Honoré de Balzac – Gesammelte Werke. Honore de Balzac

Honoré de Balzac – Gesammelte Werke - Honore de Balzac


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lieb­te es nicht, ge­haßt zu wer­den. Je­der nach sei­nem Ge­schmack! Doch wir wol­len fes­ten Bo­den be­tre­ten und uns mit sei­nem äu­ßern Le­ben be­fas­sen! Sein Jung­ge­sel­len­heim, in dem ich mir mehr als eine Mahl­zeit mun­den ließ, zeich­ne­te sich durch ein ge­heim­nis­vol­les, schön aus­ge­stal­te­tes Toi­let­te­zim­mer aus; es hat­te ein Bad, einen Ka­min, be­que­me Ru­he­sit­ze; es hat­te einen Aus­gang zur Trep­pe, selbst­schlie­ßen­de laut­lo­se Tü­ren mit gut­ge­öl­ten Sch­lös­sern und An­geln, Fens­ter aus mat­tem Glas und un­durch­sich­ti­ge Vor­hän­ge. Wenn das Wohn­zim­mer die schöns­te Un­ord­nung bot, wie sie nur der an­spruchs­volls­te Aqua­rell­ma­ler wün­schen könn­te, wenn al­les hier vom Zi­geu­ner­le­ben ei­nes vor­neh­men jun­gen Man­nes zeug­te, so war das Toi­let­te­zim­mer da­ge­gen ein Hei­lig­tum: weiß, rein, auf­ge­räumt, warm, kei­ne Zug­luft, wei­che Tep­pi­che – al­les wie ge­schaf­fen für den, der sich im Hemd, mit nack­ten Fü­ßen hier ver­ber­gen woll­te. Hier ist es, wo der Jung­ge­sel­le sich als Herr der Si­tua­ti­on, als Le­bens­künst­ler er­weist! Denn hier gibt es Mi­nu­ten und Er­eig­nis­se, in de­nen der Mensch sein We­sen of­fen­bart und sich als Herr­scher oder Töl­pel zeigt. Die schon er­wähn­te Mar­qui­se – nein, es war die Mar­qui­se von Ro­che­fi­de – ver­ließ voll Zorn die­ses Toi­let­te­zim­mer und woll­te es nie wie­der be­tre­ten – sie hat­te dort nichts ›Un­pas­sen­des‹ ent­de­cken kön­nen. Go­de­fro­id hat­te dar­in ein Schränk­chen vol­ler …«

      »Hem­den?« frag­te Fi­not. »Da­ne­ben ge­ra­ten, al­ter Tür­ke! (Ich wer­de ihm nie Er­zie­hung bei­brin­gen!) Nein doch, Ku­chen, Früch­te, hüb­sche Fläsch­chen mit Mala­ga, Li­kö­re – kurz­um al­les das, was einen zar­ten und ver­wöhn­ten Gau­men er­freu­en mag. Ein al­ter schlau­er Die­ner, der gut mit Tie­ren um­zu­ge­hen wuß­te, pfleg­te die Pfer­de Go­de­fro­ids; er hat­te be­reits dem se­li­gen Herrn Beau­den­ord ge­dient und brach­te Go­de­fro­id eine große Zu­nei­gung ent­ge­gen, eine Krank­heit des Her­zens. Al­les ir­di­sche Glück be­ruht auf Zah­len. Ihr, die ihr das Pa­ri­ser Le­ben in al­len sei­nen Hö­hen und Tie­fen kennt, ihr wer­det euch den­ken kön­nen, daß Go­de­fro­id eine Ren­te von etwa sieb­zehn­tau­send Li­vres nö­tig hat­te, da er für sieb­zehn­tau­send Fran­ken Ab­ga­ben zu zah­len und für tau­send Ta­ler aben­teu­er­li­che Lau­nen hat­te. Nun also, Kin­der, am sel­ben Tage, als er mün­dig wur­de, leg­te ihm der Mar­quis d’Ai­gle­mont eine Vor­mund­schafts­ab­rech­nung vor, wie wir sie dem­nächst un­sern Nef­fen nicht vor­le­gen könn­ten, und übergab ihm Pa­pie­re auf acht­zehn­tau­send Fran­ken Staats­ren­te, der Rest des von der Re­pu­blik be­trächt­lich ge­kürz­ten und von den Schul­den des Kai­ser­reichs arg mit­ge­nom­me­nen vä­ter­li­chen Ver­mö­gens. Die­ser präch­ti­ge Vor­mund mach­te sein Mün­del zum Herrn von ei­ni­gen drei­ßig­tau­send Fran­ken Er­spar­nis­sen, die beim Hau­se Nu­cin­gen an­ge­legt wa­ren, und sag­te ihm voll lie­bens­wür­di­ger An­mut, daß er ihm die­se Sum­me aus­ge­setzt habe, da­mit er sich zu­nächst ein­mal, wie je­der jun­ge Mann, aus­to­ben kön­ne. ›Wenn du mir folgst, Go­de­fro­i­d‹ sag­te er zu ihm, ›so ver­schwen­dest du das Geld nicht, gleich so vie­len an­dern, un­nütz, son­dern machst nütz­li­che Dumm­hei­ten. Nimm in Tu­rin einen Ge­sandt­schafts­pos­ten an, geh dann von dort nach Nea­pel, von Nea­pel nach Lon­don – und du wirst dich für dein Geld un­ter­hal­ten und ge­bil­det ha­ben. Willst du spä­ter­hin einen Be­ruf er­grei­fen, so hast du we­der Zeit noch Geld ver­lo­ren.‹ Der se­li­ge d’Ai­gle­mont war bes­ser als sein Ruf – was man von uns nicht sa­gen kann.«

      »Ein jun­ger Mann, der mit ein­und­zwan­zig Jah­ren mit acht­zehn­tau­send Li­vres Ren­te ins Le­ben tritt, ist rui­niert,« sag­te Cou­ture. »Falls er nicht gei­zig oder sonst her­vor­ra­gend be­gabt ist,« sag­te Blon­det. »Go­de­fro­id weil­te in den vier Haupt­städ­ten Ita­li­ens,« fuhr Bi­xiou fort. »Er sah Deutsch­land und Eng­land, auch St. Pe­ters­burg, und be­reis­te Hol­land; aber er ent­äu­ßer­te sich der be­sag­ten drei­ßig­tau­send Fran­ken, als sei­en sie nichts als eine Jah­res­ren­te. Er fand über­all ›le su­prê­me de vo­lail­le, l’a­spic et les vins de Fran­ce‹, hör­te über­all Fran­zö­sisch spre­chen – kurz­um, er war im­mer wie in Pa­ris. Er hät­te gern sein Herz ver­här­tet, ge­pan­zert, sei­ne Il­lu­sio­nen ver­lo­ren, hät­te gern ge­lernt, al­les an­zu­hö­ren, ohne zu er­rö­ten, zu spre­chen, ohne et­was zu sa­gen, hät­te gern die ge­hei­me Stu­fen­lei­ter zur Macht be­tre­ten … Pah! er hat­te Mühe ge­nug, sich mit vier Spra­chen aus­zu­stat­ten, das heißt, sich mit vier Wor­ten ge­gen einen Ge­dan­ken zu weh­ren. Er kam zu­rück als ein schüch­ter­ner, ziem­lich un­ge­schlif­fe­ner, ver­trau­en­der gu­ter Jun­ge – ein Mensch, der von de­nen, die ihm die Ehre er­wie­sen, ihn zu emp­fan­gen, nichts Übles re­den konn­te, der zum Di­plo­ma­ten viel zu ver­trau­ens­se­lig war – nichts wei­ter also als ein gu­ter Jun­ge.«


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