingeraten war, in dem seine beiden niedrigen Stockwerke schier erdrückt wurden.
»Denken Sie sich: er hat dem Besitzer meines Hauses geschrieben und ihm angeboten, es zu kaufen!« sagte Bourras empört zu dem Tuchhändler.
Baudu erbleichte noch mehr und zuckte zusammen. Da ließ Bourras seinem Zorn freien Lauf.
»Solange ich lebe, soll er keinen Stein davon besitzen! Mein Vertrag läuft noch zwölf Jahre ... Wir werden schon sehen!«
Das war eine offene Kriegserklärung. Keiner von beiden hatte das »Paradies der Damen« beim Namen genannt. Baudu schüttelte den Kopf, dann ging er mit hängenden Schultern nach Hause und murmelte still vor sich hin:
»Mein Gott! Mein Gott!...«
Denise, die dieses Gespräch mit angehört hatte, folgte ihrem Onkel. Auch Frau Baudu kehrte eben mit Pépé heim. Sie erzählte, Frau Gras sei jederzeit bereit, den Kleinen zu übernehmen.
»Nun, wie war's bei Vinçard?« fragte sie.
Der Tuchhändler berichtete von seinem erfolglosen Weg, dann fügte er hinzu, jemand anderer habe seiner Nichte eine Stelle angeboten. Den Arm nach dem »Paradies der Damen« ausgestreckt, sagte er verächtlich:
»Die da drüben!«
Die ganze Familie fühlte sich dadurch verletzt. Beim Abendessen endlich brach der seit dem Morgen zurückgedrängte Strom der Empörung unaufhaltsam los.
»Es ist natürlich deine Sache, du bist ja frei in deiner Entscheidung«, wiederholte zunächst Baudu. »Wir wollen dich nicht beeinflussen ... Aber wenn du wüßtest, was das für ein Haus ist!« In abgebrochenen Sätzen erzählte er die Geschichte dieses Octave Mouret. Ein Glückspilz sondergleichen! Da kam dieser Bursche aus dem Süden nach Paris mit der liebenswürdigen Keckheit eines Abenteurers, und schon am nächsten Tag hatte er Weibergeschichten. Schließlich war er auf frischer Tat ertappt worden. Es hatte einen Skandal gegeben, von dem noch heute im ganzen Stadtviertel gesprochen wurde. Und dann hatte er plötzlich und auf unerklärliche Weise Frau Hedouin erobert, die ihm das »Paradies der Damen« in die Ehe einbrachte.
»Die arme Caroline!« unterbrach ihn Frau Baudu. »Sie war eine entfernte Verwandte von mir. Wenn sie noch am Leben wäre, hätten sich die Dinge anders entwickelt. Sie würde nie zugeben, daß wir zugrunde gerichtet werden... Er hat auch sie umgebracht! Ja, mit seiner Bauerei! Als sie eines Morgens die Arbeiten besichtigte, stürzte sie in ein Loch, und drei Tage später war sie tot. Sie, die niemals krank gewesen war, die immer so gesund und schön war! Das Haus da ist mit Blut gebaut – man möchte fast meinen, daß es ihm Glück gebracht hat«, schloß sie, ohne Mourets Namen zu nennen.
Doch der Tuchhändler zuckte verächtlich die Schultern über solche Ammenmärchen.
»Ich glaube, Caroline, die selbst ein wenig romantisch veranlagt war, hat sich von den abenteuerlichen Plänen dieses Menschen gefangennehmen lassen. Kurz, er hat sie überredet, das Haus zur Linken und dann auch das zur Rechten anzukaufen, und hat selbst als Witwer noch zwei Gebäude dazuerworben. So ist dieses Warenhaus größer und immer größer geworden und droht uns heute alle zu verschlingen. Aber nur Geduld! Die Großtuer werden sich noch den Hals brechen. Mouret macht jetzt eine gefährliche Zeit durch; ich weiß es. Er hat sein ganzes Vermögen in diese tollen Erweiterungen und in die Reklame hineingesteckt. Um sich Geld zu verschaffen, hat er alle seine Angestellten überredet, ihre Ersparnisse bei ihm anzulegen. Er steht also jetzt ohne einen Sou da, und wenn nicht ein Wunder geschieht und es ihm nicht gelingt, seinen Umsatz zu verdreifachen, wie er hofft, so wird man einen Krach erleben, einen Krach! ... Ha, ich bin nicht schadenfroh, aber an diesem Tag werde ich illuminieren, mein Wort darauf!«
So wetterte er fort. Hatte man je so etwas gesehen? Ein Modewarengeschäft, wo alles zu haben war, ein Basar also! Auch das Personal paßte dazu, ein Haufen Stutzer, die herumhantierten wie in einem Bahnhof; sie behandelten die Waren und die Käufer wie Pakete, verließen ihren Chef und wurden entlassen für nichts, mit einem einzigen Wort; diese Menschen hatten keine Anhänglichkeit, keine Sitten, kein Verständnis für das Geschäft! Die Kunst bestand schließlich nicht darin, viel zu verkaufen, sondern teuer zu verkaufen! Er nahm Colomban zum Zeugen: der war noch in der guten alten Schule erzogen, der wußte Bescheid!
»Du bist der letzte, mein Lieber!« erklärte er gerührt. »Nach dir kommt keiner mehr von deinem Schlag. Du bist mein einziger Trost, denn wenn ein solcher Trödelmarkt heute Handel genannt wird, dann verstehe ich nichts mehr von der Sache, dann will ich lieber abtreten.«
Geneviève betrachtete von der Seite den lächelnden Colomban, und in ihren Blicken lag etwas wie ein Argwohn, das Verlangen zu sehen, ob er, von Gewissensbissen getrieben, bei diesen Lobsprüchen nicht erröten werde. Allein er blieb ruhig wie immer, mit gutmütigem Gesichtsausdruck, nur um seinen Mund lag eine schlaue Falte.
Baudu fuhr indessen fort mit seinen Anklagen gegen diese Leute da drüben, die sich in ihrem Kampf ums Dasein benahmen wie die Wilden und es schließlich so weit brachten, daß sie ihr Familienleben gänzlich zerstörten. Man brauchte sich doch nur die Lhommes anzusehen. Sie hatten draußen auf dem Land ihren Besitz neben dem seinen, daher kannte er sie. Alle drei, Vater, Mutter und Sohn, waren im »Paradies der Damen« angestellt, aber man traf sie kaum jemals zusammen; ständig waren sie außer Haus, nur am Sonntag aßen sie daheim, im übrigen schienen sie im Restaurant zu leben. Nein, nein, meinte er, sein Speisezimmer sei zwar nicht übermäßig groß und könnte auch etwas mehr Licht und Luft vertragen, aber hier sei er zu Hause, bei den Seinen. Und er blickte in dem kleinen Raum umher, insgeheim zitternd bei dem Gedanken, die Tollhäusler da drüben könnten,