Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

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»So hat also das Har­le­kin­ge­wand, das wir ›Glück‹ nen­nen, gar ver­schie­de­ne bun­te Lap­pen; nun, das Kleid mei­nes Go­de­fro­id hat­te we­der Lö­cher noch Fle­cken. Ein jun­ger Mann von sechs­und­zwan­zig Jah­ren, der Glück in der Lie­be hät­te –, nicht in­fol­ge sei­ner blü­hen­den Ju­gend, sei­nes Geis­tes, sei­ner schö­nen Ge­stalt, son­dern aus un­wi­der­steh­li­cher An­zie­hungs­kraft – be­sag­ter jun­ger Mann könn­te ganz gut kei­nen Hel­ler in der Bör­se ha­ben, die sei­ne An­be­te­rin ihm ge­stickt, er könn­te sei­nem Haus­herrn die Mie­te, sei­nem vor­ge­nann­ten Schus­ter die Schu­he, sei­nem Schnei­der den An­zug schul­dig sein, kurz, er könn­te arm sein. Das Elend wird das Glück ei­nes jun­gen Man­nes trü­ben, der un­se­re er­ha­be­ne An­sicht über die Ver­schmel­zung des bei­der­sei­ti­gen Geld­be­sit­zes nicht teilt. Ich ken­ne nichts Quä­len­de­res, als see­lisch über­glück­lich, ma­te­ri­ell hin­ge­gen un­glück­lich zu sein. Heißt das nicht, wie hier, nach der Sei­te der Tür zu ein er­fro­re­nes und nach der Sei­te des Ka­mins hin ein ge­rös­te­tes Bein ha­ben? Ich hof­fe, man ver­steht mich; fühlst du nicht in dei­ner Wes­ten­ta­sche ein Echo mei­ner Wor­te, Blon­det? Un­ter uns: las­sen wir die Lie­be bei­sei­te, sie verdirbt den Ver­stand. Also wei­ter! Go­de­fro­id von Beau­den­ord ge­noß die Ach­tung sei­ner Lie­fe­ran­ten, denn sie be­ka­men ziem­lich re­gel­mä­ßig Geld zu se­hen. Jene geist­vol­le Frau, die ich vor­hin zi­tier­te, die man aber nicht nen­nen darf …«

      »Wer ist es?«

      »Die Mar­qui­se d’Espard! Sie sag­te, ein jun­ger Mann müs­se im Erd­ge­schoß woh­nen, dür­fe nichts ha­ben, was etwa ei­nem Haus­halt glei­che, also we­der Kü­che noch Kö­chin, son­dern nur einen al­ten Die­ner, und dür­fe kei­nen An­spruch auf einen dau­ern­den Wohn­sitz er­he­ben. Al­les an­de­re ist nach ih­rer An­sicht eine Ge­schmack­lo­sig­keit. Go­de­fro­id von Beau­den­ord wohn­te, ge­treu die­sem Pro­gramm, am Quai Malaquais im Erd­ge­schoß. Den­noch war er ge­zwun­gen, in ei­nem Punk­te die Ehe­leu­te nach­zuah­men: er hat­te ein Bett in sei­nem Zim­mer, aber ein so schma­les, daß er sich we­nig dar­in auf­hielt. Eine Eng­län­de­rin, die zu­fäl­lig bei ihm ein­ge­tre­ten wäre, hät­te nichts fin­den kön­nen, das ›im­pro­per‹ ge­we­sen wäre. Fi­not, laß dir das große Ge­setz des Un­pas­sen­den er­klä­ren, das Eng­land be­herrscht! Da ein Tau­send­fran­ken­schein uns bei­de ver­bin­det, so will ich dir eine Vor­stel­lung da­von ge­ben. Ich selbst bin ja in Eng­land ge­we­sen. (Blon­det ins Ohr: ›Ich gebe ihm für mehr als zwei­tau­send Fran­ken von mei­nem Geist.‹) Also in Eng­land, Fi­not, trittst du in ei­ner Nacht, beim Ball oder sonst­wo, ei­ner Frau in­nig nahe, du be­geg­nest ihr an­dern Tags auf der Stra­ße und zeigst, daß du sie wie­der­er­kennst: ›un­pas­send!‹ Du fin­dest beim Di­ner im Frack dei­nes Nach­barn zur Lin­ken einen präch­ti­gen geist­vol­len Mann, der frei und of­fen und gar nicht dün­kel­haft ist; er hat nichts von ei­nem Eng­län­der. Nach al­ter fran­zö­si­scher Sit­te, die so höf­lich, so lie­bens­wür­dig ist, sprichst du ihn an: ›un­pas­send!‹ Du holst dir auf dem Ball eine dir un­be­kann­te hüb­sche Frau zum Tanz: ›un­pas­send!‹ Du er­ei­ferst dich, du re­dest, du lachst, du schüt­test dein Herz, dei­ne See­le, dei­nen Geist aus; du be­kun­dest in dei­ner Un­ter­hal­tung Ge­fühl; du spielst beim Spiel und plau­derst beim Plau­dern und ißt beim Es­sen: ›un­pas­send! un­pas­send! un­pas­send!‹ Ei­ner der geist­reichs­ten und tief­grün­digs­ten Män­ner un­se­rer Zelt, Stendhal, hat die­ses ›Un­pas­sen­d‹ des Eng­län­ders köst­lich cha­rak­te­ri­siert, in­dem er von ei­nem Bri­ten sagt, daß er, selbst wenn er al­lein am Ka­min­feu­er sitzt, nicht wagt, die Bei­ne zu kreu­zen – aus Furcht, daß es ›un­pas­sen­d‹ sei. Dank die­ser Angst, ›un­pas­sen­d‹ zu er­schei­nen, wird man ei­nes Ta­ges Lon­don und sei­ne Be­woh­ner ver­stei­nert fin­den.«

      »Wenn man be­denkt, daß es in Frank­reich Nar­ren gibt, die auch hier das al­bern fei­er­li­che, ge­schraub­te We­sen des Eng­län­ders ein­füh­ren wol­len,« sag­te Blon­det, »so schau­dert wohl ein je­der, der je­mals in Eng­land ge­we­sen und un­se­re an­mut­vol­len fran­zö­si­schen Sit­ten kennt. Wal­ter Scott, der es nicht wag­te, die Frau­en so zu zeich­nen, wie sie wirk­lich sind, aus Furcht, ›un­pas­sen­d‹ zu sein, be­reu­te es so­gar, in ›Pri­son d’E­din­bour­gh‹ die schö­ne Ge­stalt der ›Ef­fin‹ ge­schaf­fen zu ha­ben.«

      »Falls du es ver­mei­den möch­test, in Eng­land ›un­pas­sen­d‹ zu er­schei­nen …« sag­te Bi­xiou zu Fi­not.


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